Hintergründe der Flüchtlingsströme

Auf Blogs, die ein wenig vom mainstream abweichen, wird die interessante Frage gestellt, ob hinter der Entfesselung von Flüchtlingsströmen durch die letztlich von den USA im Vorderen Orient und Nordafrika  inszenierten Kriege vielleicht geostrategische Motive der USA im Kampf gegen Europa stehen.

Es wird sogar die Vermutung geäußert, dass die Schlepper oder ein Teil derselben von den USA bezahlt werden.

http://www.konjunktion.info/2015/08/europa-und-fluechtlingsstroeme-innenpolitische-destabilisierung-durch-die-usa/

Das Thema ist allerdings hochkomplex. Z.B. gibt es auch einen regelrechten Sog von Millionen von Migranten nach Europa hinein, den gerade die deutsche Bourgeoisie verantwortet. Jahrzehntelang ist hier der eigene Nachwuchs systematisch gedrosselt worden, und jetzt erheben Arbeitgeber wie Daimler-Benz die Forderung, die bedrohlich wachsende Arbeitskräftelücke doch bitte mit den Flüchtlingen zu stopfen, die glücklicherweise gerade jetzt immer zahlreicher zu uns kämen.

Eine andere Facette des Problems: das reiche Europa und insbesondere Deutschland hätte durchaus Möglichkeiten, zahllosen entwurzelten Menschen aus den Kriegsländern Hilfe in allen möglichen Formen zu gewähren, sie hier anständig zu behandeln und so langfristig auch die Beziehungen zu diesen vom Imperialismus hart gebeutelten Ländern und Kulturen, insbesondere muslimischen, auf eine neue bessere Basis zu stellen. Damit ist natürlich nicht gemeint, den negativen Komponenten wie Islamismus (Eroberungs- und Unterwerfungs-Bestrebungen gegenüber der verhassten überlegenen modernen westlichen Zivilisation) Spielraum zu gewähren.

Letzteres, by the way, ist ebenfalls eine Tendenz, die auch in gewissen Spitzen unserer „eigenen“ europäischen Bourgeoisie spürbar ist – Islamisten als permanente Geißel gegenüber der eigenen vielleicht zu anspruchsvollen, demokratischen und zivilisierten Bevölkerung, ähnlich wie man sich früher faschistische Strömungen zur Unterdrückung früherer demokratischer und sozialer Bewegungen gezüchtet hat.

 

 

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Die chinesische Kulturrevolution 1966-76 und die Ansichten William Hintons zum imperial-bürokratischen Apparat

 

 

Ich hatte schon seit längerem vor, aufgrund der Lektüre des US-amerikanischen Autors William Hinton, auf bestimmte Fragen zur jüngeren chinesischen Geschichte und Gegenwart zurückzukommen, mit denen er sich in seinen Büchern intensiv auseinandergesetzt hat. Weil seine wichtigsten Werke nicht auf deutsch erschienen sind, möchte ich zunächst einmal vor allem Hauptaussagen Hintons für Leser wiedergeben, die keinen Zugang zu den englischen Ausgaben Hintons bzw. keinen Nerv für umfangreiche Buchlektüre haben.

Hinton behandelte zunächst die große Landreform Chinas Ende der 40er Jahre, die vor der Gründung der VR China 1949 in den bereits von der Guomindang- Herrschaft befreiten Gebieten begonnen hatte und teilweise erst nach 1949 abgeschlossen wurde. Damals wurde das System der Herrschaft des Grundbesitzers auf dem Lande abgeschafft und durch eine weitgehend gleiche Verteilung des Bodens und der übrigen ländlichen Produktionsmittel wie Geräte, Bauten, Vieh etc. an die einzelnen bäuerlichen Bürger Chinas ersetzt.

Diesen Zeitabschnitt hat Hinton in seinem international bekanntesten, auch auf Deutsch erschienenen Werk „Fanshen“ breit geschildert. Das Werk erschien 1966 und in deutscher Übersetzung 1972.

Im weiteren verfolgte Hinton die auf de Landreform aufbauende genossenschaftliche Bewegung auf dem Lande, der- so kann man sagen – sein ganzes Herz gehört, auch im Hinblick auf ihre beispielhafte Bedeutung für die zahlreichen anderen Länder des Globus, die noch unentwickelt, hauptsächlich noch agrarisch geprägt sind. Er hat die Entwicklung des chinesischen Genossenschaftswesens im Laufe der Jahre an verschiedenen Stellen des großen Landes selbst miterlebt, zahllose Interviews geführt, selbst als ausgebildeter Agrarexperte praktische Beiträge geleistet; und den Umsturz des Genossenschaftswesens durch das Regime des Deng Xiao-ping und seiner Nachfolger, beginnend mit den 80er Jahren, schließlich heftig kritisiert.

Einen andere Facette seines schriftstellerischen Lebenswerkes betrifft die Auseinandersetzung mit der Politik Mao Zedongs, mit dessen Wirken auf die chinesische Gesellschaft und die Kommunistische Partei Chinas, und insbesondere mit der Bedeutung und dem konkreten Verlauf der Kulturrevolution, der letzten großen inneren Initiative Mao Zedongs aus der Mitte der 60er Jahre. Natürlich sind die Fragen der genossenschaftlichen Entwicklung in der chinesischen Gesellschaft und die Fragen der Politik Mao Zedongs , insbesondere der Kulturrevolution , miteinander eng verzahnt, und so werden sie von Hinton auch behandelt.

Über die Bedeutung des genossenschaftlichen Zusammenschlusses auf dem Lande schreibt Hinton zusammenfassend in der Vorbemerkung seines großen Buches „Shenfan“ (erschienen 1983, fast 800 S.[1]) das Folgende – man kann es als eine Art Credo des Verfassers nehmen:

„Im Gegensatz zur Landreform, einem einmaligen Umsturzakt an der Basis, der das Eigentum drastisch umverteilte und den Boden für die Selbstverwaltung der [Dorf-]Gemeinschaft legte, hat sich die genossenschaftliche Bewegung als ‚Hundert-Jahre-Aufgabe‘ entwickelt, die diskontinuierlich fortschreitet, mal links, mal rechts steuert, ohne Ordnung zurücktaumelnd, sogar zuweilen einschlafend, nur um wieder Energie zu gewinnen und auf wirklich bemerkenswerte Errungenschaften zuzulaufen wie die tausendprozentigen Ertragssteigerungen mancher Einheiten und sogar mancher Landkreise und die Verdopplung der Getreideernte im nationalen Rahmen seit 1952. [Hier Fußnote Hintons: China beansprucht eine Verdreifachung seit 1949, aber 1949 war ein ungewöhnlich schlechtes Jahr. 1952 hatten die Bauern die normale Produktion in der Höhe von 150 Mio. metrischen Tonnen wiederhergestellt. Seitdem haben sie sie zu einer stabilen Höhe von über 300 metr. Tonnen gesteigert, was eine reichliche Verdopplung des Ertrags bedeutet.] Scharfer Konflikt, ungleiche Entwicklung, qualitative Sprünge abwechselnd mit Stagnation und plötzlichem Zusammenbruch haben den Prozess von Anfang an charakterisiert. Während etwa ein Drittel der Einheiten sich in den letzten Jahren gut entwickelt haben, haben feudaler Stil, despotische Herrschaft, extreme Gleichmacherei oder einfach schlechtes Management ein weiteres Drittel am Aufholen gehindert. Viele im unteren Drittel brauchen massive Kredite oder staatliche Hilfen, um sich von Jahr zu Jahr durchzuschleppen. Trotz aller Schwierigkeiten haben nationale Führer, bis vor kurzem zumindest, eine Fassade aufrechterhalten, alle Probleme zu lösen, seien es objektive oder subjektive, die der genossenschaftlichen Agrikultur im Weg liegen. Im Lauf der Jahre haben sie eine große Armee ländlicher Kader und Bauern-Aktivisten organisiert, die ihre Leben der Aufgabe widmen, das System zum Funktionieren zu bringen. Die meisten Männer und Frauen, deren Geschichten diese Seiten füllen, sind Freiwillige in dieser Armee.

Shenfan erzählt, wie die Produzenten von Long Bow[2] mit krampfartiger gegenseitiger Hilfe begannen und lernten zusammenzuarbeiten; wie sie Land, Vieh und Arbeitsgerät zusammenlegten, um eine lebensfähige Genossenschaft zu schaffen, und wie sie ihre Genossenschaft mit anderen verbanden, um eine Assoziation, genannt Kommune, zu schaffen. Es erzählt wie die Bauern von Long Bow, nachdem kollektive Arbeit allgemein geworden war, einen großen Sprung versuchten – Eisenbarren aus lokalen Erzen schmolzen; Dämme, Staubecken und Eisenbahndämme in Handarbeit errichteten; und ihr Land tiefpflügten in der Hoffnung auf Rekordernten, nur um unter Fehlernten und Bankrotten von Nebengewerben zu leiden, als Dürre das Land versengte und riesige, zentralisierte Arbeitseinheiten durch Mangel soliden Managements untergingen.

Shenfan geht weiter mit dem Bericht über einen Rückzug auf das private Unternehmertum anfangs der 60er Jahre, über das darauf folgende wiedererwachende Organisieren von Kooperativen, und über die Mobilisierung der Bauern von Long Bow zur ‚Bombardierung des Hauptquartiers‘, zum Sturz aller etablierten Führungen und zum umfassenden Ändern der Welt, in der Kulturrevolution ; ein Antrieb, der die Dorfgemeinschaft spaltete, verstockte Fraktionen schuf, die Macht um der Macht willen wollten, und engagierte Kämpfer in einen umfassenden Bürgerkrieg trieb. Es berichtet, wie die Befreiungsarmee einen windschiefen Frieden erzwang und wie Parteiführer mit geringem Erfolg versuchten, Volk und Kader zu vereinigen, das normale Leben an der Basis wiederherzustellen und neue Produktionsschübe zu entfachen.

Shenfan endet im Herbst 1971 in der Zeit einer tiefen Krise, sowohl auf der lokalen wie der gesamtstaatlichen Ebene. Mit der Beendigung der Kulturrevolution , Mao alt und krank, Lin Biao tot und Chou En-lai unter Beschuß einer ultralinken Fraktion um Maos Frau, legte sich der Fraktionskampf in Long Bow und Umgebung, aber böses Blut blieb. Alarmrufe von ‚Klassenkampf‘ fachten neue Konfrontationen an, während die gewöhnlichen Leute langsam wieder auf die Beine und ins neue Jahrzehnt kamen.

1980 kamen alle diese Probleme zusammen und einige von ihnen fanden eine Lösung. Ein drittes Buch, Li Chun, wird erzählen, wie die Bauern von Long Bow ihre Gemeinschaft erneut organisierten; wie eine Verbindung alter und neuer Aktivisten die Leute zusammenbrachte, die Hindernisse für die Produktion analysierte und ihre Genossenschaft zu einem bemerkenswerten Durchbruch im Ackerbau, der Farm-Mechanisierung und der Kleinindustrie führte; wie sich Long Bow innerhalb weniger Jahre von einem problembeladenen, spaltungsgefährdeten Kaff in eine sehr erfolgreiche Brigade verwandelte.“

(„Shenfan“ , Preface, S. XVI f. -meine Übersetzung, wie auch in den folgenden Zitaten. Das hier angekündigte dritte Werk über Long Bow ist nicht erschienen, wahrscheinlich weil in den 80er Jahren die neue chinesische Führung zur Zerstörung des Genossenschaftswesens ansetzte, sie durchzog und Hinton, der der neuen Führung zunächst politischen Kredit gewährt hatte, zu einer scharfen Abrechnung in dem Buch „The Great Reversal – the Privatization of China“ gezwungen hat.)

In diesem Abschnitt aus „Shenfan“ fällt eine recht negative Einschätzung der Periode der Kulturrevolution auf. Sie steht in deutlichem Gegensatz zu der positiven Wertung in zwei Büchern, die Hinton früher, aufgrund seiner Besuche und Interviews in China im Jahre 1971, herausgebracht hatte[3]. Ebenso steht sie im Gegensatz zu seiner späteren Analyse in dem Werk „Through a Glass Darkly“ (2006)[4], in dem er die gesamte historische Auseinandersetzung Mao Zedongs mit dem konservativen Apparat nochmals vornimmt. Hier kommt Hinton abschließend zu einer durchgängigen Rechtfertigung von Mao Zedongs wiederholtem Kampf gegen die  parteiinternen Widersacher wie Liu Shao-chi, dem Kampf für den Durchbruch der modernen Kräfte, für die Umwälzung von Produktion und Gesellschaft in Richtung kollektiven Eigentums und sozialer Kooperation.

Bevor ich Hinton das Wort gebe, zunächst mit seiner vorwiegend negativ getönten Einschätzung des unglücklichen Verlaufs und der belastenden Ergebnisse der Kulturrevolution , wie er sie in „Shenfan“ 1983 vorträgt, und schließlich mit seiner letzten durchgreifenden Rechtfertigung Mao Zedongs in „Through a Glass Darkly“ 2004, möchte ich meine eigene Sicht der politischen Rolle Mao Zedongs formulieren. Die Differenzen und die spezifischen Beobachtungen Hintons sollen schließlich im letzten Teil dieser Arbeit den Ausgangspunkt für einige Absätze bilden, in denen ich versuche, etwas zur historischen Funktion der Kulturrevolution in ihrer Zeit zu formulieren, aber auch zur Frage, ob sie doch auch für zukünftige Entwicklungen etwas zu sagen hätte.

Mao Zedongs historische Leistung

Meine eigene Sicht dazu möchte ich kurz folgendermaßen umreißen[i]:

Mao Zedong war ein kommunistischer Politiker, ein Kämpfer für eine sozialistische Umgestaltung Chinas und gleichzeitig der wichtigste Führer des chinesischen Volkes während der langdauernden Kämpfe um die nationale Unabhängigkeit (von Japan, von den USA). Er kämpfte für die Überwindung des grundbesitzerlichen und kapitalistischen Eigentumssystems. Gleichzeitig war Mao Zedong ein entschiedener Kämpfer für den Aufstieg der gesamten früher kolonialen Welt aus kolonialer und neokolonialer Abhängigkeit. Er setzt sich u.a. auch entschieden für die Interessen der europäischen Völker und Staaten gegenüber der Bevormundung durch USA und Sowjetunion ein und gewann insbesondere in den 70er Jahren auch in führenden kapitalistischen Schichten vieler Länder Anerkennung, sogar Bewunderung und politische Bundesgenossen (davon wollen seit längerem die offiziellen Meinungsmacher dieser Länder nichts mehr wissen). In der VR China entwickelten sich unter seiner Führung zahlreiche neue Formen von Gemeinbesitz und Kooperation in der Produktion, auf elementarer Ebene wie im chinesischen Dorf ebenso wie auf mittleren (Volkskommunen) und staatlichen Ebenen. Mittels dieser neuen Strukturen konnten Hungersnot und Arbeitslosigkeit besiegt und die umfassenden Grundlagen in Industrie und Infrastruktur gelegt werden, denen die spätere kapitalistische Wendung ab etwa 1980 überhaupt erst die Chance zu rascher Entwicklung verdankte.

Die Formen von Gemeinbesitz und Kooperation in Produktion, Handel, Dienstleistungen und Verwaltung, die in China während der Wirkungszeit Mao Zedongs (bis 1976) zu erheblichen Teilen erfolgreich sich entwickelten, sind im wesentlichen durch seine politische Initiativen inspiriert und durchgesetzt worden, gegen ständige Widerstände nicht nur in der Gesellschaft seitens der enteigneten früheren Besitzerklassen, vor allem der Grundbesitzerklasse, sondern auch in der eigenen Partei. In der KPCh konzentrierte sich sogar, so merkwürdig das für heutige Außenstehende vielleicht klingen mag, der Widerstand gegen die neuen gesellschaftlichen Formen, und dies in einem Maße, dass Mao Zedong selbst aufgrund zahlloser widriger Erfahrungen sich zu der drastischen Feststellung gezwungen sah: ihr wisst nicht, wo im sozialistischen China die Bourgeoisie zu finden ist? Sie sitzt mitten in der KP.

Die Geschichte der immer neuen Vorstöße Mao Zedongs und seiner Anhänger gegen die Kräfte der Restauration des alten China, gegen die Herausbildung eines kapitalistischen China und gegen den konzentrierten Ausdruck dieser Tendenzen in der eigenen Partei, die Geschichte der zahllosen Gegenmaßnahmen und Gegenstrategien seiner Gegner kulminierte in der Etappe der von Mao Zedong so genannten Großen Proletarischen Kulturrevolution , die er von 1965 an direkt propagierte und in Gang setzte.

Anders sah Mao Zedong keinen anderen Weg mehr zur Überwindung seiner innerparteilichen Gegner, insbesondere zur Überwindung einer parteiautoritär geleiteten Transformation Chinas in eine neue Klassengesellschaft. Er hatte das abschreckende Beispiel der Sowjetunion einschließlich des damaligen sog. Ostblocks vor Augen und baute auf seine eigene schon seit vielen Jahren sich entwickelnde Kritik der sowjetischen Entwicklung, die bereits im Jahre 1963 in aller Härte in der „Großen Polemik“ öffentlich gemacht worden war.

Die Kulturrevolution begann mit dem Aufruf an die lernende und studierende Jugend zur Rebellion gegen die verknöcherten, am Alten und den Ideen der Ausbeutung festhaltenden Autoritäten in Schule und Hochschule. Sie führte in China zu riesigen, völlig neuartigen und oft sehr selbständigen Massenaktionen zunächst dieser Jugend; in der weiteren Entwicklung zur Einbeziehung der großen Masse der Bauern und Arbeiter in die Kritik; zu beispiellosen Konfrontationen in der ganzen Gesellschaft bis hin zum Bürgerkrieg – der von Mao Zedong weder erwartet noch befürwortet wurde und schließlich, als die Dinge völlig außer Kontrolle zu geraten drohten, mithilfe der Armee und noch intakter Teile der KPCh in jahrelangen weiteren Auseinandersetzungen beendet werden musste.

Die Kulturrevolution führte aber auch zu zahllosen in China bisher unerhörten großen Neuerungen, darunter Elementen direkter Demokratie in den Dörfern und Industriebetrieben, zu ganz neuen Formen der Beteiligung der in China traditionell völlig abgehoben lernenden und studierenden Jugend, die der herrschende bürokratische Apparat zum Nachwuchs heranzuziehen gewohnt war, am Leben der körperlich arbeitenden Mehrheit in der landwirtschaftlichen und der industriellen Produktion. Sie führte zur Erziehung der Partei- und Verwaltungskader an eben derselben Basis, zu vielen technischen Neuerungen und schließlich auch zu einem neuen kritischen Verhältnis der Nation zur eigenen Geschichte und Kultur. Die kulturhistorisch überaus bedeutsamen Ausgrabungen bspw. der berühmten Terrakotta-Armee des Ersten Kaisers aus dem 3. Jh. vor unserer Zeitrechnung und die Analyse dieser Epoche sind bspw. ebenfalls eine Errungenschaft der Kulturrevolution , was einen recht deutlichen Kontrast zu den noch heute von unseren Medien einfallslos wiederholten Anschuldigungen bildet, die Kulturrevolution habe das kulturelle Erbe Chinas vandalisiert.

Die Kulturrevolution fand weltweit ein begeistertes Echo vor allem in großen Teilen der Jugend und führte der Politik Mao Zedongs eine große zusätzliche internationale Anhängerschaft zu .

Soweit eine kurze und vereinfachend gefasste Rekapitulation damaliger Ereignisse, über die heute, wenn überhaupt, in unseren westlichen Qualitätsmedien nur grob Denunziatorisches, nichts Essentielles, bestenfalls negativ-Anekdotisches zu finden ist.

 

Nun aber soll also Hinton zu Wort kommen.

Hintons Kritik an der Kulturrevolution

Hinton hat die Kulturrevolution zunächst voller Überzeugung selbst stark propagiert, sich dann in „Shenfan“ (1983) aber sehr verunsichert gezeigt und sich viele Gedanken über die Gründe des, wie er es auffasste, historischen Scheiterns der Politik Mao Zedongs gemacht. Er sah das, was er selbst propagiert hatte, gescheitert, Schließlich hat er angesichts der immer radikaler sich ausformenden kapitalistisch- bürokratischen Wende unter den Nachfolgern Mao Zedongs in seiner letzten Schrift „Through a Glass Darkly“[5], einen wiederum anderen Ansatz versucht zum Verständnis der Gesamtentwicklung.

Im Zentrum seiner kritischen Überlegungen steht die Frage des traditionellen chinesischen Staatswesens und seiner Weiterexistenz in der Moderne. So schreibt er in „Through a Glass Darkly“ (S. 88f.):

„Für Neulinge in der Materie: ich neige zur Zustimmung, dass der neue chinesische Staat eine bestimmte Art von neo-feudalem Gebilde ist, das dem chinesischen Staat vergangener Feudalepochen sehr ähnelt. Im Laufe von mehreren tausend Jahren nahm die Regierung Chinas, die als ein Gebilde der direkten Repräsentanz der großen Grundherren und als Mittel ihrer Interessen begann, nach und nach ein unabhängiges Eigenleben an.“

Rückblick: die imperial-bürokratischen Strukturen Chinas

Unter Qin Shihuangdi, dem “Ersten Kaiser“ (autokratischer Herrscher des von ihm durch Eroberungen schließlich zusammengefassten großen Reiches von 221 bis 210 v.u.Z.) wurde das chinesische imperiale System errichtet, dessen wesentliche Strukturen bis ins 20 Jh. überdauert haben. „..mit der durch ihn [Qin Shihuangdi] begründeten Herrschaftsform [treten] bereits alle Besonderheiten des chinesischen Kaiserreiches zutage…., die für die gesamte Kaiserzeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts kennzeichnend geblieben sind.“ (Helwig Schmidt-Glinzer, Das Alte China. Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert“, 1995, S. 38; andere Historiker stimmen in den Grundzügen überein)

Als die wichtigsten dieser Besonderheiten wären zu nennen die Zusammenfassung und Kontrolle des gesamten Herrschaftsgebiets durch einen Beamtenapparat, der vom Kaiserhof zentral berufen und dort verantwortlich war. Die Beamten konnten abgesetzt werden. Steuern und Militärwesen wurden durch diesen Apparat am Kaiserhof zentralisiert. Nachdem der Erste Kaiser die älteren Strukturen von Landwirtschaft (Brunnenfeldsystem), Herrschaft (regionale Herrschaften der Clans mit ihren quasi aristokratischen dynastischen Spitzen) und Kult (Ahnenkult), wie sie in den Lehren des Konfuzius sich widerspiegeln, zum großen Teil zerschlagen, die Lehren der dem Konfuzianismus feindlichen legalistischen Schule umgesetzt, ein direktes Verhältnis der zentralen kaiserlichen Herrschaft zu den Bauernmassen errichtet und die Konfuzianer verfolgt hatte, kam es unter der folgenden Han-Dynastie (202 v.u.Z. – 220 n.u.Z.) und im weiteren zu Modifikationen des Systems. Als Zwischenklasse zwischen den Bauernmassen und dem Herrscher etablierte sich im Lauf der Zeit eine Grundbesitzeraristokratie (gentry), die die unmittelbare Ausbeutung der Bauern betrieb. Aus ihren Reihen, kaum aus anderen Bevölkerungskreisen, wurde die Beamtenschaft rekrutiert, die ihre Befähigung durch ein System rein formalistischer literarischer Prüfungen beim kaiserlichen Apparat zu erweisen hatte. Wesentliche Elemente der konfuzianischen Doktrin wurden in die offizielle Morallehre re-integriert. Durch die weitgehende Verfilzung des Beamtentums mit der lokalen Gentry waren Machtlosigkeit der Bauern und Willkür der lokalen Machthaber garantiert. Die Bauernschaft war spätestens im 19. und 20. Jh. größtenteils völlig verarmt, besaß zu großen Teilen nur noch winzigen eigenen Grund bzw. Pachtstücke, während die Gentry sich große Teile der agrarischen Produktion aneignete, aber wenig Neigung zeigte, mit diesen Erträgen die Produktion zu verbessern, zu modernisieren oder andere Zweige der Volkswirtschaft zu entwickeln. Die sozialen Widersprüche und die Rückständigkeit des gesamten Systems spitzten sich im 19. und 20. Jh. schließlich derart zu, dass China gegenüber ausländischen Mächten weitgehend wehrlos (Bsp. die Opiumkriege Großbritanniens) und im Inneren von Aufständen geschüttelt wurde, was schließlich im Jahre 1911 zum Sturz der letzten kaiserlichen Dynastie führte.

Kennzeichnend für die chinesische Mentalität wurde aufgrund solcher Strukturen u.a. eine tief eingewurzelte Arroganz der administrativen, mit der agrarischen Ausbeutung an der Basis verfilzten Schichten gegenüber der Masse der Produzenten (v.a. der Bauern), ein Kult einer völlig verstaubten, weitgehend wissens- und wissenschaftsfreien, vor allem traditionalistisch-literarischen Bildung und eine Verachtung der illiteraten großen Masse – Faktoren, die Europäern mit ihrer schon recht langen Vergangenheit unterschiedlichster Wirtschafts- und Herrschaftsformen, mit allgemeiner Schulbildung und relativ großer sozialer Mobilität wahrscheinlich nur schlecht vorstellbar sind. Die Politik Mao Zedongs griff diese und andere Grundlagen der chinesischen Tradition von der Wurzel her an, und von daher kann man vielleicht etwas von dem Fanatismus und der Hartnäckigkeit verstehen, mit der ihre bisherigen Nutznießer reagierten. Dieser Widerstand wird von Hinton zum Thema gemacht, wobei er insbesondere auf das Weiterleben der Traditionen im Apparat der KPCh selbst und des von ihr geleiteten Staates zielt.

Ein Nebenaspekt dieser kurzen Zusammenfassung wäre der prinzipielle Unterschied zwischen dem europäischen Feudalismus und dem geschilderten chinesischen Besitz- und Herrschaftssystem. Zwar liegt in der Dominanz einer grundbesitzenden Aristokratie eine gewisse Gemeinsamkeit, und es bezeichnen bestimmte chinesische Autoren, Hinton selbst auch, das chinesische System als „Feudalismus“; jedoch sind die Unterschiede höchst gravierend. Es gibt in Europa während des gesamten Mittelalters keine der chinesischen auch annähernd vergleichbare Zentralisierung und Verbeamtung der Macht. Die europäischen Feudalrechte sichern zumeist eine gewisse Unabhängigkeit und Unveräußerlichkeit der einzelnen aristokratischen Herrschaftsbereiche, Familien und Dynastien gegenüber den zentraleren Mächten wie etwa dem mittelalterlichen deutschen Kaisertum oder auch späteren sich abzeichnenden Nationalstaaten wie Frankreich oder England. Die Städte Europas – es gibt in China kaum Parallelen – stehen seit dem Mittelalter zunehmend der gesamten aristokratischen Machtausübung entgegen, haben oft Selbstregierungen und bringen aufgrund ihrer ökonomischen Innovationen die gesamte Gesellschaft in Bewegung. Außerdem herrscht in Europa bis in die Neuzeit die Konkurrenz zwischen der geistlichen Macht (katholische Kirche) und den „weltlichen“ Machtzentren. Theokratie kann sich nicht etablieren, vielmehr tragen die Machtzersplitterungen und permanenten Kämpfe auch zur Konkurrenz in Religion und allgemein in der Kultur bei.

 

Weiter bei Hinton:

Er zitiert anschließend, was er bereits 1983 in Shenfan geschrieben hatte (S. 766f.):

„Heute scheint es klar, dass dieser traditionelle Staatsapparat sich mit der Zeit zu einem autonomen Gebilde entwickelt hat, das eine raison d‘être und ein Ziel hat, die sich von denen der Klasse unterscheidet, die ihn geboren hat.[6] Die chinesische Revolution des 20sten Jahrhunderts /767 stürzte und enteignete die Grundbesitzer durchgreifend und zerstörte sie als Klasse. Sie schuf jedoch erneut eine bürokratische Infrastruktur, die frappierend an diejenige erinnert, die von früheren Dynastien aufgebaut wurde, deren Wurzeln im Grundbesitzertum lagen. Kommunistische Funktionäre machten es sich leicht damit, den demokratischen Zentralismus der europäischen Arbeiterbewegung auf das bürokratische zentralistische Herrschaftssystem aufzupropfen, welches sie von ihren Vorfahren geerbt hatten. Es braucht nicht gesagt zu werden, dass nicht viel von dem ersteren überlebte. Diese Funktionäre perfektionieren ihre Rolle als moderne Mandarine, sie zeigen nun eine Solidarität, eine Zähigkeit, eine Flexibilität, eine Kompetenz und eine Raffinesse, die erstaunen lassen – insbesondere wenn sie zur Verteidigung ihrer Karriereinteressen mobilisiert sind. Insgesamt gesehen ähnelt der Staatsapparat einem sich selbst erneuernden, aus Myriaden von Zellen bestehenden Korallenriff, fest gegründet auf dem Felsen und nach oben geschützt durch widerstandsfähige vielschichtige Verteidigungsschirme. Es kann vor einer fremden Kraft, die eine Attacke wagt, zurückweichen, um sie dann zu umschließen und bewegungsunfähig zu machen. In dieser Weise brachten es die angegriffenen Bürokraten der sechziger Jahre fertig, nicht ohne Stil und Finesse, sämtliche Kampagnen, die Mao gegen sie ins Werk setzte, wie massiv sie auch waren, zum Halten zu bringen, sie aufzubrechen und schließlich zu absorbieren.“

In „Shenfan“ (S. 767f.) hatte es zur Detaillierung dieser Sicht weiter geheißen:

„Mao konnte nicht weit vorankommen mit der Mobilisierung allein von jungen Arbeitern, Bauern und Studenten, wenigstens teilweise weil die Menschen auf dem Niveau der Gemeinden keine garantierten Rechte und keine institutionalisierte Macht hatten. Er musste Staatskader gegen den Staat benutzen, untere Kader gegen höhere Kader, Kader von außen gegen Kader von innen – selten aber fand sich der Kader, der nach dem Gewinn einer Stellung mit Prestige und Einfluss es unterließ, diese Stellung auf jede Art und Weise zu untermauern, die man von der Tradition kennt, und auf diese Weise in Wirklichkeit genau das System verstärkte, das er oder sie ursprünglich zu transformieren angesetzt hatte.

Die meisten Staatskader, auch wenn sie für die Ziele der Kulturrevolution Lippenbekenntnisse abgaben, betrachteten Maos ungeregelte Herausforderungen gegenüber etablierten Institutionen, Kultur und Politik als tödliche Gefahr für den ordentlichen Gang der Regierung und, was noch schlimmer war, für ihre Karrieren. Beunruhigt und alarmiert, ließen sie es sehr langsam angehen, um jede Volksbewegung daran zu hindern in Gang zu kommen. Wenn das nicht klappte, verfielen sie darauf, eigene ‚Rebellen‘-kräfte zu organisieren, um etwas in der Hand zu haben, wenn es Zeit zu einer Regelung würde. Begeisterte Anhänger verführten manche davon zu extremen Aktionen. Andere förderten Extreme zur Ablenkung und Unterbrechung. Sie verstanden, dass Chaos, klug gefördert, die Rückkehr zum status quo ante sichern und ihre Fähigkeit bewahren konnte, darin einen Fuß zu behalten. Wenn die Revolution zum Erliegen kam, wenn das unvermeidliche Debakel heranreifte, schlossen sie sich zwecks Rückkehr zur ‚Normalität‘ zusammen. Einen gesellschaftlichen Komplex mit solchen beträchtlichen Verteidigungsfähigkeiten kann man nicht leicht führen, herumkriegen oder in den Wandel treiben. Nur ein gutorganisiertes und mobilisiertes Volk mit einem gewissen Maß an ökonomischer Unabhängigkeit kann überhaupt Wandel auf die Tagesordnung setzen.

Zusammenfassend: China nach der Befreiung entwickelte sich mittels einer Reihe wellenartiger Bewegungen und Rückzüge. Mao entfesselte immer wieder begeisterte Massenbewegungen des Volkes. Im Voranstürmen bedrohten sie alles, was ihnen im Weg stand, gefährdeten die Vorrechte und Karrieren zahlloser Beamter, die im Rückgriff auf die Tradition und auf die Solidarität ihrer Kollegen zählend, jeden Volksvorstoß parierten, umleiteten, blockierten oder auch kooptierten. Solange Mao noch lebte, endete jede Konfrontation im Patt. Nach seinem Tod – le déluge rückwärts.

/768 Die Reihe von politischen Patts der maoistischen Ära ähneln, wenn man zurückblickt, demjenigen, das Heine in seinem Gedicht über Gott und den Teufel beschreibt.

‚Du kannst nicht schaffen‘, sagt Gott spöttisch zum Teufel.

‚Nein,‘ antwortet der Teufel, ‚aber ich kann alles, was du schaffst, ruinieren.‘[7]

Fast, aber nicht ganz.

Selbst wenn von Mao inspirierte Massenbewegungen ihre Ziele bei weitem nicht erreicht haben, selbst wenn sie keine institutionellen Alternativen haben schaffen können, welche die neuen sozialistischen Produktionsverhältnisse speisen könnten, die sozialistische Kultur und die kontinuierliche sozialistische Entwicklung, die Mao für essentiell hielt, so haben sie doch Hunderte von Millionen in ungeahnte politische Aktion gebracht, haben sie dazu gebracht, jede Facette der chinesischen Kultur zu überprüfen, und haben ihre Mentalität drastisch geändert. Wenn jetzt Verlautbarungen von oben kommen, nehmen gewöhnliche Menschen, insbesondere junge, sie nicht mehr wörtlich. Sie wollen wissen warum? Die Frage warum hat ein neues Meinungsklima geschaffen, das sicherlich Unruhe in die Zukunft bringt und sie vielleicht sogar öffnet.“

Hinton spricht in der späteren Publikation („Through a Glass Darkly“ S. 89f. ) im weiteren von der

„Stabilität und Dauerhaftigkeit, die der Gesellschaft, jeder Gesellschaft eingebaut sind durch Tradition und Geschichte. Der Konservatismus, der sich an der Spitze fortsetzt, kann nicht anders als den Konservatismus zu verstärken, der sich an der Basis fortsetzt, und umgekehrt. Die Autoren[8] sind sämtlich für die ‚Imperative der Modernisierung’. Sie geben Lippendienste für ‚Fortschritt hin zur Gleichberechtigung der Geschlechter und demokratischer Praxis’ ab, aber setzen sich gleichzeitig volle Kanne für die Fortsetzung der ‚bäuerlichen Einzelhaushalts-Wirtschaft’ und der, wie sie es nennen, ‚Volkskultur’ ein, die beide Grundsteine des traditionellen agrarischen Feudalsystems Chinas sind sowie des hierarchischen, autoritären, bürokratischen zentralistischen Staates, den dieses System hervorgebracht hat und den sie angeblich so verabscheuen.

‚So lange wie 80% des chinesischen Volkes Bauern bleiben’, schrieb ich in Shenfan, ‚so lange sie ans Land gebunden sind und es mit Hacken[ii] bearbeiten, so lange gedeiht weiterhin eine außerordentlich geeignete Grundlage für die Errichtung eines autoritären, von Eliten beherrschten Überbaus.’ (S. 766). Feudalismus an der Basis bringt /S.90 Feudalismus oben hervor. Sie erzeugen einander wechselseitig, ernähren einander und verewigen einander.

Mao war sich der Gefahr sehr wohl bewusst, die die Re-Konsolidierung der traditionellen Bürokratie oben und der Clan-basierten Hierarchie unten für die Entwicklung im allgemeinen und die sozialistische Entwicklung im besonderen, die auf die Abschaffung der Ausbeutung abzielte, bedeutet. Wenn 22 Kadergrade sich an der Spitze perpetuierten, und 8 Grade von Arbeitern sich in der Fabrik reproduzierten, während Bauern-Autokraten persönliche Machtbereiche hier und da im Hinterland errichteten, dann, folgerte er, hatte sich die Gesellschaft nicht sehr weiterentwickelt. Als Gegenmittel lancierte er eine Folge von Massenbewegungen, die darauf abzielten, die volle Initiative und das Talent des Volkes als ganzem ins Spiel zu bringen. Denn auf lange Sicht, das war ihm bewußt, waren es nicht irgendwelche institutionellen Formen an sich, sondern die kreative Energie der Menschen an der Basis, die verzweifelt Wandel forderten, auf die man zählen konnte, um Wandel herbeizuführen. Darum ging es in den Drei und Fünf-Anti-Bewegungen, dem Großen Sprung Vorwärts, der Sozialistischen Erziehungsbewegung und schließlich in der radikalsten von allen, der Kulturrevolution .

Keine von Maos Bemühungen, nicht einmal der vorübergehende Sturz von fast jedem Machthaber während der Kulturrevolution , löste das Problem. ‚Das Hauptquartier zu bombardieren‘ fuhr sich fest in ungelöstem Fraktionskampf über die Frage, wer wen ersetzen würde. Aber dass der Staat, von der Revolution gestürzt, sich selbst in neofeudaler Form wiedergebar und der Umformung widersetzte, heißt nicht, dass alles, was der neue Staat von den Fünfzigern bis zu den Achtzigern tat, schlecht und katastrophal war.

Solange Mao an der Spitze der Regierung blieb und er zusammen mit ähnlich gesonnenen Kollegen in der Hauptsache die Richtung der Politik bestimmte, bewirkte dieser schwerfällige [„cumbersome“] Staat große progressive Änderungen in der chinesischen Gesellschaft und große ökonomische, politische, soziale und kulturelle Fortschritte durch die Wahl des sozialistischen Weges. Dreißig Jahre lang (1954-1983) wuchs die Wirtschaft um mindestens 7 oder 8 Prozent jährlich (ausgenommen die Katastrophenjahre 1959-1961), was /91 in etwa dem Durchschnittswachstum seitdem entspricht. Nun wird behauptet, dass in den Neunzigern die Wachstumsrate auf 10-12 Prozent gesprungen sei. Die neuen Zahlen enthalten allerdings viel zweifelhaftes Wachstum. Spekulative Immobilien-Investitionen bilden einen großen, schrumpfbaren [deflatable] Faktor, übertriebene Angaben über Ertrag und Gewinn einen anderen. Während dieser dreißig Jahre ging die industrielle Produktion um das 30- oder 40-fache hoch, und die landwirtschaftliche Produktion auf mehr als das Doppelte, mit 384 Mio. Tonnen Getreide zu der Zeit, als die Reform dominant wurde. In den zwölf Jahren seitdem ist sie, wenn man den amtlichen Zahlen glauben kann (Zweifel daran sind möglich), um weitere 63 Mio. gewachsen, nur 14 Prozent[9] insgesamt. Das ist eine viel geringere Wachstumsrate als die permanente vor der Reform.“

 Die Parteirechte als Ultralinke

Hochinteressant in Hintons Schilderungen des Widerstandes des konservativen Apparats gegen Mao Zedongs Initiativen sind die detaillierten Nachweise der raffinierten Sabotage. So kann er für die Landreform der 40er Jahre zeigen, wie die Hauptfraktion der Mao-Gegner, die um Liu Schao-tschi gruppierten Kräfte, der Landreform zunächst direkt entgegengetraten, dann aber, als sie die Unwiderstehlichkeit der Welle erfahren mussten, auf eine ultralinke Variante der extremen Gleichmacherei und der Verteufelung jedes individuellen Besitzes verfallen sind. Die vor Ort tätigen Parteikader wurden zeitweise im Sinne dieser ultralinken Linie angewiesen, die ganze Bewegung drohte sich zu verzetteln und zu scheitern, bis Mao Zedong die notwendigen Korrekturen durchsetzte.

Ähnlich während des Großen Sprungs 1958-61. Dieser besonders turbulente und bis heute umstrittene Zeitabschnitt wird von Hinton in „Through a Glass Darkly“ gleichfalls einer Analyse unterzogen, und erneut kann er zeigen, dass gerade die Liu-Fraktion, die dem Großen Sprung eigentlich feindlich gegenüberstand, von einem bestimmten Zeitpunkt an durch exzessive Übertreibungen der politischen und ökonomischen Forderungen und der statistischen Schätzungen die Bewegung in unlösbare Schwierigkeiten verwickelt und fast ein katastrophales Scheitern, jedenfalls einen deutlichen Rückzug zustande gebracht hat. Wiederum kann Hinton zeigen, dass Mao Zedong , nach anfänglicher eigener Euphorie, bald vor Übertreibungen zu warnen begonnen hat und nicht zu den Ultralinken gehörte, als die die Liu-Fraktion zeitweilig agierte. Näheres Dokumentarisches dazu kann man übrigens auch der Ausgabe „Mao Zedong Texte“ von Helmut Martin, Carl-Hanser-Verlag München 1979ff. entnehmen. Bereits in der Kulturrevolution wurden die entsprechenden Anschuldigung gegen Liu Schao-tschi vorgebracht – rechts im Ziel, mit ultralinken Machenschaften Chaos stiftend.

Hinton diskutiert an dieser Stelle auch die im Westen und wohl auch im heutigen China gängige Gegenpropaganda gegen den Großen Sprung, die in der Behauptung einer Hungersnot mit –zig- Millionen Opfern kulminiert. Er kann aus seinen eigenen Erfahrungen, seinen zahlreichen Kontakten in China und den ihm zugänglichen Dokumenten die Behauptungen einer Hungersnot nicht bestätigen; es sei zwar zu großen Härten in der Versorgung gekommen, auch wegen des gleichzeitigen Abbruchs der sowjetischen Wirtschaftshilfen für China und der Notwendigkeit für die chinesische Regierung, in kürzester Zeit die Schulden bei der Sowjetunion zu tilgen. Aber Massensterben habe es nicht gegeben.

 

Unausrottbarer Fraktionismus

Ich möchte an dieser Stelle noch einige eigene Beobachtungen zu den Fraktionskämpfen in der KPCh während der Kulturrevolution und der letzten Lebensjahre Mao Zedongs anfügen. Diese Zeit wird von Hinton nicht detailliert behandelt.

Die Kulturrevolution hatte bekanntlich relativ bald „die Machthaber in der Partei, die den kapitalistischen Weg gehen“ als Ziel der Kritik und als zu stürzende Amtsinhaber ins Zentrum gerückt.

1968 waren Liu und auch Deng Xiao-ping , der damalige Generalsekretär der Partei, gestürzt und übten Selbstkritik. Deng Xiao-ping wurde wie viele andere kritisierte Kader an die Basis auf dem Lande versetzt und musste dortige Arbeiten verrichten, bis er 1973 in die Regierungsarbeit zurückberufen wurde.

Wie die folgenden Jahre zeigen, waren damit die personellen Ressourcen und die politische Manövrierfähigkeit der konservativen bzw. auch der kapitalistisch-revolutionären Kräfte des Apparats jedoch mitnichten erschöpft.

Kaum waren die Fragen mit der Liu-Fraktion einigermaßen durchgestanden, die offenen und oft bewaffneten fraktionellen Kämpfe im Lande weitgehend beendet, stellte sich heraus, dass Mao Zedongs Stellvertreter Lin Biao, bis dahin als Chef der Armee von Mao Zedong als wesentlicher Stabilitätsanker gefördert und genutzt, seinerseits den Sturz Mao Zedongs und das eigene Vorrücken in die zentrale Machtposition plante. Lin Biao und mit ihm eine Reihe ihm verbundener Generäle in der Armee scheiterten im Herbst 1971 mit einem Putschversuch (über Lin Biao erfährt man Einiges in dem Werk von Han Suyin „Der Flug des Drachen“, München 1979). Während Mao Zedong und der (vor Mao Anfang 1976 verstorbene) Ministerpräsident Zhou En-lai, wahrscheinlich seine verlässlichste Stütze während der Kulturrevolution , weiter an der inneren Re-Konsolidierung und einer neuen höchst aktiven und die Welt bewegenden Außenpolitik arbeiteten (die offen begründet und praktiziert wurde seit 1971), rückte sozusagen bereits die nächste Bürokratenfraktion nach, unterminierte die Konsolidierung, hemmte den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Modernisierung und versuchte ihrerseits die Nachfolgefragen in ihrem Sinne zu regeln, die sog. Viererbande.[iii]

Weder Lin Biao noch die „Viererbande“ können, das muss hier einmal herausgestellt werden, mit der Kategorie „Machthaber auf dem kapitalistischen Weg“ adäquat beschrieben werden.

Diese Kategorie passt gut auf die Liu-Fraktion, und insbesondere auch auf Deng Xiao-ping mit seinem Anhang, die einen Weg der stärkeren Entwicklung des Kapitalismus zum Nachteil der genossenschaftlichen Formen immer wieder relativ offen vertreten haben, aber weniger gut auf Lin Biao oder die „Viererbande“, von denen dergleichen nicht bekannt wurde. Yao Wen-yüan, ein Mitglied der Vier, hat zwar in seiner Schrift von 1975 gegen Lin Biao („Über die soziale Basis der Lin-Biao-Clique“, in engl. Fassung abrufbar auf der website des Verlags Neue Einheit) angeführt, dass eine Machtergreifung der Lin-Biao-Clique nicht nur der Grundbesitzerklasse zu einem comeback verholfen hätte, sondern auch die Hoffnungen von Kapitalisten und „neuen bürgerlichen Elementen“ beflügelt hätte, doch bleiben die Aussagen zum Klassencharakter des Lin Biao und der ihn unterstützenden Kräfte ziemlich vage und wirken etwas schematisch. In meiner Sicht handelt es sich bei der Lin-Biao-Clique eher um Ausformungen der traditionellen, oder wie Hinton zu sagen liebt, „neofeudalen“ Tendenzen des überaus fest, auf Grund 2000jähriger Tradition eingewurzelten, zentralistischen, überheblichen, das ‚gewöhnliche arbeitende Volk‘ verachtenden, des imperialen chinesischen Bürokratismus, im Falle des Lin Biao vielleicht auch eines Warlordismus. [Dieser Absatz wurde gegenüber der ursprünglichen Fassung v. 27.7.2015 abgeändert.]

Hinton hat recht mit der allgemeinen Einschätzung, dass Mao Zedong gegenüber dem äußerst facettenreichen und regenerationsfähigen Apparat sich immer nur teilweise hat durchsetzen und keine institutionelle Verankerung der positiven Ergebnisse der Kulturrevolution hat erreichen können. Kaum ist Mao Zedong tot, wird unter dem Deckmantel der Kritik an der „Viererbande“ von der Deng Xiao-ping -Fraktion die umfassende Restauration in die Wege geleitet, Widerstand ist anscheinend schwach. Zunächst heißt es zwar taktisch, die Kulturrevolution werde fortgesetzt, und für zwei Jahre darf eine Zwischenfigur, Hua Kuo-feng, eine Art Mao-Kontinuität vorspiegeln, auch indem einige der echten Stützen von Mao Zedongs Politik wie den weltweit bekannten Bauernführer Chen Yung-gui (Dadschai) noch kurze Zeit eingebunden werden. Dann aber folgen rasch, offenbar mit Billigung der größten Teile des Apparats, die sog. Rehabilitierung Deng Xiao-pings, die Kaltstellung Chen Yung-guis und anderer, vielleicht sogar die Beseitigung wichtiger Kader (dies liegt im Dunkeln), der Beginn der propagandistischen Verteufelung der Kulturrevolution und der Kurs auf die individuelle kapitalistische Bereicherung, die Zerschlagung der Genossenschaften usw.

 

Hintons Sicht auf die Tradition des kaiserlich-grundbesitzerlichen Beamtenapparats

Zur Bedeutung von Hintons Büchern über China kann man zusammenfassend sagen, dass seine Kritik an der Weiterexistenz der imperial-bürokratischen Strukturen im Partei- und Regierungsapparat, am innewohnenden Intrigenspiel und Fraktionalismus, sowie den entsprechenden kulturell verwurzelten Neigungen in der chinesischen Gesellschaft eine bedeutende Leistung sind. Diese Analyse ist mE auch zum Verständnis der heutigen chinesischen Machtstrukturen, die einem mittlerweile regelrecht entfesselten Kapitalismus vorstehen, nicht unwichtig. Das soll nicht heißen, diese Strukturen seien überzeitlich und existierten in den Formen unverändert weiter, wie sie Hinton für die ersten vier Dekaden der VR China beschreibt. Der entfesselte Kapitalismus, die zunehmende Einbindung des Landes in die globalen kapitalistischen Strukturen, die zunehmende auch militärisch sich ausformende Rivalität Chinas mit den USA innerhalb des heutigen globalen Systems müssen auch zu Wandlungen der traditionellen Staatsstrukturen führen; zu welchen? Das sollten heutige Chinakenner analysieren und publizieren – wir dürfen gespannt sein.

Warum man sich weiterhin mit der Kulturrevolution auseinandersetzen sollte   

Eine andere Frage betrifft die heutige und zukünftige Bedeutung von Intentionen und Formen der Kulturrevolution, anders ausgedrückt, der Konzepte Mao Zedongs .

Sollten wir heute die Kulturrevolution rein rückblickend, als einen großartigen und seinerzeit prägenden Versuch, der jedoch abgebrochen und durch die weitere Entwicklung ein für allemal ins Abseits verschoben wäre, betrachten?

Ist die Wendung zum Kapitalismus eine derartige Widerlegung, dass ein anderes als ein rein archivalisches Zurückkommen auf die Kulturrevolution sich erübrigte? Vor einer derartigen Haltung möchte ich warnen. Sie wäre in vieler Hinsicht unhistorisch. Unhistorisch schon einmal in dem Sinn, dass die Kulturrevolution bis heute in der konkreten Politik nicht nur Chinas, sondern darüber hinaus quasi nachvibriert. Politische Entscheidungen, die während der Kulturrevolution und in Reaktion auf sie in China und anderswo getroffen wurden, wirken heute weiter, die Kulturrevolution bestimmt die heutige Lage quasi ex negativo weiterhin mit. Unhistorisch wäre aber eine derartige Haltung auch in dem Sinn, dass das heutige kapitalistische Weltsystem, kapitalistisch bei allen nationalen und kulturellen Unterschieden und seiner wilden internationalen Konkurrenz um Profit und Macht, etwas wäre, das nie mehr fundamental in Frage gestellt werden könnte. Zu ihrer Zeit bildeten die russische und später insbesondere die chinesische Revolution hoch wirksame Herausforderungen des internationalen Kapitalismus. In welchen neuen Formen, wann und wie neue Herausforderungen entstehen, darüber kann man derzeit nur spekulieren; dass sie kommen werden, macht das kapitalistische Regime selbst unausweichlich.

 

Hier sollen ein paar unmaßgebliche Überlegungen formuliert werden einerseits zu bestimmten historischen und vielleicht typisch chinesischen Beschränktheiten, die die Politik Mao Zedongs und die Kulturrevolution mit betrafen, andererseits aber auch zu weiterweisenden Komponenten, an die vielleicht in Zukunft angeknüpft werden wird.

Die Kulturrevolution war eine politische Maßnahme einer Kommunistischen Partei, bzw. der revolutionären Führung einer KP (die damit auch und insbesondere diese eigene Partei von Grund auf umgestalten und fähiger machen wollte). Es ist nicht sauber, die Kulturrevolution vor allem als Ausdruck von Massenspontaneität zu feiern; 1. war sie ein Konzept Mao Zedongs, auf das Massen reagiert haben, 2.war die Kulturrevolution da, wo sie der Leitung durch den Initiator sich entzogen hat und so etwas wie Spontaneität (abgesehen von den zahllosen Intrigen, Machinationen, Verschwörungen, bürokratischen Drahtziehereien) gezeigt hat, keineswegs immer ein überzeugendes Geschehen. Sie rechtfertigt von daher das Prinzip der politischen Partei, die die Massen erweckt und mobilisiert, die zwar ohne engste Verbundenheit mit den Massen machtlos bleibt, die aber andererseits für diese Massen unverzichtbar ist, weil diese politisch sonst in die Irre gehen, bzw. von Reaktionären ausgenutzt und umdirigiert werden.

Beide aber, die von Marx‘ Idee des revolutionären Proletariats ausgehende Parteikonzeption und die eng damit zusammenhängende Konzeption der Kulturrevolution sind, jedenfalls in China, einstweilen tote Hunde (während international die paar Parteien, die sich noch als „maoistisch“ oder ähnlich verstehen, zweifelhafte und meist marginale Rollen spielen). Zwar könnte man sagen, das wird sich absehbar nicht mehr ändern können: niemand weiß allerdings, ob nicht doch so etwas wie ein Gegenteil sich ereignet, nämlich eine Wiederbelebung von gesellschaftlichen und parteimäßigen Konzeptionen, die an frühere Erfahrungen, die an das „Proletarische“ gebunden waren, irgendwie wieder anknüpfen.

Die Gesellschaft ist heute den Zeiten der Kulturrevolution um volle 40 Jahre entwachsen. Sie revolutioniert sich auf die kapitalistische Weise weiter, sehr rasch und radikal. Heute ist das zentrale Element der weltrevolutionären Umgestaltung der 1960er Jahre, die III. Welt, nicht mehr dieselbe. Zumal ihr gewichtigster Teil, bevölkerungsmäßig und politisch, China, nur noch in Nebenaspekten den Aufstand der III. Welt verkörpert. Zwar ist es noch immer ‚Aufstand der III. Welt‘, wenn China heute das industriell und finanziell fast mächtigste Land des Kapitalismus geworden ist – auf diese Weise hat sich auch eine Art von Emanzipation der III. Welt vollzogen – doch was bedeutet der große Rest, der tatsächlich noch III. Welt geblieben ist, v.a. Afrika, Teile Ostasiens (wie Indonesien, Philippinen) und vielleicht Lateinamerikas? Das sind zwar nicht wenige, aber eher politisch Vereinzelte, Zurückbleiber, zwar immerhin noch eine gewisse Masse, aber keine wesentliche Kraft, zumal auch die Einheit unter diesen Ländern fehlt – die Einheit wurde damals insbesondere durch Chinas Politik hergestellt, während das heutige China ganz andere Interessen hat!

Und der Imperialismus ist auch nicht mehr derselbe. Der sowjetische Sozialimperialismus ist ausgefallen. Dafür, könnte man sagen, haben wir immerhin eine neue Rivalität im Kapitalismus-Imperialismus, nämlich die zwischen USA und China, insofern also eine gewisse strukturelle Kontinuität im Weltsystem. Aber wo ist der Klassenkampf geblieben? In den entwickelten Ländern, China in mancher Hinsicht dabei schon eingeschlossen, haben sich neue Formen und Fronten der inneren Auseinandersetzung zwischen arm und reich entwickelt bzw. sind dabei sich zu entwickeln. Die finanzkapitalistisch-staatsbürokratischen Herrschaftsapparate befassen sich wenig nur mit Arbeiterbewegung im hergebrachten Sinn – weil es, abgesehen von ökonomischen Auseinandersetzungen, eine revolutionäre Arbeiterbewegung, vor allem unter den Bedingungen der globalisierten Produktion mit rasch wechselnden Produktionsstandorten und raschen Neurekrutierungen von Arbeitermassen nicht mehr gibt. (Es sind allerdings mE bestimmte künftige heftige Umwälzungen der ganzen internationalen Struktur denkbar, z.B. Aufsprengung des globalisierten Ausbeutungssystems in kriegerische Blöcke, innerhalb derer ein jeweils eigenes neues Proletariat entscheidendes Gewicht bekäme und evtl. erneut revolutionäre Neigungen entwickeln könnte. Aber dergleichen steht in den Sternen. Vielleicht ist das heute industrialisierteste Land, China selbst, dafür ein Kandidat? ) Klassenkampf, der hier und heute existiert, konzentriert sich z.B. in der datenmäßigen totalitären Erfassung der Masse und jedes Individuums, der Manipulation und Erpressung der Masse durch diese neuen Herrschaftstechniken, und – noch weitergehend – in den Bemühungen um die Züchtung einer neuen Menschenrasse, deren Lenkbarkeit / Manipulierbarkeit sozusagen schon genetisch, zumindest aber kulturell-informationstechnisch eingebaut sein soll, s. z.B. was unter dem Namen Ray Kurzweil von Google getrieben wird, was mit der Genderpolitik angestrebt wird. Die Auseinandersetzung mit diesen Neuerungen der Herrschaft wird bisher von anderen Kräften geführt, wenn auch zweifellos unzulänglich geführt, von anderen als einer Arbeiterbewegung, oder einer Bewegung der Armen o.ä. Es sind Kräfte, die Demokratie, gesellschaftliche Selbstbestimmung, individuelle Autonomie demgegenüber im Sinn haben… schwer zu definierende Ziele. Leben wir in Zeiten kommender Aufstände selbstbewusster Mittelschichten?

Die Kulturrevolution als Modell künftiger gesellschaftlicher Kämpfe? Schwer vorstellbar, jedenfalls derzeit. Die Gesellschaft ändert sich rasch und radikal, wir wissen nicht an welchen Fronten die künftigen Kämpfe für ihre menschlichere Gestaltung entstehen werden.

Die retrospektive Analyse der Kulturrevolution und des Wirkens von Mao Zedong dürfte jedenfalls aber zunächst in einem speziellen, eingegrenzten Sinne nützlich sein. Wir lernen etwas über die fundamentale Berechtigung früherer kommunistischer Kämpfe, gerade indem wir die Niederlage besser verstehen. Die Geschichte ist kein Trümmerhaufen unverständlicher steckengebliebener Marotten. Wir verstehen den Gegner besser, z.B. die chinesische konfuzianisch-imperialistische kapitalistisch-bürokratische Elite, die heute in vieler Hinsicht zu einem internationalen Gegner der Völker heranwächst.

Und prospektiv?

Sind die Konzepte der Vergesellschaftung wesentlicher produktiver Grundlagen der Gesellschaft, unter demokratischer, sich ständig revolutionär verjüngender Kontrolle, sind die Konzepte des Allgemeinwohls und der Führung der Gesellschaft durch ihre selbstlosesten und produktivsten Teile etwa überflüssig geworden durch die heutigen Formen der kapitalistischen und staatsbürokratischen Herrschaft? In solchen Prinzipien müsste an die Kulturrevolution als den bisherigen historischen Höhepunkt in diesem Kampf jedenfalls angeknüpft werden können.

 

 

[1] William Hinton, Shenfan. The continuing revolution in a Chinese village. Secker & Warburg, London 1983

[2] Long Bow ist die englische Übersetzung des Namens des Dorfes Changchuan in der Provinz Shanxi, in dem Hinton seine Erfahrungen mit der Landreform gesammelt hatte und das er später immer wieder freundschaftlich und zur Erfassung der weiteren Entwicklung besucht hat.

[3] „Turning Point in China – an Essay on the Cultural Revolution“ Monthly Review Press NY und London 1972; “Hundred Day War: The Cultural Revolution at Tsinghua University”, Monthly Review Press NY und London 1972)

[4] William Hinton, Through a Glass Darkly: U.S.Views of the Chinese Revolution. Monthly Review Press NY 2006

[5] Das Werk erschien erst 2 Jahre nach Hintons Tod. Wann es geschrieben wurde, geht aus der Veröffentlichung nicht hervor.

[6] Es ist nicht ganz richtig, dass die Grundbesitzerklasse den chinesischen Staat geschaffen habe, s. dazu die Ausführungen oben unter“Rückblick“ über den Ersten Kaiser etc. Der chinesische Staatsapparat wurde zunächst von der kaiserlichen Macht geschaffen, die direkt mit den Bauern agierte, und erst später scheint eine neue Grundherrenklasse aufgekommen zu sein, die dann allerdings die staatstragende Klasse unter der kaiserlichen Zentralmacht wurde.

[7] Ich konnte den originalen Heine-Text auf die Schnelle nicht finden und begnüge mich daher mit einer eigenen Rückübertragung ins Deutsche, die hoffentlich inhaltlich korrekt ist, auch wenn die poetische Form nicht erreicht wird.

[8] Hier sind die Autoren Friedman, Pickowicz, Selden gemeint, die 1991 das Buch „Chinese Village, Socialist State“ herausgebracht haben, mit dem sich Hinton in „Through a Glass Darkly“ kritisch auseinandersetzt.

[9] Die beiden Zahlen stehen im Verhältnis von 16%, vielleicht ein Versehen Hintons.

[i] Zu den Hintergründen meiner Sicht auf Mao Zedong und die Kulturrevolution :

Die Hauptgesichtspunkte dieses Artikels, die Hochschätzung der Kulturrevolution in China als welterschütterndes revolutionäres Ereignis der Dekade von 1966-76, gehen auf die Ansichten und Analysen zurück, die zeitgleich in den damaligen revolutionären Organisationen unseres Landes wie auch vieler anderer Länder sich entwickelten. Während aber die meisten und größten dieser Organisationen sehr bald im Zuge des Umsturzes in China nach 1976 von ihren Positionen abrückten, hielt die KPD/ML (Neue Einheit) unter der Leitung von Hartmut Dicke an der grundlegenden positiven Einschätzung der Politik Mao Zedongs insgesamt und insbesondere seiner Politik der Kulturrevolution sowie auch seiner parallelen internationalen Politik (Stichwort: die „Drei Welten“) fest. Diese Einschätzung wurde von Hartmut Dicke nochmals 2006, weniger als zwei Jahre vor seinem unzeitigen und ungeklärten Ableben, in einem umfangreichen Artikel „Unvergessliche Kulturrevolution “ ausformuliert und mit Beobachtungen aus der neusten Entwicklung ergänzt. Der Artikel ist neben früheren weiterhin auf der website des Verlags Neue Einheit abrufbar, und ich empfehle seine Lektüre als tiefgehende und umfassende Analyse, auch wenn hier die von Marx stammende Kategorie „proletarisch“ im Sinne einer weltweit führenden revolutionären Klasse noch weiterhin vielleicht etwas zu unproblematisiert verwendet wird.

Ich selbst war seit Anfang der 70er Jahre Anhänger und später auch Mitglied der von Hartmut Dicke geführten Organisation, die 1998 in Gruppe Neue Einheit umbenannt worden war, und habe dort das revolutionäre China verstehen und schätzen gelernt. Abgesehen von zahlreichen Publikationen der Organisation, die im Laufe der Zeit bis hin zu dem Artikel von 2006 immer wieder zu Fragen der chinesischen Entwicklung erschienen sind, gab es auch eine darüber hinausgehende interne Untersuchungsarbeit, bspw. zu Fragen der historischen Schulen des Konfuzianismus und des Legalismus, der ich ebenfalls wichtige Gesichtspunkte verdanke. Den Dank für alle diese Einsichten möchte ich hier ganz ausdrücklich festhalten. Meine hier vorgelegten Exzerpte aus Hinton und ihre Kommentierung möchte ich als ergänzende, vielleicht auch zu partiellen Korrekturen anregende Ergänzung der Einschätzung durch Dicke und die NE-Organisation verstanden wissen.

 

[ii] Die Hacke und die weiteren Entwicklungen in Chinas bäuerlicher Gesellschaft:

Hintons Ansicht, dass den altertümlichen, individuell zersplitterten und moderner Technik unzugänglichen Produktionsweisen, denen 80% der Bevölkerung Chinas weiterhin unterworfen wären, ein quasi feudaler staatlicher Überbau entspreche, dürfte einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis retardierender Kräfte dieses Überbaus liefern. Allerdings hat sich die Entwicklung inzwischen von diesem Stand der Dinge deutlich entfernt; die von Deng Xiao-ping repräsentierten Kräfte dieses Überbaus waren in der Lage zu Umgestaltungen, von denen Hinton noch keine Ahnung hatte, als er Shenfan schrieb.

Zwar haben die sog. Reformer in der Tat die kollektiven Formen des Eigentums auf dem Lande wieder weitgehend aufgelöst. Hinton berichtet, wie die von den Genossenschaften gebildeten neuen großen Flächen, die in moderner Weise mit Maschinen etc. bearbeitet werden konnten, wieder in die oft minimalen Privatparzellen der Vergangenheit zurückverwandelt wurden. Er bringt erschütternde Beispiele von „noodle strips“, d.h. der Aufteilung kollektiver Felder in schmale, oft nur ca. 1,50 m breiter Privatfelderchen , auf denen anderes Gerät als eben die traditionelle Hacke kaum eingesetzt werden kann.

Die Auflösung der Genossenschaften hat allerdings auch der Bildung größerer rationeller Einzelbetriebe den Weg bereitet, die sich in erheblichen Teilen des Landes gegenüber früheren schlecht geführten Genossenschaften positiv abheben mögen. Auf die ganze Gesellschaft bezogen ist die Politik der Reprivatisierung der Bodenbearbeitung Baustein eines umfassenderen Konzepts: es werden große Teile der ländlichen Bevölkerung von der ländlichen Basis als Wanderarbeiter in die Städte getrieben. Das Genossenschaftswesen, das der Mehrheit der chinesischen Bürger eine einigermaßen gesicherte, aber doch begrenzte und eingeengte Existenz ermöglichte, wird aufgelöst, damit für viele diese ländliche Existenz nicht mehr möglich ist. Die Auflösung des genossenschaftlichen Eigentums an den von den Genossenschaften geschaffenen Nebengewerben, darunter z.T. bereits bedeutende Industriebetriebe etc. , die der Landbevölkerung zusätzliche wirtschaftliche Grundlagen boten, bzw. ihre Überführung in kapitalistisches Eigentum dürften eine flankierende Rolle spielen. In den Städten, zunächst vor allem in bestimmten Küstenregionen, hatten dann bald dutzende, dann hunderte von Millionen als Wanderarbeiter ein neues Industrieproletariat zu bilden und mit minimalen Löhnen eine bisher ungeahnte kapitalistische Profitwoge zu erarbeiten, die sowohl eine neue chinesische Bourgeoisie als auch internationales Kapital fett und unverschämt werden ließen (die Finanzströme gingen zu erheblichen Teilen in die USA, wo sie die Staatsverschuldung, die militärische Hochrüstung und auch so etwas wie die Exzesse des Hypotheken-Schwindelsystems speisten). Natürlich partizipiert auch europäisches Kapital heftig an dieser Ausbeutung.

Auf dem Lande bleiben vielfach, außer den neuen prosperierenden Einzelbauern und mittlerweile auch großen Agrarfirmen, nur die Alten und die paar Kinder, die unter der Ein-Kind-Politik noch zugelassen waren. Sie hatten mit traditionellen Methoden produzierend eine Art Subsistenzwirtschaft aufrecht zu erhalten, die für den völligen Mangel an sozialen Stützen (Rente, Krankenversicherung) nur kümmerlichen Ersatz erbringen konnte und durch die Überweisungen der jungen Arbeiter, sehr oft Arbeiterinnen, aus den riesigen Fabriken der Küstenprovinzen ergänzt werden musste.

Diese Entwicklung hat den Anteil der Landbevölkerung Chinas inzwischen von 80% auf etwa 50% reduziert, und die Machthaber verkünden weitreichende Pläne einer noch viel durchgreifenderen Urbanisierung des Landes, sodass in absehbarer Zukunft vielleicht nur noch ein Viertel der chinesischen Bevölkerung auf dem Lande leben würde. Eine radikalere soziale Umschichtung einer mehrtausendjährigen Agrargesellschaft in so kurzer Zeit – und dies im größten Land der Erde – hat die Geschichte bisher nicht gesehen.

Aus der früheren Agrarverfassung Chinas reichen einige Rechte für die Massen noch in die heutige Zeit, vor allem das bisher von den kapitalistischen Machthabern noch nicht völlig liquidierte Recht einer Mehrheit der chinesischen Bevölkerung auf die individuelle agrarische Bodennutzung. Für die Masse der mittlerweile in die Städte gezogenen Wanderarbeiter gilt bisher noch immer, jedenfalls im Prinzip, dass sie auf „ihren“ Boden zurückgreifen können. Allerdings sind die zeitlich unbegrenzten und nicht veräußerbaren Rechte auf die Nutzung des ländlichen Bodens aus der Periode vor den kapitalistischen „Reformen“ inzwischen stark durchlöchert, es gilt, Berichten aus dem heutigen rechtlichen Chaos zufolge, nur mehr noch eine dreißigjährige Pacht, die Bodenrechte können mittlerweile in gewissem Umfang gehandelt werden, und oft werden Landbewohner durch Gewaltakte des Regierungsapparates gegen jedes Recht einfach vertrieben. Die meisten dem Land entstammenden chinesischen Bürger, auch die fern arbeitenden Wanderarbeiter, dürften aber mit den Resten ihrer Bodennutzungsrechte immerhin auch noch einen Rest ökonomischer Unabhängigkeit haben, anders als „reine“ Proletarier, denen nichts als ihre Arbeitskraft gehört.

Die „ultimative“ Lösung scheint den Machthabern wohl die weitere Urbanisierung zu versprechen – wenn nur noch ein Viertel der chinesischen Bevölkerung Landrechte besitzt, soll sich wohl in der Sicht der Machthaber das Problem weitgehend erledigt haben. Sie haben sich auf diese Weise allerdings ein neues Problem aufgeladen, eine urbane Bevölkerung von bald vielleicht 900 Millionen, die jeden eigenen Landbesitz verloren hat, zu ernähren, zu beschäftigen und unter ihren neuen Lebensverhältnissen zufrieden zu halten. Man sehe sich einmal die trostlosen Bilder der neuen Wohnquartiere der Städte mit ihren uniformen Reihen vierzigstöckiger Türme aufeinandergestapelter Eigentumswohnungen an, um schon einmal einen, wenn auch nur ästhetischen Eindruck von der kommenden Lebensqualität des urbanisierten China von heute und morgen zu gewinnen.

 

[iii] Die „Viererbande“ als weitere Ausformung des Fraktionismus

Ein starkes Beispiel für die mangelnder Kongruenz der Kategorie „Machthaber auf dem kapitalistischen Weg“ mit der Natur von Cliquen und Fraktionen im Apparat der KPCh könnte die sog. „Viererbande“ bilden.

Diese Fraktion in der Führung der KPCh ist in der Kulturrevolution nach und nach als solche hervorgetreten und kann in deren ersten Jahren durchaus eine Reihe von bedeutenden Leistungen vorweisen. In dem weiteren Verlauf und den letzten Lebensjahren von Mao Zedong wuchs sie zu einem Unglück für dessen politische Vorhaben und einem – selbst wohl ungewollten – Werkzeug der nachfolgenden kapitalistischen Machtergreifung heran. Sie trägt schließlich viele Züge einer machtgierigen, den Interessen der großen Mehrheit entfremdeten oder sogar feindlichen Fraktion in der Partei, die um die höchste Macht kämpft, insofern durchaus auf einer Stufe mit der – im Programmatischen so konträren – Liu-Fraktion gestellt werden kann.

Man kann den Hauptvertretern der „Viererbande“ wohl kaum ein Eintreten für kapitalistische Entwicklungswege Chinas vorwerfen – jedenfalls ist den von ihnen verantworteten politischen Schriften dergleichen nicht zu entnehmen und es wurde ihnen auch dergleichen im späteren Verlauf anlässlich ihrer Sturzes Ende 1976 nicht vorgeworfen. Ihre Opposition zur Liu-und zur Deng Xiao-ping -Fraktion war also einigermaßen glaubwürdig. Was sie von Mao Zedong selbst jedoch unterschied und die gesamte Entwicklung der letzten Jahre bis 1976 in höchst negativer Weise mitbestimmte, in denen sie sich in höchsten Positionen etablierte und nach der zentralen Autorität strebte, war z.B. ihre Missachtung der dringenden Massenbedürfnisse nach Wiederherstellung von Bedingungen für die Neuentfaltung der Produktion nach den Wirren und Verwüstungen der Jahre bis 1969. Solche Ansinnen wurden von den Vier anscheinend mehr als einmal arrogant abgebürstet unter einer Phraseologie von „Fortführung des Klassenkampfes“. Sie trugen mit ihrer Formalistik und ihrer Abneigung gegen berechtigte Massenforderungen, darunter auch denen nach technischer Modernisierung, dazu auch mit ihrem Anspruch, die einzigen wirklichen Anhänger Mao Zedongs und die geborenen Nachfolger zu sein, wohl gewichtig dazu bei, Maos Insistieren auf den Klassenfragen in Verruf zu bringen. Auf diese Weise spielte die „Viererbande“ der Gegenseite in die Hände, die schließlich die Fehler der „Viererbande“ Mao selbst in die Schuhe schob und die Exzesse der Vier nutzte, die Kulturrevolution insgesamt propagandistisch in Verruf zu bringen.

Es wäre wohl lohnend, die Physiognomie der „Viererbande“ anhand der von Hinton ins Spiel gebrachten Merkmale karrieristischer Beamter im Apparat der KPCh näher zu zeichnen zu versuchen.

Einen Baustein dazu könnte die wohl wesentlich von der „Viererbande“ bestimmte Kampagne der „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“ bieten. Die hier zugänglichen Dokumente dieser Kampagne aus den Jahren 1974-5 enthalten viel interessantes Material zur Geschichte Chinas, dem Gehalt des Konfuzianismus und seinen gesellschaftlich-historischen Hintergründen. Sie nehmen damit einen revolutionären Grundzug der neueren chinesischen Geschichte und ein großes Anliegen der Kulturrevolution auf und tragen dazu bei. Jedoch weisen sie auch eine erstaunliche Einseitigkeit auf: die mit den Konfuzianisten konkurrierende Schule der Legalisten, derer sich der Erste Kaiser bediente und aus deren Arsenal er wesentliche Umgestaltungen der chinesischen Gesellschaft im Kampf gegen die traditionelle Aristokratie und den Konfuzianismus ableitete, wird fast kritiklos behandelt. Der Erste Kaiser selbst erscheint als der große Fortschrittmacher. Das dürfte auch in der Tat im Kontrast zu den früheren Verhältnissen zutreffen, jedoch sind die legalistische Schule und der Erste Kaiser auch gleichzeitig die Schöpfer eben jenes zentralisierten Beamtenstaates, der – mit den jeweils geschichtlich notwendig werdenden Modifikationen –im weiteren mehr als zweitausend Jahre China beherrscht hat und zunehmend das Werkzeug eines gnadenlosen Ausbeutungssystems und ein Faktor von Chinas gesammelter Rückständigkeit geworden war. Wenn mitten in den aus der Kulturrevolution   hervorgehenden Debatten, in einer weiteren Entwicklungsphase der Kulturrevolution, plötzlich ein hohes Lied auf die Wohltaten der hochzentralisierten autoritativen Herrschaft angestimmt wird, die sich auf eine von oben nach unten durchorganisierte Beamtenhierarchie stützt, dann ist das wohl kaum als eine Unterstützung für die von Mao Zedong befürwortete Richtung, mehr Emanzipation und Selbsttätigkeit der großen Masse, weniger Amtsanmaßung, zu verstehen. Viel eher scheint mir hier, so wie die „Kritik an Lin Biao und Konfuzius“ konkret gestaltet wurde, ziemlich gut erkennbar genau die Arroganz eines solchen jahrtausendealten Herrschaftsapparates zu sprechen, den Hinton so scharf charakterisiert und angreift.

Demnach wäre einer der wichtigsten Züge der „Viererbande“ genau das Verhaftetsein in der Tradition der Verachtung und Beherrschung der Massen durch den Apparat, das diesem von Hinton vorgeworfen wird – ganz ohne dass man ihr die Befürwortung eines kapitalistischen Entwicklungsweges vorwerfen könnte. Die Auseinandersetzung mit den „Parteimachthabern auf dem kapitalistischen Weg“, mit den von Liu bzw. Deng Xiao-ping repräsentierten Fraktionen, hätte also, sieht man auf die Entwicklung der Vier etwa seit 1970, um eine nicht weniger prinzipielle Auseinandersetzung mit antikapitalistischen bürokratischen Machtstrebern und Intriganten ergänzt werden müssen. Auch zu Lin Biao blieb eine öffentliche Aufarbeitung anscheinend weitgehend aus, vielleicht war dies von der Not des Augenblicks erzwungen, vielleicht waren die Vier auch dagegen?

Die wenigen Äußerungen, die in der Kampagne Ende 1976 zum Sturz der „Viererbande“ als Stellungnahmen Maos zum Thema „Viererbande“ veröffentlicht wurden – als viele bewährte Anhänger der Maoschen Politik den Sturz selbst forderten – deuten übrigens in diese Richtung. Mao soll die Fraktionsbildung der „Viererbande“ kritisiert und sich schon längere Zeit von Djiang Tjing, der Hauptfigur der „Viererbande“ und gleichzeitig seiner Ehefrau, politisch und persönlich distanziert haben.

 

 

Technischer Hinweis zur Kommentarfunktion auf diesem Blog:

Bitte richten Sie Kommentare, Hinweise, Kritiken und alles Relevante an meine e-mail-Adresse wagrobe@aol.com. Die direkte Kommentarfunktion auf diesem Blog mußte ich, vor längerer Zeit bereits, leider abschalten, weil sie zur Abladung von  Massen von Webmüll mißbraucht wurde, der mit den Beiträgen absolut nichts zu tun hatte.

Ich verspreche jede sachlich irgendwie relevante Zuschrift dann im Anhang zu dem betr. Beitrag zu veröffentlichen, auch wenn sie mit meinen Ansichten garnicht übereinstimmen kann.

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Details zum Kampf um Einfluss in Zentralasien – USA, IS und Kirgistan

Bhadrakumar weist auf Details der Intensivierung des Kampfs der USA um Einfluss in Zentralasien. Asia Online, wo seine Beiträge häufig erscheinen, ist mittlerweile ein Organ unter Kontrolle der chinesischen Machthaber.  [Korrektur 08.01.2020: diese Einschätzung des Organs ist falsch, wie ich hier bereits vor einiger Zeit eingestehen musste. Die „Asia Times“ ist eher ein Organ unter maßgeblichem Einfluss von USA-Kräften, allerdings solchen, die auf intensive Zusammenarbeit mit der chinesischen Regierung , vor allem via Hongkong, gesetzt haben. Die Entwicklung unter Trump und auch die jüngste Entwicklung in Hongkong selbst ist allerdings weniger günstig für die Fortführung des Konzepts.]

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Europa, die Probleme mit Griechenland und mit dem gesamten derzeitigen System

 

Elemente einer Zwischen-Analyse, 12.7.15 nachmittags

Wegen der sog. Reformversprechen Griechenlands, für die im Gegenzug eine weitere Finanzspritze in Höhe von vielleicht rd. 100 Mrd. gegeben werden soll, können sich die Finanzminister der Eurozone nicht einigen, es sollen nun die Regierungschefs eine Einigung finden.

Auch wenn sie das so oder so wiederum noch irgendwie schaffen sollten, bleiben die Probleme ungelöst. Sie können längst schon nicht mehr durch weitere Zusagen an Geld vertagt werden (das ja seinerseits bei den Euro-Zentralinstanzen auch längst nicht mehr gedeckt ist).

Schäuble und andere sehen letzteren Punkt immerhin jetzt gekommen. Er soll zwei Konzepte formuliert haben, a) die Verpfändung von griechischen öffentlichem Vermögen in Höhe von 50 Mrd. zur Absicherung aktueller Forderungen von Gläubigern, b) ein 5-jähriges Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, bis die Ökonomie des Landes sich soweit erholt habe, dass Mitgliedschaft wieder angebracht. Wahrscheinlich wird beides nur erst einmal noch größeres soziales Elend in Griechenland bringen mit unabsehbaren politischen Konsequenzen. Wie steht Herr Schäuble denn nun zu diesen??

Über die Griechenland-Frage in diesem Stadium soll auch ein Bruch zwischen Deutschland und Frankreich drohen, d.h. der Zusammenhalt Europas wäre an zentraler Stelle gefährdet.

Es könnte auch zum Bruch des Merkel-Systems, oder aber auch zum Bruch der Hollande-Regierung kommen, wenn nicht sogar zu neuen politischen Koalitionen und Charakteren auf beiden Seiten.

Vielleicht kann die politische – bisher nur relativ erreichte – Einheit Europas schon jetzt überhaupt nur noch durch kräftige Rucks erhalten und verbessert werden … die allerdings auch in andere Richtungen gehen können….

 

Grundsätzlich handelt es sich um die Frage, was die EU und der Euro überhaupt sind und sein sollen.

 

Der Euro ist ein Konstrukt des Finanzkapitalismus bzw. des europäischen Kapitalismus überhaupt. Der heutige Kapitalismus wird generell in der ganzen sog. westlichen Welt vom Finanzwesen und seiner Verfilzung mit den staatlichen bürokratischen Strukturen dominiert. Der Euro ist gleichzeitig die Hauptklammer der bisher erreichten europäischen Integration, und eine finanzkapitalistisch-bürokratische Klammer ist ein sehr ungenügender Faktor von Zusammengehen und Zusammenwachsen, das erforderlich und auch von den meisten Bürgern Europas gewünscht wird.

Wenn man allerdings solche Fragen, konkret die Frage, welches Wirtschafts-und Regierungssystem hier eigentlich heute gegeben ist, außen vor lässt und die politischen Probleme wie EU, Griechenland, Südeuropa usf. glaubt analysieren zu können, ohne auf die Widersprüche eingehen zu wollen, die speziell aus diesem System hervorgehen und allen seinen politischen und kulturellen Fragen einen (milde ausgedrückt) sehr eigenen und eigenartigen Grundton verleihen, kann man nicht kreativ weiterkommen. So aber wird es in den offiziellen Medien und Parteien gehandhabt, einschließlich übrigens solcher sog. populistischer Parteien wie der AfD oder dem Front National.

Der Euro intensiviert seinerseits weiter die Diktatur des finanzkapitalistisch-bürokratischen Systems, das ihn geschaffen hat.

Charakteristisch für die Ideologie des Finanzkapitalismus ist das weitgehende Absehen von wesentlichen Teilen der sozialen und kulturellen Realität, die Absage an wichtige geschichtliche und nationale Gegebenheiten, und die Überschätzung der eigenen Möglichkeiten, die Gesellschaft durch Geld regulieren und am Laufen halten zu können – durch Geld, dessen Verfügbarkeit und Entwicklungsregeln man seinerseits auch noch meint bestimmen zu können. Griechenland, um ein einfaches und aktuelles Beispiel zu nennen, kann aber durch Kredite, Rentenkürzungen, Privatisierungen und wer weiß noch was sonst aus dem finanzkapitalistisch-bürokratischen Werkzeugkasten in seinen Grundlagen nicht positiv verändert werden. Um die griechische Gesellschaft von osmanischen Traditionen der Staatsverneinung, der Korruption und des Klientelismus zu emanzipieren, sind andere Entwicklungen vonnöten, die auch nicht ohne aktive Teilnahme wesentlicher Teile der griechischen Bevölkerung in Gang kommen können.

 

Die finanzkapitalistisch-staatsbürokratische Ideologie kann vielleicht zeitweise die Entwicklung von Gesellschaften tatsächlich bestimmen, aber nur unter Voraussetzungen, die in dieser Ideologie selbst wohl nicht oder nur ungenügend reflektiert werden. Die Dominanz des Finanzkapitalismus funktioniert eben nur unter bestimmten, zeitlich vergänglichen Voraussetzungen. Solche Voraussetzungen könnte man z.B. darin sehen,

  • dass die öffentliche Verschuldung durch ökonomische Potenzen der gesamten Gesellschaft noch einigermaßen gedeckt wird oder gedeckt erscheint;

 

  • dass in der Produktion (dieser Begriff hier sehr weit gefasst, im Sinne etwa von sog. „Realwirtschaft“) genügend Profit erwirtschaftet wird, um dem Staat Steuern zu garantieren, mit denen er weiterhin finanzkapitalistisch kreditwürdig erscheint- anders ausgedrückt: mit denen er dem internationalen Finanzkapital ausreichend weitere Ausbeutungsquellen zu garantieren scheint;

 

  • auch dass in der Gesellschaft genügend verwertbarer, evtl. konfiszierbarer [d.h. ganz wörtlich ‚in Fiskus umsetzbarer‘] Reichtum vorhanden ist, der für das Finanzkapital als Deckung seiner Schulden in Frage kommt. Dieser Zugriff setzt politische Bedingungen voraus; wenn bspw. das Volk rebelliert, geht er verloren…

 

Im Falle von Griechenland liegt m.E. auf der Hand, dass die griechische hoch- und finanzkapitalistische Oberschicht und ihre entsprechenden gesellschaftlichen Klientelanhänge und politischen Parteien zwar am europäischen und globalen finanzkapitalistischen System teilnehmen, aber diese Teilnahme ist nicht gedeckt durch die Produktivität der von ihnen kontrollierten griechischen Ökonomie. Das bedeutet, es gibt bei weitem nicht genügend ökonomische Grundlagen auch für eine eventuell reformierte Besteuerung.

 

Bekanntlich ist das altertümliche Klientelsystem Griechenlands – Ähnliches existiert wohl auch in anderen balkanischen und südeuropäischen Ländern – hauptsächlich durch die „Parteien“ vermittelt, die insofern auch deutlich andere Grundeigenschaften und Funktionsweisen haben als bspw. die traditionellen Parteien etwa Deutschlands . Zwar gibt es in allen kapitalistischen parlamentarischen Demokratien Klientelismus in unterschiedlichem Maße und unterschiedlichen Erscheinungsformen, man denke einmal an die Züchtung von ganzen gesellschaftlichen Schichten, die an der staatlich verordneten sog. Energiewende mitprofitieren. Allerdings dürfte der Klientelismus in Ländern wie Griechenland weitaus grundsätzlichere Bedeutung haben und von vornherein den Parteien und somit dem dortigen „Parlamentarismus“ ziemlich andersartige Funktionsweisen aufgeprägt haben als wir sie z.B. in unserem Land beobachten.

 

Die Teilnahme der griechischen Oligarchien und des griechischen Klientelsystems am Euro ist von vornherein garantiert gewesen durch die Finanzquellen, die das im Euro verkörperte finanzkapitalistisch-bürokratische System anderweitig hat bzw. meint vorweisen zu können, bspw. durch industrielle Produktivität andernorts, Besteuerungsfähigkeit anderer Bevölkerungskreise in der Eurozone.

In der heutigen Situation aber werden diese Quellen knapper, was nicht zuletzt im Euro-Rahmen auf den eigenen (finanzkapitalistischen) Ökologismus, auf allgemeine Dekadenz, auf das eigene selbstverschuldete Zurückfallen der Produktivkräfte, auf das Aufkommen potenter internationaler Konkurrenten zurückgeht. Wenn man jetzt die europäische Einheit riskiert, weil sie mit den bisherigen finanzkapitalistisch-bürokratischen Methoden nicht mehr garantiert werden kann; wenn die Bereitschaft schwindet, die Schuldenlast des gesamten Systems noch weiter zu vergrößern, indem man dem griechischen Subsystem und seinen Profiteuren noch weiteres Geld hinterher würfe, Geld, das dann den produktiveren Teilen der EU-Gesellschaft umso fühlbarer fehlen wird – dann müssen endlich Überlegungen über die längerfristige Überlebensfähigkeit der europäischen Gesellschaft überhaupt angestellt werden.

(Nachbemerkt zu diesem Absatz muss werden, dass zu den bisherigen Profiteuren des Systems ‚Griechenland im Euro‘ nicht nur die griechischen Oberschichten und die daranhängenden Klientelen, sondern auch die bisherigen Profiteure sowohl des Warenexports und des Geldtransfers nach Griechenland wie deutsche Konzerne und internationale Banken gehören.)

Von Gesellschaften wie der griechischen, deren allgemeine Rückständigkeit nicht noch weiter durch Finanzmanipulationen des europäischen finanzkapitalistisch-bürokratischen Systems überdeckt, gedeckt und verlängert werden kann, verlangt man nun auszuscheiden, was mit großen Risiken für die internationale Stellung Europas verbunden ist, oder sich schlagartig anzupassen. Dabei ist die Forderung der Anpassung an die existierenden europäischen finanzkapitalistischen Strukturen ihrerseits eine Zumutung und eine Vergewaltigung, die man nicht seriös vertreten kann. Die europäischen Strukturen selbst müssen sich ändern, denn sie selbst sind in den gegenwärtigen, auch von Schäuble et al. vertretenen Eigenheiten nicht zukunftsfähig. Sie leben selbst längst von der Substanz auch der entwickelten Gesellschaften, sie betreiben Raubbau an der Gesellschaft und sind nur unter bestimmten, vielleicht derzeit noch vorhandenen internationalen Verhältnissen noch eine Weile haltbar, aber nicht unter den anderen, neuen internationalen Verhältnissen, die sich abzeichnen.

Der Illusionismus bezüglich internationaler derzeitiger vermeintlich stabiler Strukturen, das verfehlte Vertrauen auf geostrategische Stabilität, auf die Hilfe der USA bei eigener militärischer Impotenz Europas werden bald sehr unangenehm fühlbar werden. Anders als die griechischen Strukturen, die eine Zeitlang durch die Eurozone eine Zeitlang sozusagen mit- durchgefüttert werden konnten und sogar vielleicht noch eine Zeitlang so erhalten werden könnten ( wenn man Frankreichs „Sozialisten“ folgt), wird Europa von den globalen finanzkapitalistisch-hegemonistischen Strukturen mit ihrer wilden Konkurrenz keinesfalls durchgefüttert, sondern gefressen werden.

 

Die Bereitschaft der Hollande-Regierung, Griechenland in der bisherigen Manier durch weitere Zusagen von Finanztransfers in seiner Rückständigkeit zu belassen, d. h. aber auch die Arroganz des finanzkapitalistisch-bürokratischen europäischen Systems zu belassen und seinen gesellschaftlichen Raubbau noch zu intensivieren (die „griechischen“ Milliarden bzw. bald Billionen müssen von zukünftigen europäischen Generationen abgezahlt werden, die nicht einmal ihre „eigenen“ Billionen werden abzahlen können), kann nicht toleriert werden. Die französischen Oberschichten tendieren selbst extrem zu Parasitismus und Blindheit, was wohl auch mit der kolonialen Vergangenheit und teilweise auch noch Gegenwart, der verknöcherten Art der Rekrutierung der politischen Führungsschichten und dem katastrophalen ideologischen Verfall der intellektuellen Meinungsführer (man denke nur an eine Figur wie Bernard-Henri Levy) in Frankreich zusammenhängt. Daher sollte Hollande jetzt wohl am besten mit Ablehnung der Mehrheit der Euroländer konfrontiert werden und innenpolitisch crashen. Aber das allein löst natürlich weder die aktuellen Probleme(wie der europäische Laden erst einmal überhaupt zusammenbleibt) noch erst recht die Fragen der mittelfristigen – relativen –ökonomischen und politischen Konsolidierung dieses Ladens.

Deutschland muss runter sowohl von seiner Arroganz (die sich beispielhaft u.a. in Zehntausenden von Leserzuschriften der Medien zu Griechenland widerspiegelt…) als auch von der Politik der herrschenden Kreise , die die Grundlagen ökonomischer Kraft und gesellschaftlichen Zusammenhalts ruiniert. Es muss weg auch von deren Irrglauben, das Aufgehen der Nation in eurokratischen Strukturen (und die erhoffte Dominanz der deutschen Bürokratie in denselben) könne den berechtigten Widerspruch in der deutschen Gesellschaft ersticken.

Gefragt sind in ganz Europa, bzw.jedenfalls aktuell in der ganzen sog. Eurozone, nicht bloß in Griechenland oder Frankreich, starke Änderungen. Auf welcher ökonomischen Grundlage, auf welcher demokratischen Partizipation der Bevölkerungsmassen, auf welchen gesellschaftlichen Strukturen kann eine relative Konsolidierung angestrebt werden, oder umgekehrt ausgedrückt: kann die Selbstherrlichkeit des finanzkapitalistisch-bürokratischen Überbaus reduziert, können die ruinösen Entwicklungen, z.B. die demografische Entwicklung in Deutschland, gestoppt und umgekehrt werden, können die ökonomischen Leitlinien geändert werden, die die Produktivkräfte, anders ausgedrückt: die produktive Kreativität breiter Bevölkerungsschichten ersticken.

Derartige Fragen müssten zunächst einmal genauer definiert und in die öffentliche Erörterung eingebracht werden, ohne die bisherigen „politisch korrekten“ (d.h. finanzkapitalistisch-bürokratischen genehmigten!) Restriktionen.

 

Es ist eigentlich ein richtiger Aspekt der Äußerungen von Varoufakis gewesen, wenn er die Ideen, in die griechische Pleite noch weitere Milliarden hineinzugießen und auch noch deren Rückzahlung von künftigen griechischen Generationen zu erwarten, als utopisch abgelehnt hat. Von Vorstellungen auf seiten von Varoufakis, wie Griechenland sich herausarbeiten könnte, ist allerdings nichts bekannt geworden. Schuldenschnitt ist jedenfalls genau so wenig ein Beitrag dazu wie weitere Schulden. Und Griechenland ist kein von der bisherigen Politik der wesentlichen europäischen Staaten unabhängig entstandenes Problem, es ist ein Symptom europäischer Probleme, d.h. vor allem der finanzkapitalistisch-bürokratischen Herrschaft. Dass diese auf absehbare Zeit durch ein anderes politisch-ökonomisches System ersetzt werden könnte, wie auch immer man das konzipieren mag, ist höchst unwahrscheinlich, aber sie kann möglicherweise deutlich modifiziert werden. Die Verlautbarungen bestimmter in den Medien normalerweise als populistisch etikettierter Parteien geben in dieser Hinsicht allerdings auch wenig her, außer dem einen oder anderen kritischen Einzelaspekt bspw. in den Bevölkerungsfragen. Es müssen also die kapitalistischen, die finanzkapitalistisch-bürokratischen Grundstrukturen problematisiert werden und Konzepte erörtert werden, die von solchen tiefergehenden kritischen Ansätzen her hoffentlich ausgehen.

 

 

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