Jamaika-Koalition, Merkel und Grüne erstmal abgewendet.

Das Projekt, unter der Führung von Merkel und Einbeziehung der Grünen eine Bundesregierung zu bilden, ist gescheitert wegen des Einspruchs der FDP.

Mehrere Journalisten vermitteln in ihren Artikeln über die Verhandlungen und ihren Mutmaßungen über die Motive der FDP einen recht interessanten Eindruck: in wesentlichen Punkten habe sich ein politischer Block zwischen der Merkel-CDU und den Grünen abgezeichnet (die CSU unter Seehofer folgt letztlich immer der größeren CDU).

Der FDP, die in Fragen der Steuerpolitik, der Migrationspolitik und des sog. Klimaschutzes sich im Wahlkampf anders definiert habe, seien von Merkel und den Grünen keine Kompromisse zur wenigstens teilweisen Berücksichtigung ihrer Vorstellungen eröffnet worden, und ihr Ausstieg daher konsequent.

 

Warum bin ich der Meinung, dass hier eine unheilvolle mögliche Koalition zu Recht einen Tritt gegen das Schienbein bekommen hat – (was allerdings noch zu wenig ist für eine mögliche bessere Konstitution künftiger Bundesregierungen)?

Ein paar Stichpunkte zu meiner schon lange immer wieder geäußerten Sicht der Merkel-Politik, von denen ich weiterhin ausgehe, möchte ich hier anreißen. Ich habe zwar zwischenzeitlich unter geostrategischen Gesichtspunkten Merkel wg. ihrer internationalen Initiative zu den Flüchtlingsströmen aus dem Vorderen Orient Anerkennung gezollt. Aber die grundsätzlichen Kritikpunkte bestehen weiter, s. meinen Beitrag aus 2011 „Der Ruin Deutschlands – System und Ziel“.

Was die innere Entwicklung Deutschlands betrifft, ist Merkels Bilanz zerstörerisch.

Merkel ist immer der mainstream-Linie der dominierenden Kapitalmächte in Europa gefolgt. Sie ist eine „Europäerin“ des Brüsseler Typs. Hier gelten letztlich die Interessen des ganz großen Geldes, der finanzkapitalistischen Spitzenschichten des Kapitalismus, denen die europäische Bürokratie und exemplarisch ein Gebilde wie die EZB als politische Substruktur dienen. Auf diesen Ebenen herrscht eine außerordentliche Verachtung des Bürgers, der Demokratie und berechtigter nationalstaatlicher Traditionen, Forderungen und Strukturen. Finanzkapitalistischer Raub an Volkseigentum, Korruption in größtem Stil, Kriminalität sind hier an der Tagesordnung.

Das Finanzkapital, in Europa, in den USA, in der globalisierten kapitalistischen Welt, und noch unverschämter und direkter in China,  will einen entmündigten und mental reduzierten Menschen als Standardtyp des Bürgers. Man will der breiten Masse immer weniger Bildung, immer weniger freie Information, immer weniger Einfluss auf politische Entscheidungen zugestehen. Zwar braucht man in Europa andererseits wegen des internationalen Überlebenskampfes gegenüber solchen Mächten wie den USA oder dem aufsteigenden China auch Spitzenkräfte, aber die Masse muss dümmer und daher besser beherrschbar werden. Der Bürger soll als Arbeitskraft und Konsument durchfunktionalisiert werden, selbst das Bargeld als letztes Residuum ökonomischer Selbständigkeit soll auf mittlere Sicht weg.

Es hat nie klare politische Maßnahmen von Merkel-geführten Regierungen gegen solche Tendenzen gegeben, sie wurden unter der Hand und teilweise offen begünstigt. Der Verfall des Bildungswesens in Deutschland spricht eine schmerzlich deutliche Sprache. Auch wenn SPD und Grüne hier die Avantgarde der zerstörerischen Kräfte bilden – von Seiten der Merkel-geführten CDU und der von ihr geführten Regierungen wurde dem kaum Widerstand entgegengesetzt. Die Merkel-CDU ist die Partei des zeitlich etwas mehr gestreckten Ruins, der die gröbsten Anstößigkeiten umgeht, um sich umso gründlicher durchzusetzen.

Aber es ist in Europa nicht so leicht, die lange gewachsenen und erkämpften kulturellen und zivilisatorischen Standards zu zermürben; vielleicht geht es auch von daher hier bis jetzt noch nicht so recht voran mit dem Raubbau.

Der Kapitalismus der reichen Länder kämpft weltweit mit Grundproblemen wie der sog. Überakkumulation, den eigenen gigantisch weiterwachsenden Produktivkräften, die nicht einzupassen sind in die historisch gewachsenen Märkte, die herrschenden Eigentums- und Profitstrukturen, auch die bisherigen Machtblöcke,  und auch nicht  in den weltweiten Gegensatz zwischen wenigen reichen entwickelten Nationen und der großen Masse auf der Welt, die auf niedrigem und niedrigstem Lebensniveau festzuhalten für eben diesen Kapitalismus Grundgesetz zu sein scheint.

Die finanzkapitalistisch-bürokratische Ideologie zur Bändigung der kapitalistischen Verwertungsproblematik findet von daher gern zu „Lösungen“ wie der systematischen Vernichtung von Produktivkräften, ja sogar bestimmter Kapitalballungen selbst, um das Gesamtsystem noch irgendwie flott zu halten.

Hierzu gehören willkürliche Kriege, gern auch mit Millionen von Opfern – besonders beliebt sind sie beim US-Kapitalismus, dem bisherigen Weltzentrum des Finanzkapitals -,  aber auch solche willkürlichen, scheinbar bloß ökonomischen,  systematischen Zerstörungsakte an Produktivkräften, wie sie gerade Deutschland – insbesondere unter Merkel – praktiziert.

Hier werden z.B. in der Energieproduktion und –versorgung die existierenden, zuverlässigen, kostengünstigen und entwicklungsfähigen Systeme (Kernenergie und Kohle) per Regierungsdekret abgewrackt, damit völlig neue Systeme errichtet werden können, die jedenfalls technisch unnötig und sogar schlechter, aber, gottseidank sagt die Kapitalseele, teurer sind. Wenn auf diese Weise im Lauf einiger Jahrzehnte Billionen Euros zusätzlich aus den Taschen der Bürger mobilisiert und in die kapitalistischen Profitkanäle geleitet werden können – das nennt sich erneuerbare Energien -, dann ist einer dringenden Not des Gesamtsystems wenigstens ein Teil Linderung verheißen. Für eine solche Politik steht Merkel exemplarisch. Das Ausmaß politischer Lügenhaftigkeit und medialer Dauerbeschallung („Klimawandel“ müsse bekämpft werden) hat unter ihr Dimensionen erreicht, von denen ein Goebbels nur träumen konnte.

 

Gerade der deutsche Kapitalismus, der in pcto. wissenschaftlich-technisch fundierter industrieller Effizienz noch immer bestimmte weltweite Führungspositionen einnimmt und aufgrund seiner internationalen Erfolge noch für eine gewisse Stabilität auch im Ursprungsland und Europa sorgt, wird von der genannten kapitalistischen Grundproblematik umgetrieben. Wenn gerade auch er daran mitwirkt, die Produktivkräfte weiter zu beschleunigen, dann mag er damit zwar einerseits in vielen Teilen der Welt durchaus willkommen sein, die dergleichen dringend brauchen, muss aber andererseits umso deutlicher selbst spüren, dass er, jedenfalls in entwickelten Zonen, die kapitalistischen Grundprobleme nur verschärft. Seine Hinwendung zu einer Merkelschen Politik der bürokratischen Vergewaltigung von Markt- und Technik-Kräften ist von daher verständlich, obwohl ein anderer Teil seines Wesens, der progressive, sich dabei in Krämpfen windet.

 

Eine reguläre, bundesregierungsmäßige Verblockung der Merkel-CDU mit den Grünen, der Vorreiterpartei der Rettung des Kapitalismus mit solchen Methoden wie den eben beschriebenen, der Vorreiterpartei seiner kulturellen Degeneration, Verfaulung und Rückwärtsentwicklung hätte höchstwahrscheinlich nicht nur eine Fortsetzung, sondern eine Verstärkung der negativen Leitlinien der Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte  mit sich gebracht. Deswegen ist so ein Tritt gegen das Schienbein nicht schlecht, wie ihn jetzt Herr Lindner riskiert. Ob daraus in der weiteren, bis jetzt recht unklaren Entwicklung etwas Besseres resultiert? Dazu braucht es allerdings mehr als eine Lindner-FDP.

 

 

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Zu den internationalen Abhängigkeiten der asiatischen Ökonomien

Angaben über die globalen ökonomischen Verflechtungen Asiens mit EU, USA und innerasiatisch mit China, Japan etc.: Handel, Auslandsinvestitionen, Produktionsketten etc.

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Worin bestehen eigentlich die prinzipiellen Unterschiede zwischen einem IS und ähnlichen Killerorganisationen, und den USA-Regierungen?

Darin, dass man terroristisch Massen unbeteiligter friedlicher Menschen umbringt, um radikale Vorstellungen von Ausbeutung und Weltherrschaft zu befriedigen? Dass man fundamentalistische Dogmen als Rechtfertigung herumposaunt?

Wohl in der Größenordnung und Systematik, aber nicht im Prinzip. Wenn es  eineinhalb Millionen Menschen sind, die seit 1991 durch direkte militärische Gewalt der USA und ihrer Verbündeten, durch die Zerstörung von Infrastruktur im Irak und anderswo ums Leben gekommen sind, dann können Al-Qaida, der IS und ähnliche Marodeure sicher kaum mithalten.

Das Buch des arabischen Journalisten Aktham Suliman („Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht.“ Nomen-Verlag Ffm. 2017) rekapituliert die Geschichte der Kriege der USA und Verbündeter aus dem „freien Westen“ im Irak, in Syrien,  im Raum zwischen Libyen und Afghanistan seit 1991.

Suliman vermeidet es, sich geostrategisch-analytisch tiefgehend zu engagieren. Er spricht eher von ökonomischen Interessen, von Energiepolitik etc., („Krieg um Öl“), wenn von den übergeordneten Zielen der USA und ihrer Verbündeten die Rede ist, in einer auch von vielen anderen Autoren bevorzugten, leider  etwas oberflächlichen Weise. Dass es den USA seit 1991 um die Durchsetzung und Anerkennung als weltweit unanfechtbarer Militärtyrann gegangen ist, kommt aber immerhin am Rande zur Sprache. Auch dass mittlerweile die Kräfteverhältnisse sich in dieser Hinsicht für die USA ungünstig entwickeln aufgrund der zunehmenden Rivalität mit China und wegen der nicht recht einzupassenden Rolle Russlands – auch aufgrund des eigenen gesellschaftlichen Verfalls und Kräfteverlusts der USA, möchte ich hinzufügen -, das  deutet er am Ende immerhin an.

Aber in der Kritik an der durch und durch verlogenen und verdorbenen Rechtfertigungs-Maschine, den Propagandalügen der Regierungen und der mit ihnen kollaborierenden Medien bringt Suliman viele wertvolle Beispiele und Rückblicke.

Eine starke Seite des Buches liegt in der Nachzeichnung der Zerstörungen in den Mentalitäten der betroffenen Länder. Vorstellungen wie arabischer Nationalismus, linke, sozialismusnähere Ideen, bürgerlich-kapitalistischer Liberalismus wurden lt. Suliman durch die jüngste Geschichte weitgehend diskreditiert und durch die Neubelebung islamischer und islamistischer Orientierungen bei vielen Menschen verdrängt. Von arabischer Einheit bspw. spricht lt. Suliman niemand mehr, nachdem die USA gezeigt haben, wie die verschiedenen arabischen Staaten sich immer wieder gegeneinander ausspielen lassen, ob das Ägypten und Syrien gegen den Irak  oder die Golfstaaten gegen Syrien sind.

Unter der Fuchtel von militärischen und gesellschaftlichen Katastrophen erscheint der Islam, lt. Suliman, vielen Menschen, anders als in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, und in einer Art von Rückwärtswendung, eher als das Eigene, Verlässlichere. Er findet, auch als kultureller Modus vermeintlicher Selbstbehauptung, gegen den brutalen kolonisierenden Westen wieder Zuspruch.

Wenn der Islam sein Haupt wieder erhebt und von den westlichen Propagandisten zu weiteren Rechtfertigungen gewalttätiger Abgrenzungen genutzt wird, dann ist es ein Islam, den so der Westen selbst provoziert hat und weiter provoziert.

Es gibt bei Suliman keine politischen Empfehlungen für Wege aus der heutigen Lage.

Man sollte sich Gedanken machen über praktische menschliche Solidarität und sie praktizieren, wie dies viele Mitbürger insbesondere seit dem Flüchtlingsstrom 2015  getan haben und tun. Man sollte auch die auseinanderdriftenden Interessen der verschiedenen kapitalistischen Blöcke genau analysieren. Die USA haben ihre Kriege im betroffenen Raum vor allem zwecks Gewinnung strategischer Positionen im eurasischen Raum geführt und tun das noch weiterhin. Die engere Einkreisung Russlands mit Militärstützpunkten von Europa bis nach Afghanistan gehörte zu den erkennbaren strategischen Zielen; aber damit ist die Frage schon seit langem nicht erschöpft. Es geht längerfristig um das im Vergleich zu Russland längerfristig viel stärkere China und dessen Ambitionen, die Vorherrschaft der USA über den eurasischen Raum abzulösen. Die Interessen Europas unterscheiden sich hier sehr deutlich von denen der USA, aber auch von denen Chinas und in gewissem Umfang auch von denen Russlands. Mit solchen Verwüstungen jedenfalls, wie die USA sie in der unmittelbaren südöstlichen Nachbarschaft Europas anrichten, kann Europa nicht mehr leben. Die europäischen Staaten müssen hier versuchen, konstruktivere Rollen zu spielen. Angesichts ihrer eigenen kapitalistischen Ausbeutungsinteressen, die plastisch hervortreten z.B. in Fortsetzungsformen der früheren Kolonialpolitik Großbritanniens und Frankreichs, ist das keine unkomplizierte politische  Situation.

Sehr wichtig sind auch die kulturellen Fragen, bspw. wie man in Medien, Kultur und Alltag mit Fragen der islamischen Kultur und Mentalität umgeht. Angesichts der üblen imperialistischen Vergangenheit auch der europäischen herrschenden Klassen gegenüber den vorwiegend vom Islam geprägten Völkern des Vorderen und Zentralen Orients sind hier vor allem erst einmal Zurückhaltung und Sensibilität gefragt. Wie jede Kultur und Religion hat die islamische ihre konkreten Wurzeln in bestimmten Lebensverhältnissen, über die die Menschen selbst keine oder wenig Kontrolle gehabt haben und noch haben. Man kann die Menschen außer in individuellen Fällen nicht verantwortlich machen für Rückständiges – dessen es im übrigen auch in Europa noch mehr als genug gibt -, sondern muss sich auch selbst reflektieren, wenn man das Rückständige bei anderen kritisiert.

 

 

 

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Zum Andenken an Hartmut Dicke (Klaus Sender) – Politische Kreativität und kulturhistorische Sensibilität

Hartmut Dicke hat seine politische Tätigkeit im Rahmen der  – vorwiegend studentischen – revolutionären Aufwallungen Ende der 60er Jahre, vor rund 50 Jahren begonnen. Er wurde aufgrund seiner Einsatzbereitschaft, seiner Geradlinigkeit und intellektuellen Schärfe bald zu einer wichtigen Person in den zahlreichen Auseinandersetzungen innerhalb der damals entstehenden „ML“-Bewegung („Marxisten-Leninisten“) und der folgenden Bemühungen, eine KPD/ML zustande zu bringen.

Der letztliche Misserfolg dieser Phase,  der bald in einen Zustand organisatorischer Getrenntheit mehrerer KPD/MLs auslief, zwang ihm und einem Kreis von Mitkämpfern zunächst die ungewollte organisatorische  Form einer separaten KPD/ML mit dem unterscheidenden Zusatz „Neue Einheit“ auf.

Diese Organisation schaffte es in ständigen und scharfen Auseinandersetzungen mit dem politischen System der BRD  und mit anderen sich auf „den ML“ stützenden kommunistischen politischen Organisationen nicht einfach nur sich zu halten, sondern sich rasant politisch eigenständig zu entwickeln. Das wesentliche Verdienst liegt bei Hartmuts ständiger Arbeit an der politischen Analyse und seiner straffen organisatorischen Führung. Mitte der 90er Jahre benannte die Organisation sich um in „Gruppe Neue Einheit“.

Anfänglich in der ML-Bewegung von einer politischen Doktrin ausgehend, die auf dem theoretischen Studium früherer kommunistischer Bewegungen  und teilweise abstrakten oder irreführenden  Lehrsätzen fußte, entwickelte Hartmut Dicke im Rahmen der von ihm geführten Organisation vieles weiter, immer in Richtung größerer gesellschaftlicher Konkretheit und auch historischer Neubewertungen.

Die Auseinandersetzungen mit den jeweils aktuellen allgemeinen politischen Fragen hatten jederzeit große Spannweite. Sie reichten von der gewerkschaftlichen Arbeit im eigenen Land  zu den Fragen der Entwicklungen in China und zu der gesamten internationalen Auseinandersetzung mit Kapitalismus, Imperialismus und Sozialimperialismus. Immer zielte sie auf die Entwicklung einer internationalistischen revolutionären proletarischen Bewegung.

Die Stringenz der Beziehung auf die Gesamtheit des internationalen Klassenkampf  verschaffte der Organisation unter Hartmut Dicke im Lauf der Zeit immer mehr reales Wissen und die Fähigkeit zu treffenden Analysen.

Herausragende Beispiele hierfür bereits aus der Zeit ab 1975 sind z.B. der Kampf gegen die beginnenden Produktionsverlagerungen, gegen die sog. „Kampagne gegen Kernenergie“ und überhaupt gegen grün-alternative Vorstellungen, deren innerster Antrieb aus der vergeblichen Hoffnung sich speist, den Kapitalismus irgendwie letztlich zu konsolidieren – und die verblödende imperialistische Privilegiertheit reicher Nationen auf die Spitze zu treiben.

 

Hartmut Dicke stieg bis zu seinem überraschenden und noch immer ungeklärten Tod im April 2008 immer tiefer auch in übergeordnete Fragen der Entwicklung des Sozialismus und Kommunismus weltweit ein. Es entstanden bspw. Analysen der zum Sozialimperialismus degenerierten Sowjetunion,  zur Rolle Mao Zedongs und insbesondere der Kulturrevolution in China und zur Entwicklung des Drei-Welten-Schemas der internationalen Politik unter Mao.

Viele dieser Ergebnisse wurden im Rahmen der Möglichkeiten der Organisation in die öffentliche Diskussion eingebracht, dazu zählen auch Millionen im Lauf der Jahrzehnte verteilte Flugblätter für Betriebe und andere Teile der Öffentlichkeit. Ab Ende der 90er Jahre gewann dann die Propaganda im Internet immer mehr an Bedeutung.

Die Organisation beteiligte sich auch  immer wieder an gemeinsamen Aktionen, Demonstrationen, Kampagnen zusammen mit anderen Kräften, so z.B. gegen die Unterdrückung der Palästinenser (1982), gegen die Irak-Kriege der USA und Verbündeter 1991 und 2003, gegen den NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999, gegen die Hartz-Gesetze usf. Sie war jederzeit auch stark praktisch engagiert.

 

Aus  dieser Entwicklung muss aber jedenfalls eine Reihe ungewöhnlicher historischer und kulturkritischer Ausarbeitungen Hartmuts besonders herausgehoben werden, die seit 1989 bis 2008 entstanden sind und meiner Meinung nach weiterhin für linke und demokratische Kräfte wichtige Grundlagen, jedenfalls aber enorme Anregungen bieten. Sie haben große Bedeutung, und dies auch  im internationalen Rahmen  .

Hier ist vor allem die Schrift „Leninismus und Zivilisation, Einführung zur Kritik“ zu nennen  (1989, erschienen noch unter dem Pseudonym Klaus Sender).

In der Auseinandersetzung mit Lenins Weg in der  Agrarfrage Russlands, zentriert um die Frage der russischen Dorfgemeinschaft und um die Gegensätze zwischen Lenin und den Bolschewiki einerseits, Marx und Engels andererseits, legte Hartmut Dicke Grundlagen dar für das Verständnis der Entwicklung der europäischen Kultur im allgemeinen wie auch der speziellen Grundprobleme der weiteren Entwicklung der russischen Revolution.

(Meines Erachtens ist die Sowjetunion letztlich auch, und vielleicht gerade wegen, schwerer Fehlentwicklungen in der Agrarfrage  vom revolutionären Entwicklungsweg immer mehr abgekommen und von Bürokratismus, Schematismus und Chauvinismus  schließlich überwunden worden.  Das steht so nicht bei Hartmut Dicke, aber er liefert mehr als nur Hinweise, dass die Entwicklung von solchen Ausgangspunkten aus aufgeschlüsselt werden könnte.)

Eine andere bedeutende Arbeit: „José Carlos Mariátegui und kulturelle Fragen der peruanischen Revolution“ (1997, ebenfalls noch unter dem Pseudonym Klaus Sender).

Mit der Arbeit „Über die Herkunft des Judentums – Entwicklung und Bedeutung“ (2003) hat es Hartmut Dicke unternommen, kulturelle Grundfragen, die uns bis heute in vielfältiger Form bewegen, von ihrer Entstehung her zu beleuchten, die im 2. und 1. Jahrtausend v.u.Z. anzusiedeln ist.

Überhaupt befasste sich Hartmut Dicke, neben ständig fortgesetzter tagespraktischer Tätigkeit, immer intensiver mit langzeitigen kulturellen und historischen Voraussetzungen der Möglichkeit heutiger revolutionärer Bewegungen. Sein umfangreiches und präzises historisches Wissen und seine Feinfühligkeit in kulturellen Dingen unterscheiden ihn von Schematikern.

Neben der Kritik an Lenin sind hier zu nennen mehrere Komplexe, die intern bearbeitet und diskutiert wurden, aber leider nicht mehr das Stadium abgeschlossener öffentlicher Beiträge erreicht haben: so zur chinesischen Geschichte und Kultur, zu modernen weltanschaulichen Richtungen wie der „Frankfurter Schule“, und schließlich, wohl das wichtigste Projekt überhaupt, zur Kritik an Marx.

Hartmut Dicke zeigte sich fähig alles zu prüfen und, wenn notwendig, scharf zu kritisieren, was ursprünglich unter dem Stichwort „Marxismus-Leninismus“ als Grundlage und Ausgangspunkt genommen worden war und hatte gelten müssen. Die historische Konkretheit und damit die Tauglichkeit für die Fortsetzung der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, in welchen Formen auch immer, setzte er für seine Arbeit und die der Organisation fortschreitend durch.

Internationale kulturelle und kulturgeschichtliche Aspekte rückten dabei sehr stark ins Zentrum.

Diese sind weiterhin höchst produktiv; dem grassierenden linken (oder schon länger kaum noch linken) Dogmatismus und Ökonomismus gegenüber erst recht. Die Rolle der USA und des von ihnen vertretenen – und bis jetzt noch geführten – internationalen Kapitalismus hat eben auch sehr spezielle eigene kulturelle Grundlagen, ebenso die chinesische Revolution, und nicht zuletzt der heutige Aufstieg des auf seine eigene sehr spezielle Weise kapitalistischen, herausfordernden China.

Kurz vor seinem Tode konnte Hartmut Dicke noch eine Analyse zum Verhältnis von proletarischer Revolution und nationaler Frage Deutschlands veröffentlichen, unter dem  Titel „Die Doppellage am Ausgang des 1. Weltkrieges“ (2008).

Niemand ist ohne Fehler: Hartmut Dicke zögerte manchmal zu lange, sich von lange gehegten Anschauungen zu trennen; er beklagte selbst mitunter, dass er mit wichtigen Arbeiten zu spät in die Öffentlichkeit gelangt sei. Eine der Ursachen dürfte in einer gewissen Ablenkbarkeit und Provozierbarkeit durch nebensächlichere Felder von Auseinandersetzungen zu suchen sein. Ein besonders problematischer Fall einer zu lange konservierten persönlichen Beziehung gehört mit zu seinen Hemmschuhen.

Der nach Hartmut Dickes Tod bis heute noch unter „Gruppe Neue Einheit“ bzw. „Verlag Neue Einheit“  firmierende Restbestand an Personen, von dem ich mich ab dem Jahre 2010 getrennt sehen musste, hält immerhin das publizierte Erbe Hartmut Dickes öffentlich verfügbar. Was den eigenen Anspruch dieser Leute auf Fortsetzung seiner Politik betrifft, sieht es allerdings kümmerlich aus.

 

 

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