Auf der Suche nach Futter für meine lesehungrige Tochter bin ich vor kurzem aufgrund einer Empfehlung auf das Buch „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf gestoßen. Im Gegensatz zur üblichen, sicher nicht problemlosen Praxis – sie holt sich Bücher etc. aus der Bibliothek und ich bekomme kaum mit, worum es sich handelt – habe ich in diesem Fall, wohl auch aufgrund der ausdrücklichen Empfehlung, das Buch angelesen, dann ganz gelesen, und es nicht weitergegeben. Warum?
Ich hatte mich in meinem letzten Beitrag auf diesem Blog mit den problematischen Wegen und Zielen staatlicher alternativer Sexualpädagogik befaßt, aufgrund einer Veröffentlichung von Birgit Kelle. Das Buch von Herrndorf scheint mir zu zeigen, daß solche eigenartigen, an der sog. Gender-Theorie orientierten Verhaltensempfehlungen auch in Gestalt von nett aufgemachter Jugendliteratur unter die Leute gebracht werden. Einige kritische Bemerkungen zu dieser Form der Propaganda müssen wohl sein.
Es handelt sich bei Herrndorfs Roman „Tschick“ um ein Produkt der alternativen homozentrierten Sexualpädagogik in Form eines „Jugendromans“.
Ich werde mich auf den sexualpädagogischen Kern der story konzentrieren und andere Aspekte vorerst weniger beachten, die vielleicht eher in das Genre Literaturkritik fallen, wie z.B. die nach Meinung mancher sog. Kenner „authentische“ Jugendsprache in Dialogen und den erzählenden Passagen. Ob die Herrndorfsche „Jugendsprache“ den Kern dessen trifft, wie Jugendliche heute denken und reden, möchte ich allerdings bezweifeln
Doch nun zur Hauptsache.
Im Zentrum steht die Entwicklung der Freundschaft eines 14-jährigen Jungen mit Namen Maik Klingenberg, des Ich-Erzählers, zu einem etwa gleichaltrigen homosexuellen Migranten aus Russland mit dem Spitznamen Tschick.
Diese Beziehung ist in dem Geschehen des Buches die einzige mit sozusagen belastbarer menschlicher Substanz.
Alle anderen Beziehungen Maiks – es werden drei weibliche Hauptfiguren in die Erzählung eingeführt – haben deutlich minderen Rang. Zwar verliebt er sich in zwei, die gleichaltrige Tatjana und später in ein Mädchen namens Isa, und zeichnet ein mitleidsvolles Porträt seiner alkoholabhängigen Mutter, doch sind diese Frauengestalten in sich nicht wenig problematisch und es kommt bei weitem nicht zur Entwicklung einer ähnlich verständnisvollen, der menschlichen Entwicklung des Erzählers förderlichen Beziehung wie im Falle Tschick.
In der Beziehung des Erzählers zu Tschick kommt es zwar nicht zu sexuellen Kontakten – die bahnen sich nur zwischen dem Erzähler und Isa an -, jedoch wird von Herrndorf deutlich herausgestellt, daß man sich sehr dicht an deren Rand bewegt und ein Wechsel der sexuellen Identität des Maik durchaus vorstellbar ist.
Charakteristisch sind nicht nur die ersten Avancen der Figur Tschick gegenüber dem Erzähler Maik, die sich recht drastisch des Themas eines bestimmten, für Schwule wohl besonders interessanten Körperteils annehmen (S. 83/84), sondern vor allem auch die Passagen, in denen Maik tiefe Sympathie für Tschick zu empfinden lernt und sich fragt, ob er nicht selbst schwul werden sollte. Zwar entscheidet er sich dagegen und fühlt sich in Tatjana und, im weiteren, zunehmend in Isa verliebt – doch diese Mädchen bleiben trotz ihrer Anziehungskraft in mehrfacher Hinsicht in Distanz zum Ich des Erzählers und werden von Herrndorf zudem auch mit einigen deutlich negativen Zügen ausgestattet. Tatjana, die Klassenkameradin, wird von Maik zwar als schönste Frau im Universum angehimmelt, doch interessiert sie sich zunächst überhaupt nicht für ihn, und erst am Ende der Geschichte, als er nach den Eskapaden des Sommers mit Tschick sozusagen als Sensationsfigur in die Klasse zurückkehrt, beginnt sie Interesse zu zeigen; da ist es aber auch schon zu spät. Ansonsten erfährt man nichts über sie.
Isa betrachtet den Erzähler und seinen Freund Tschick vor allem unter eigensüchtigen Aspekten. Es handelt sich bei der Figur der Isa um eine abseitige Konstruktion des W. Herrndorf, montiert aus mehreren literarischen Motiven Anderer. Sie lebt zunächst auf einer Müllhalde, wo sie von den beiden Jungens entdeckt wird (die Olchis lassen grüßen?) hat immer ein Holzkästchen bei sich („Chocolat“?) , macht sich den Jungens dann beim Benzinklauen nützlich und nutzt ihrerseits dann die Jungens mit dem Auto und Geld, um von der Müllhalde wegzukommen. Da sie stinkt und Läuse hat, muß sie sich einer Reinigung und einem Haarschnitt unterziehen. Bei dieser Gelegenheit entblößt, fordert sie den Erzähler unvermittelt zum Geschlechtsverkehr auf, was diesen trotz seiner beginnenden ersten sexuellen Erregung völlig überfordert und keinen Erfolg hat.
Wenn man diese Schilderungen auf eine Formel bringen will, könnte die lauten: empfindsame Jungens-Seele vs. weiblicher Egoismus und Triebhaftigkeit. Ob aus diesem Ansatz überhaupt noch etwas werden kann, läßt das Ende des Romans offen, auch wenn er andeutet, daß diese Isa mit dem Erzähler im weiteren noch etwas haben könnte. Muß ja wohl – sonst wäre das Ganze eine direkte und keine maskierte Schwulen-Story.
Außer den beiden Mädchenfiguren spielt, wie bereits erwähnt, auch die Mutter von Maik eine größere weibliche Rolle in Herrndorfs Konstrukt. Sie ist alkoholabhängig, von ihrem Mann verlassen und befindet sich dabei eine Verlorene zu werden. Schließlich taucht noch eine weitere weibliche Ambivalenz-Figur auf, eine Frau, die die Jungens bei ihrem finalen Unfall mit dem geklauten Auto zwar rettet, aber aufgrund ihrer äußeren Erscheinung („Flusspferd“) und ihrer Ungeschicklichkeit – sie läßt Tschick einen Feuerlöscher aufs Bein fallen, sodaß der ins Krankenhaus muß – auch nicht gerade darauf angelegt ist, Leser-Sympathien zu erwecken.
Unterschwellig frauenfeindlich, in einer verallgemeinernden Art, läßt Herrndorf den Maik über das Problem des Alterns reflektieren (S. 117/118). Das Altern verwandele auch die schönsten Frauen, so die Reflexion, unausweichlich in „beige [gemeint ist die Farbe] Renterinnen“, „Alle hatten sie die gleiche graue Haut und fette Nasen und Ohren, und das deprimierte mich so, daß mir fast schlecht wurde.“ Hier wird das weibliche Geschlecht lediglich unter dem Aspekt jugendlicher Schönheit betrachtet, die zwangsläufig irgendwann sich in abstoßende Häßlichkeit verwandele. Ausdrücklich bezieht sich diese völlig einseitige und willkürliche Reflexion lediglich auf Frauen, etwaige entsprechende Gedanken bezüglich alternder Männer finden bezeichnenderweise sich nicht.
Einen gewissen Höhepunkt konstruiert Herrndorf im Sinne seines Postulats der homosexualisierenden Verwirrung der personellen Identitäten (s. meinen o.a. Beitrag) in der – oberflächlich betrachtet als skurril aufgezogenen – Begegnung mit dem vereinsamten Rentner Horst Fricke. Gehalt und Absicht dieser Passage erschließen sich voll nur unter Heranziehung von historischem Hintergrund, den Herrndorf in der Nennung des Namens Ernst Röhm kryptisch anklingen läßt.
In dieser Szene, in der Fricke über seine Jugend spricht, verwirrt Herrndorf absichtlich alles, nicht nur personelle sexuelle Identitäten, sondern auch politische. Fricke zusammen mit seiner Jugendliebe Else waren demnach „Ultrakommunisten“ – und Mitglieder der „Widerstandsgruppe Ernst Röhm“. Wie sollte das zusammengehen? Röhm war unter Hitler der Chef der sog. SA, einer Nazi-Massenorganisation, die vor allem für den Terror der Nazis gegen die Kommunisten, aber auch andere politische Unliebsame eingesetzt wurde. Wie soll sich ein heutiger Leser, der normalerweise diese Informationen nicht hat, auf diese abseitige Herrndorfsche Gleichsetzung einen Reim machen? Ist das die staatsoffizielle Doktrin der Bundesrepublik Deutschland, derzufolge Nazitum und „Linksradikalismus“ wesensverwandt seien? Bei Herrndorf sind sie sogar ein und dasselbe, oder wie soll man das verstehen? Herrndorf läßt den Fricke im weiteren sich damit brüsten, als Mitglied eines deutschen Strafbataillons im 2. Weltkrieg massenhaft „Iwans“, russische Soldaten, abgeschossen zu haben. Die Frage Maiks, wie das zusammen habe gehen können mit Frickes Kommunistentum, wenn doch „die Russen nicht auch so ´ne Art Kommunisten“ gewesen seien, bleibt unbeantwortet.
Was ist der Zweck dieses fortgesetzten Gefasels? Soll suggeriert werden, daß man in solchen immer noch ziemlich heißen Fragen der jüngeren deutschen Geschichte sowieso niemals durchblicken könne, weil es keine politische Identitäten gebe?
Die Frage der Homosexualität spielt zu allem Überfluß, in Wirklichkeit auch ganz gezielt noch massiv in diese Abstrusitäten herein. Nicht nur, daß Fricke ein altes Foto seiner Jugendliebe Else präsentiert, „ein scharfgeschnittenes Gesicht, von dem ich auf den ersten Blick nicht hätte sagen können, ob es Junge oder Mädchen war“, meint Maik. Der – von Herrndorf nicht ausgesprochene – eigentliche Clou der Nennung des Namens Ernst Röhm liegt darin, daß dieser, einer der wichtigsten Naziführer, ein öffentlich als solcher bekannter Homosexueller war, als solcher übrigens Mitglied der sog. „Liga für Menschenrechte“ des Magnus Hirschfeld (Hirschfeld war ein Berliner Propagandist der Homosexualiät in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, wird heute von der sog. Schwulenbewegung wie eine Art Johannes der Täufer verehrt und insbesondere bei ihren linksgetönten Aktivisten als einer der Ihren hochgehalten). Röhms Neigungen waren, so lange er Hitler politisch dienlich war, für diesen und die Nazipartei kein Thema; als Röhm jedoch sich nach der Machtergreifung der Nazis 1933 zum gefährlichen politischen Störfaktor der Hitlerschen Linie entwickelte, wurden er und eine erhebliche Anzahl von Mitgliedern seiner Richtung im Sommer 1934 in einer „Nacht der langen Messer“, einer innerparteilichen Strafaktion, von anderen Nazis auf Befehl Hitlers physisch erledigt, und zwar unter dem nunmehrigen Vorwurf, Röhm sei Homo. Andere Typen seiner Richtung blieben ungeschoren in der Partei. Die Wirrnis der Herrndorfschen Ideenwelt – und der historischen Verhältnisse, auf die er anspielt – geht also noch tiefer als er selbst ausdrücklich ausführt.
Ergänzung – 29.06.2014: eine politische Analyse der für die weitere Entwicklung des Nazi-Regimes wichtigen Liquidierung von Röhm und anderen SA-Führern, sowie weiteren politischen Persönlichkeiten, findet sich hier.
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Ohne noch weiter in Details des Buches gehen zu wollen, möchte ich hier zusammenfassend sagen, daß es ein billiges Machwerk ist, das unter Nutzung literarisch-filmischer Modelle aus den Genres Jugend-Entwicklungsroman und road-movie eine ganz bestimmte sexualpädagogische Botschaft rüberbringen soll. Sie entspricht nicht nur dem persönlichen Verhalten des – inzwischen aus dem Leben geschiedenen – Autors, sondern vor allem auch der staatsoffiziellen Gender-Pädagogik, die sich die Verwirrung der personell-sexuellen Identitäten und die Heranziehung verunsicherter Individuen zum Ziel gesetzt hat, die sich den modernen Herrschaftsverhältnissen besser einpassen sollen.
Daß ein solches Produkt hymnische Kritiken von Alternativblättchen wie der „Süddeutschen“ oder der „Zeit“ sowie alle möglichen offiziösen Literaturpreise wie bestellt sich abholen können mußte, braucht ja wohl nicht weiter erklärt zu werden.
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Ich verspreche jede sachlich irgendwie relevante Zuschrift dann im Anhang zu dem betr. Beitrag zu veröffentlichen, auch wenn sie mit meinen Ansichten garnicht übereinstimmen kann.