Einige Gedanken anlässlich einer ersten Auswertung von Berichten über die Konferenz von Merkel mit den Länderchefs
Der FAZ-Bericht (von den Redakteuren Schmoll und Leithäuser) über die Konferenz von Merkel mit den Länderchefs gibt eine Reihe von Anhaltspunkten, dass die bisherige Art der Coronapolitik nicht mehr funktioniert, dass aber auch die Alternative, sie noch zu verschärfen, selbst im Parteien- und Medien-Apparat nicht mehr recht zieht.
Ramelow hat ausdrücklich die Gefolgschaft seines Bundeslandes unter doppelten Parlamentsvorbehalt gestellt, Bundestag und Bundesrat (und Erfurter Parlament?) müssten die angebliche „nationale Gesundheitsnotlage“ feststellen.
Wenn diese Organe tatsächlich sich jetzt einschalteten bzw. eingeschaltet würden (aus eigenem scheinen sie nicht allzu viel Initiative entwickeln zu können), würden sie die „nationale Gesundheitsnotlage“ wahrscheinlich wunsch- und mehrheitsgemäß konstatieren, aber es ginge nicht ohne Zwist und zumindest teilweisen Rekurs wenigstens einzelner Abgeordneter auf Elemente der öffentlichen Kritik ab. Die Geschlossenheit des Establishments bekäme auch von daher öffentlich Schaden ab.
Lt. einer Leserzuschrift hat Laschet gesagt, „Wir sind nicht in einem Notstand. Sondern es ist eine präventive Maßnahme, um zu verhindern, dass wir irgendwann in einen Notstand geraten könnten.“ Dergleichen zeigt zwar, dass manche Oberen auch nicht (mehr) an RKI und Merkel glauben, aber wenn sie trotzdem die Maßnahmen wie Unterbindung des Kultur-und Sportlebens verhängen, schaffen sie einen wirklichen gesellschaftlichen Notstand – der unmittelbar und erst recht in seinen längerfristigen breiten Auswirkungen viel schlimmer ist, als wenn es jetzt nicht gelingt, die Sterblichkeitskurven zu dämpfen (die im übrigen mehrheitlich ganz andere Ursachen haben als SARSCoV2.)
Die Länderchefs müssen nun Sondersitzungen ihrer Kabinette anberaumen, schreiben Schmoll und Leithäuser – im Lichte ihrer vorhergehenden Zeilen über den Parlamentsvorbehalt dürfte es nicht dabei bleiben.
Nun kommen ein paar Bemerkungen zur konkreten Lage:
1. In vielen Regionen mit hohen Infektionsraten sei es nur noch bei etwa 75% der „positiv Getesteten“ (NB! – hier wird nicht mehr von „Infizierten“ gesprochen) möglich, „die Ursache der Infektion zu finden und die Kontakte nachzuverfolgen. Der oft befürchtete Kontrollverlust ist also längst da.“
Mit anderen Worten: der eigene Apparat versagt, nachdem man 8 Monate lang diejenige, angeblich so katastrophale Entwicklung der ang. Infektionszahlen, die jetzt ang. eingetreten ist, hatte voraussehen müssen.
Wenn man die Befürchtungen, die man selbst ausgestreut hatte, ernst genommen hätte, hätte man ja wohl die Gesundheitsämter entsprechend aufrüsten können und müssen. Das ist ebensowenig geschehen wie die Aufrüstung der Seniorenheime etc., deren Gefährlichkeit für Infizierte aufgrund zahlloser Mängel im Frühjahr aufgedeckt worden war.
Merkel habe gesagt, es müsse jetzt darum gehen, die Nachvollziehbarkeit der Kontakte wieder herzustellen (schreibt ein Leser). Durch die Gesundheitsämter wird das nicht erreicht werden können – soll damit die verbindliche Überwachungsapp vorbereitet werden? Auch diese, wenn sie in einigen Wochen oder Monaten kommen sollte, wird dergleichen nicht schaffen (dafür ist sie ja auch in Wirklichkeit nicht unbedingt gedacht), denn bis sie in der Breite vorhanden und auch benutzt wird, wenn es überhaupt so kommen sollte, haben wir längst andere Bedingungen.
Der Satz „Der oft befürchtete Kontrollverlust ist also längst da“ weist auf mindestens einen weiteren grundsätzlichen Widerspruch hin, der jetzt nach und nach und eben auch durch dieses Eingeständnis deutlich wird: man hat nie sich darum bemüht – oder hat jedenfalls keine diskutablen Resultate derartiger Bemühungen vorzeigen können – zu erforschen, wie das Virus, das man annimmt, sich tatsächlich in der Breite der Bevölkerung verhält. Man hat bisher nur fallweise Testkaskaden unter vermeintlich oder tatsächlich Betroffenen in Gang gesetzt, kann jedoch nicht beanspruchen, dass die dabei angefallenen Zahlen epidemiologische Grundkenntnisse erbracht, oder gar die ergriffenen Maßnahmen wie lockdowns und Masken hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in der Breite bestätigt hätten.
2. Die Intensivkapazitäten auch Deutschlands kommen lt. Schmoll und Leithäuser an ihre Grenzen, „weil Ausstattung und vor allem Personal fehlen“. „Gegenwärtig müssen sechs Prozent der positiv Getesteten stationär aufgenommen werden. Häufig entwickelt sich die schwere Lungenentzündung erst am zehnten Tag der Infektion. Das heißt, die Zahlen der heute Infizierten wirken sich erst in zwei Wochen auf die Krankenhäuser aus. Ein Drittel derer, die stationär eingeliefert werden müssen, kommen auf die Intensivstation.“ (aus dem FAZ-Artikel)
Mal nachrechnen: RKI meldete zuletzt rd. 15.000 „Neuinfizierte“ für 1 Tag. 6% davon sind 900, die in die Kliniken kommen, davon ein Drittel, d.h. 300 Personen, kommen auf Intensiv. Nehmen wir an, dass davon ein größerer Teil stirbt (wg. Vorerkrankungen, Alter, Krankenhauskeimen, falscher Behandlung, Vereinsamung…), ein anderer Teil aus Intensiv wieder entlassen werden kann, sagen wir innert 2 Wochen, dann würden nach den genannten derzeitigen Zahlen 14 x 300 innerhalb 2 Wochen auf Intensiv kommen, d.h. 4.200 Personen, und Intensiv auch mehrheítlich wieder verlassen. Offiziell gibt es in D. 30.000 Intensivbetten….
Eine rechnerische Vollauslastung, nicht schon Überlastung der Kliniken durch COVID19 kann also nur dann behauptet werden, wenn 86% der Intensivbetten durch andere Krankheiten belegt sind. Wahrscheinlich bewegt sich in dieser Größenordnung der gewöhnliche jährliche Zustrom aufgrund von ambulant erworbenen Pneumonien, Influenza und anderen Problemen, die insbesondere Schwachen und Kranken in dieser Jahreszeit konstant zusetzen. Es handelt sich bei diesen Bedrohungen um jährliche durchschnittliche Sterbefallzahlen von mindestens 50.000 (aus ambulant erworbenen Pneumonien + Influenza allein; andere Krankheiten bzw. Todesursachen noch nicht gerechnet, wie z.B. die Krankenhauskeime).
Mit diesem – viel mächtigeren – Zustrom an nicht-Corona-Patienten hatte man ebenfalls rechnen müssen. Selbstverständlich kann man nicht, wie in diesem Rechenbeispiel, in der Praxis die Einlieferungen gleichmäßig auf alle in Deutschland vorhandenen Kapazitäten verteilen, sondern es wird einen begrenzten Teil der Kliniken geben, die überlastet sind, während andere nicht voll ausgelastet werden. Das scheint mir aber eher ein untergeordnetes Problem zu sein, das pragmatisch zu lösen wäre.
Wenn man die RKI-Zahl von 15.000 auf 20.000/Tag hochsetzt, eine Zahl, mit der in der letzten Zeit die Voraussage des Zusammenbruchs verkoppelt wurde, bekommen wir 1.200 tägliche Klinikeinlieferungen aufgrund positiver Corona-Testergebnisse und 400 Intensivpatienten, d.h. in 14 Tagen 5.600. Das Zahlenverhältnis würde dadurch keine qualitative Veränderung erfahren.
3. Die Maßnahmen, die empfohlen wurden und wahrscheinlich sowieso zu erheblichen Teilen in Bundesländern nicht umgesetzt werden bzw. durch Gerichte gekippt werden, machen angesichts der behaupteten dramatischen Entwicklung der Lage von vornherein den Eindruck der epidemiologischen Hilflosigkeit – bei einer Regierung, die es versäumt hat, das tatsächliche epidemische Geschehen in der Gesamtbevölkerung erforschen zu lassen; aber diese Maßnahmen würden das gesellschaftliche Leben noch schwerer in Mitleidenschaft ziehen. Sie werden das sogar trotz ihrer mutmaßlich nur partiellen Durchsetzung in der Praxis doch tun, weil ein erheblicher Teil der Bürger immer noch aufgrund der massiven Medienpanikmache glaubt, in seinem eigenen Verantwortungsbereich sich so streng einschränken zu müssen, wie die Regierung fordert, oder noch strenger.
Alle Kulturstätten, in denen Publikum sich versammelt, geschlossen: eine wesentliche Verschärfung ggü. dem letzten Zustand, wo immerhin ein Teil an Veranstaltungen, wenn auch mit stark reduzierten Teilnehmerzahlen, stattfinden konnte. Der gesamte Sport soll ebenfalls mehr oder weniger untersagt werden, sofern dabei größere Menschenzahlen teilnehmen.
Theater, Konzerte und andere Kulturszenen als „Unterhaltung“ einzuordnen, wie das die Kanzlerin getan haben soll, ist eine Unverschämtheit. So reden kann nur jemand, der die Gesellschaft primär als einen Fluss von Geld versteht. Die Bedeutung von Sport für die Gesundheit, den sozialen Umgang und die Selbsterfahrung großer Teile der Bevölkerung scheint hier gleichfalls nicht verstanden zu werden. Hier spricht ein degeneriertes Gesellschaftsbild.
Die Maßnahmen sind bis zur Lächerlichkeit widersprüchlich und lückenhaft. Im ÖPNV wird weiter dicht an dicht zugelassen, wenn auch mit Maske, aber ins Restaurant darf man nicht mehr….
Die polizeiliche Durchsetzung der Maßnahmen, bspw. auch gg. private Feiern, ist in der Breite unmöglich. Man mag ein paar abschreckende Exempel statuieren, aber das reicht nicht, um in der Breite Folgsamkeit zu bekommen.
Ein Leser beschreibt eine Gefahr: dass sich bis ins Frühjahr eine ständige Folge von Lockerungen und neuen lockdowns entwickeln könnte, weil man ja eben keine wirkliche Reduzierung der Zahlen erreichen kann, und möglicherweise sei das sogar der Plan. Mit meinen Worten: wer so etwas konzipiert, will auf diese Weise eine Zermürbung der Bevölkerung und den schließlichen Schrei nach der offenen Diktatur. Ich vermute, hoffe wenigstens, dass es so weit nicht kommt.
Satirische Schlussbemerkung: selbst ein Friedrich Merz sagt jetzt öffentlich, dass Corona ein Vorwand der CDU-Führungsmehrheit sei. Er hat dabei allerdings nur sein persönliches Interesse im Auge: es gehe ihr um einen politischen Effekt, nämlich eine für ihn nachteilige Verschiebung des CDU-Parteitags. Bis so jemand wie er die Vorwändigkeit gegenüber der Bevölkerung, den Angriff auf elementare Rechte der Masse erwähnen würde, dürfte es noch ein weiter Weg sein, wenn überhaupt jemals. Es ist bestimmt nicht schade, wenn der CDU-Parteitag verschoben wird und einem Merz, der jedenfalls zu den größten Bemäntlern des Sumpfes seiner Partei gehört, seine Chancen vermasselt werden. Allerdings fragt es sich, ob aus diesen Kreisen überhaupt noch einmal was Vernünftiges kommen kann, nachdem sie mit Merkel über eine ganze Reihe von Jahren den Weg in den Abgrund brav mitgegangen sind.
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