Eine recht spezielle Analyse der Entwicklung in Syrien durch die “Informationsstelle Militarisierung” in Tübingen

Am 3. August veröffentlichte die „Informationsstelle Militarisierung“ in Tübingen eine Studie ihres Hauptautors Jürgen Wagner, die eine eigenartige Sichtweise auf den Syrien-Konflikt ausbreitet.

Unter dem Titel „Imperialer Neoliberalismus – Syrien und die Europäische Nachbarschaftspolitik“ rückt Wagner den wichtigsten Aspekt der syrischen Entwicklung ganz in den Hintergrund: die Anheizung der Widersprüche zum Bürgerkrieg durch die USA, Großbritannien und andere, die massiven Waffenlieferungen an gewisse Teile der syrischen Opposition, die Invasion zehntausender halsabschneiderischer islamistischer Söldner unter der Fahne der US-Chef-Verbündeten Saudi-Arabien, der sog. Al-Kaida etc. Er rückt ganz in den Hintergrund die gesamte Politik vor allem der USA, Syrien unter Anwendung der brutalsten Mittel ins Chaos zu stürzen, um endlich bessere Ausgangspositionen für das Vorgehen gegen den Iran zu schaffen, Israel von der Konfrontation mit der Hisbollah zu entlasten, oder auch um die inmittelbare Peripherie Europas weiter unter US-Dominanz zu islamisieren, mit gravierenden Folgen für die Innenpolitik (Migration)  und Außenpolitik der europäischen Staaten.

Wagner sucht sich als Angelpunkt zur Analyse des Syrienkonflikts ein ganz anderes Thema: die Wirtschaftspolitik der EU gegenüber Syrien.

Seiner Darstellung dieser Politik fehlt es allerdings – imho – doch etwas an Stringenz. Ob es sich überhaupt um eine durchgeführte und effektive Politik handelt oder bloß um die Absichtserklärungen, Papiere, gelegentlichen Einflüsse auf die syrische Gesetzgebung und gelegentlichen Geldflüsse, die Wagner als die große „neoliberale imperiale“ Bedrohung Syriens durch die EU anführt, bleibt nach Lektüre von Wagners Ausführungen eine offene Frage. Es fällt angesichts der spärlichen von Wagner zusammengetragenen Belegstücke jedenfalls schwer daran zu glauben, daß die EU-Politik ein wichtiger oder sogar der Hauptfaktor der syrischen ökonomischen Verhältnisse sein soll, wie es Wagner suggeriert.

Man kann mE zwar durchaus von einer Politik der EU ausgehen, die unter dem Titel „Nachbarschaft“ versucht, in solchen Ländern der europäischen Peripherie wie Ägypten, Syrien, auch Georgien und der Ukraine usf. den ökonomischen und politischen Einfluß auszubauen, und dies natürlich nicht mit dem Wohlergehen der Bevölkerungsmassen als Leitbild, sondern mit dem eigenen ökonomischen und politischen Profit derjenigen Kreise, die in der EU das Sagen haben. Aber man kann auch die Frage stellen, was die Interessen der betr. Länder bzw. ihrer führenden Schichten selbst sind  – vielleicht sehen diese in einer Auflockerung der traditionellen drückenden Abhängigkeiten bspw. von den USA oder Rußland gewisse Vorteile -, und man kann auch klar festhalten, daß militärische Bedrohung, Erpressung oder Intervention als Mittel zur Ausweitung solcher ökonomischer und politischer Einflußzonen sich für die EU weit weniger anbieten, schon einmal aufgrund der viel geringeren militärischen Stärke, als etwa für die USA.

Mit der in dieser neuen Studie vorgetragenen, höchst eigenartigen Sicht begibt Wagner sich sogar in gewissem Umfang in Widerspruch zu einer eigenen Publikation vom März 2012 („Die Militarisierung der Proteste und die strategische Unvernunft der Gewalt“), wo immerhin die „Militarisierung“ der syrischen Situation durch bestimmte Mächte ausführlich behandelt wird. Was jedenfalls in diesen älteren Ausführungen aber bereits problematisch scheint, ist die politische Analyse der internationalen und kapitalistischen Hintergründe.

Weiter noch zur Problematik des jetzigen Wagnerschen Ansatzes:

Selbst wenn wir Wagner in seinem Manöver folgen wollten, die Militarisierung des Syrien-Konflikts durch die stärkste und aggressivste Militärmacht der heutigen Welt fast völlig an den Rand zu schieben und durch Fragen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu verdecken, so müßte sich doch auch die Frage stellen: haben die USA anders als die EU im mittelöstlichen Raum etwa keine wirtschaftspolitischen Interessen? Und folgen die USA etwa im Unterschied zur EU keiner „neoliberalen Doktrin“? Gibt es keinen US-Imperialismus, und ganz besonders im arabisch-mittelöstlichen Raum erst recht keinen? Welche ökonomischen Umgestaltungen der syrischen Wirtschaft fordern denn die USA, welche haben sie im Bunde mit Saudi-Arabien und anderen potenten internationalen „Investoren“ bereits durchgesetzt und planen sie im weiteren? Bestimmt viel revolutionärere und volksfreundlichere als die EU!

Wagner:

„die durch Assads ‚Reformen’ [die lt. Wagner vom EU-Imperialismus dort erzwungen worden sind] verursachte Verarmung breiter Bevölkerungsschichten stellte eine der wesentlichen Rahmenbedingungen dar, die zum Ausbrechen des Aufstandes gegen die syrische Regierung im Februar 2011 beigetragen haben – …“ (S. 1/2).

Wagner:

„Hierzu [zu stärkeren Veränderungen der syrischen Ökonomie im Sinne der europäischen ‚Marktradikalen’, wie Wagner sie am Werke sieht] kam es bekanntlich nicht mehr, an irgendwelche Wirtschaftsreformen ist angesichts des gegenwärtigen Bürgerkrieges nicht zu denken. Vieles spricht allerdings dafür, dass sich das Regime diese Suppe zumindest teils – die gezielten Subversionstätigkeiten verschiedener westlicher Staaten sollten hier ebenfalls nicht außer acht gelassen werden – mit seinen neoliberalen Reformen selbst eingebrockt hat.“ (S. 8 Sp. 2)

Wie objektiv von Wagner, die Subversion, d.h. die Rolle der USA, wenigstens an einer Stelle seines Papiers nicht ganz „außer acht zu lassen“! Doch er mahnt gegenüber seinem eigenen Satz gleich noch zur Vorsicht:

„Wie stark die vor allem für die USA nachgewiesenen Subversionstätigkeiten zum Ausbrechen des Aufstandes beigetragen haben, lässt sich schwer beurteilen“ (S. 10 Sp.2).

Die EU-Einflüsse sind der einzig von ihm klar identifizierte Hauptfaktor des syrischen Konflikts, aber was die USA treiben, läßt sich eigentlich „schwer beurteilen“, vielleicht arbeiten sie ja sogar an der syrischen Volksrevolution?

Würde ein ausgesprochener Propagandist der USA, der den Auftrag hat, den störenden Einfluß anderer Staaten in einer Region anzuprangern, die die USA als ihren angestammten Oberherrschaftsbereich betrachten, und die eigene Rolle zu vernebeln, wesentlich anders schreiben als ein Herr Wagner und die „Informationsstelle Militarisierung“? Es ist dies offenbar eine recht spezielle Variante von grundsätzlichem Pazifismus und Kampf gegen jedwedes militärisches Vorgehen, wie ich sie bisher als Grundlinie der „Informationsstelle Militarisierung“ gesehen hatte, offensichtlich zu Unrecht.

 

Vielleicht sollte man einmal nach der politischen Motivation hinter dem Zustandekommen eines solchen merkwürdigen Dokuments fragen. Ist bestimmten Leuten schon das vergleichsweise bescheidene Anwachsen des ökonomischen und politischen EU-Einflusses zu viel, der in den Ländern Nordafrikas und des vorderasiatischen arabischen Raums wie Syrien in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu verzeichnen ist? Normalerweise würde man solche Leute  eher als US-Scharfmacher und ihre üblichen britischen Wackelschwänze sowie als weiteren in dieser Weise gepolten Anhang in anderen Ländern – natürlich auch in Deutschland – identifizieren. Ihr Propagandamuster ist eigentlich uralt: „Nieder mit dem Imperialismus!“ – die USA hingegen bringen, wer könnte etwas anderes denken, Menschenrechte, Demokratie, Wohlstand und freien internationalen Handel und widersetzen sich strikt dem Aufbau von Einflußzonen (anderer). Und wenn in solchen Ländern dann Rebellionen aufbrechen, dann ist das in erster Linie auf die sozialen Verschlechterungen zurückzuführen, die diese (nicht-US) Imperialisten den Ländern aufgezwungen haben, während es „schwer zu beurteilen“ bleibt, ob die US-Subversionstätigkeiten überhaupt entscheidenden Einfluß auf das Aufbrechen von Pogromen, Bürgerkriegen, Sezessionen etc. hatten.

Was unterscheidet denn nun Wagners Schreibe in der Grundeinstellung von einer solchen Propaganda? Ich wäre für weiterführende und mich ggf. korrigierende Hinweise jedenfalls dankbar.

 

 

 

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