Die Erpressungen durch den Kapitalismus wachsen ins Unermeßliche

 

Die Forderungen nach weiteren Kreditlawinen

 

Fragen des europäischen Stabilisierungsfonds (EFSF) und der  Europäischen Zentralbank (EZB)

 

Der angelsächsische Angriff

 

2 bis 3 Billionen neuer Mittel sollen von der EU bereitgestellt werden, forderte jüngst ein europäischer Finanzminister und Vorsitzender des EU-Finanzminister-Rates, der Pole Rostowski („HB“ 28.11.2011). Die bisherige EFSF (European Financial Stability Facility) zur Beschaffung neuer Kredite für Staaten, die ohne diese Garantie der gesamten Eurozone, d.h. vor allem auch Deutschlands, Bankrott anmelden müßten, sei praktisch ein Nichts und müsse verdoppelt oder verdreifacht werden, um Eindruck zu machen.

Diese EFSF besteht bisher aus einem (von der EU auf den Kapitalmärkten zusammengeborgten bzw. noch zu borgenden) ­Fundus von ca. 250 Mrd., der durch erhoffte Beteiligungen weiterer Kreditgeber aus den „Finanzmärkten“ in Höhe von ca. 750 Mrd.  €  .- den sog. Hebel –  nach den ursprünglichen Absichten auf 1 Billion aufgeblasen werden sollte.

Die „Märkte“, d.h. die internationalen Finanzinstitutionen, Banken, Hedgefonds etc., würden andernfalls kein „Vertrauen“ mehr in die europäischen Staatshaushalte entwickeln und deren Weiterfinanzierung verweigern oder mit derartig hohen Zinsen garnieren, daß die offiziellen Bankrotterklärungen in der nächsten Zeit nur so purzeln müßten.

Außerdem müsse die Europäische Zentralbank in noch weit größerem Umfang als den bisher erreichten 200 Mrd. € neue Staatsanleihen gefährdeter Länder kaufen. (Kritiker sehen in einer solchen Politik die Verwandlung der EZB in die größte Bad Bank, deren Verluste gleichfalls auf die Bevölkerung abgewälzt werden sollen.)

Auch wenn andere Politiker etwas andere Zahlen nennen oder etwas andere Rezepte favorisieren, wird hier eine generelle Richtung formuliert. Prinzipiell andere Antworten wissen andere auch nicht. Zwar sperrt sich die deutsche Regierung noch etwas, weil sie derzeit eine weitere Schuldenaufblähung nur unter der Bedingung zulassen will, daß eine „Fiskalunion“ errichtet wird. Die betr. Regierungen sollen, natürlich ohne ihre Wähler zu fragen, die Kontrolle ihrer Staatshaushalte an eine zu schaffende Brüsseler Superbehörde abgeben. Aber selbst wenn ein derartiger antidemokratischer Exzess überhaupt vereinbart würde, fragt sich, ob dadurch eine tatsächliche Kontrolle der Planung und Verwendung der Haushaltsmittel durch die einzelnen Länder überhaupt erreicht werden kann. Von wem eigentlich und mit welchen Machtmitteln? Hinterher wäre das Dickicht der Machtcliquen in Europa noch undurchschaubarer. Vielleicht hofft die deutsche Regierung auf diesem Wege mehr Einfluß an zentraler Stelle zu bekommen.  Die Sanierung der diversen Staatsfinanzen aber ließe höchstwahrscheinlich weiter auf sich warten.

Der politische Apparat insgesamt weiß auf die Schuldenkrise keine anderen Antworten als groteske Steigerungen des Schuldensystems in verschiedenen Varianten. Seine Verflechtung mit dem finanzkapitalistischen Überbau kann er selbst nicht in Frage stellen. Diesem Duo Infernal droht der gemeinsame Untergang. Eine der wahrscheinlichsten Folgen der Fortsetzung seiner Politik ist umwälzende Inflation, gepaart mit wirtschaftlicher Depression und weiterer Auflösung staatlicher und rechtlicher Ordnungen.

 

Was hier unter dem allgegenwärtigen epresserischen Krisenverschärfungsdrohungen abläuft, ist die größte Operation des Kapitalismus zur Ausplünderung der großen Masse der Bevölkerung, die die Geschichte je gesehen hat. Sie ist global angelegt, allerdings hat sie in den verschiedenen Ländern und Zonen unterschiedliche Formen; wenn große Teile der Bevölkerung völlig besitzlos sind wie bspw. in Indien, geht der internationale Kapitalismus natürlich anders vor als bspw. in Europa.

 

Wenn die Staatsverschuldungen mit solchen Kredit- und Spekulationslawinen wie oben erwähnt weiter ins Unermeßliche aufgebläht werden, bedeutet das unter europäischen Verhältnissen gegenüber allen gegenwärtigen Generationen die Aufkündigung sämtlicher Versprechen auf gesellschaftliche Sicherungen. Geldansprüche wie Renten, staatliche wie private, auch Löhne, Geldvermögen etc. werden unter der Inflation wie Schnee an der Sonne wegschmelzen bzw. werden wegen wirtschaftlicher Depression offiziell gekürzt werden. Privater Sachbesitz wie z.B. Immobilien, der bisher als Sicherung an den Mann gebracht wurde, wird unter dem Druck von Steuern und Einkommensverlusten liquidiert werden müssen. Das kommt auch ohne Gesetze zur sog. ökologischen Sanierung von Gebäuden bzw. wird durch dieselben noch beschleunigt. Und alles, was liquidiert werden kann, fließt in die Bilanzen der Finanzinstitutionen, die die Staatshaushalte noch ganz anders als bisher im Griff haben, und an die sich selbst erhaltenden politischen und bürokratischen Kasten.

Einhundertundfünfzig Jahre Sozialpolitik werden widerrufen, wenn es in diese Richtung weitergeht. Teilweise Widerrufe gibt es längst (in Deutschland z.B. ablesbar an der Hartz-Politik). Das Kapital in Gestalt seiner finanzkapitalistischen obersten Organisationsformen verlangt heute aber viel mehr, die Auslieferung der Volksvermögen und den Kniefall ganzer Bevölkerungen als Paupers. Offener als je zuvor tritt hervor, daß die kapitalistische Krise von Machern gemacht und geplant wird. Es gibt in dem Krisengeschehen nicht nur den Faktor der sozusagen kapitalistisch-naturwüchsigen Anarchie und Exzesshaftigkeit und der entsprechenden Katastrophen, sondern auch den Faktor der bewußten Auslösung, Steuerung und Ausnutzung kapitalistisch-krisenhafter Zuspitzungen. Kapitalismus überhaupt ist Krise in Permanenz und vom Prinzip her, und genau so wird er von seinen zentralen bestimmenden Cliquen betrieben. Wenn es keinen genügenden Massenwiderstand gibt, wie er immerhin die Weltgeschichte des vergangenen Jahrhunderts geprägt hatte, zerstört er sämtliche humanen sozialen Strukturen.

Auch das politische System der Bundesrepublik Deutschland erreicht nach so vielen Jahren der Schöntuerei nun auch den Punkt der finalen sozialen Bankrotterklärung und erbringt den Beweis, daß auch es nicht wesentlich anders kann als die politischen und sozialen Varianten des kapitalistischen Systems in anderen Ländern  – obwohl es noch weiterhin anders herumplappert. Hierzulande gibt es eben eine mittlerweile verfestigte Kultur rentnerhafter Verlangsamung bzw. völligen Stillstands, mit charakteristischen Auswirkungen auch auf das Begriffsvermögen.

Der sog. angelsächsische Angriff

In Europa wird der Angriff der Finanzmärkte z.T. als Angriff äußerer Mächte auf die EU-Strukturen gedeutet und zum Widerstand dagegen aufgefordert. „Angelsächsische“ Kräfte  werden hauptsächlich genannt, die Rolle Chinas bspw. sollte man allerdings auch einmal kritisch betrachten.

Man müßte in der Tat schon die Augen ganz fest zumachen, um nicht solche Vorgänge zu bemerken. Jedoch kann der Versuch nicht akzeptiert werden, mit vorwiegender Anklage der USA etc. von den maroden europäischen kapitalistischen Strukturen abzulenken. Sie sind im Prinzip dieselben wie anderswo und selbst massive eigenständige Quellen der Krise. Desindustrialisierung, Billigstlöhne, massenhafte hoffnungslose Jugendarbeitslosigkeit, Korruption auf allen Ebenen und mafiose Doppelherrschafts-Strukturen ziehen ganz Europa hinunter.

Man muß mE zwei Elemente scharf analytisch trennen: a) was ist  in der heutigen Situation Angriff des Kapitalismus überhaupt auf die Bevölkerungen, gerade auch in Europa ? Der erfordert unversöhnlichen Massenwiderstand. b) welche Rolle spielen daneben und darüberhinaus die internationalen Zuspitzungen, die Rivalität der verschiedenen kapitalistischen Zentren und ihr Kampf untereinander? Die europäischen Völker haben kein Interesse daran, daß die (kontinental-) europäischen Staaten in diesen Kämpfen gegeneinander gestellt und die europäische Substanz aufgerieben wird.

Über die reale Schärfe der internationalen Gegensätze breiten die Medien und die Politiker derzeit noch vorwiegend dicke Vorhänge, die allerdings bald an verschiedenen Stellen zerreissen und sehr unschöne Überraschungen zum Vorschein kommen lassen dürften. Wie wäre es denn bspw. mit Krieg gegen Syrien, unter Verwicklung von Russland und anderen Mächten?

In der Tat deuten viele Vorgänge derzeit darauf hin, daß in den USA, teilweise auch in den stark von den USA abhängigen Kreisen Großbritanniens (der sog. Londoner City, dem – noch – zweitgrößten internationalen Finanzzentrum) versucht wird, die Krisenwirkungen auf Kontinentaleuropa zu konzentrieren, hier den Brennpunkt des Chaos zu erzeugen und dann die größte Beute zu machen. Geschossen wird  – einstweilen –  noch mit Munition der Rating-Agenturen, mit Medienpropanda von einem „Eurogeddon“ etc.

Demgegenüber wehren sich die herrschenden Kreise Deutschlands, Frankreichs und anderer Länder, die in den europäischen Zusammenschluß ihre Hoffnungen auf das möglichst selbständige Überleben und Prosperieren ihres Kapitalismus setzen. Aufgrund ihrer eigenen finanzkapitalistisch-bürokratischen Struktur, die seit langem den deutlichsten Ausdruck in dem Brüsseler Moloch findet, versuchen sie ihrerseits, die Mittel für ihren Widerstand aus den Ansprüchen und den Vermögen der Bevölkerungsmassen Europas herauszupressen und die Undemokratie auf die Spitze zu treiben. Die sog. europäische Fiskalunion, wie sie von Schäuble und anderen als Ausweg gesehen wird, würde die Staatshaushalte der einzelnen Länder, einschließlich übrigens des deutschen, ganz prinzipiell der nationalen Souveränität entziehen und einer von den eingeweihtesten Kreisen rekrutierten Brüsseler Superbehörde unterwerfen.

Der eigene Staatshaushalt ist das zentrale Mittel der nationalen Souveränität und kann nicht auf diese Weise enteignet werden. Wenn man die europäische Ökonomie stärken will, muß man die zahlreichen gesellschaftlichen Verfaulungserscheinungen ins Visier nehmen, statt sie mit finanziellen Schneeballsystemen zuzudecken und deren Machern noch mehr Macht zu geben. Da die politischen Kasten für dieses System verantwortlich sind und zu erheblichen Teilen bereits davon leben, müssen die Sanierungsaufgaben revolutionär angepackt werden.

Die nationale Souveränität Deutschlands in den Augen der Schäuble und Merkel

In diesem Zusammenhang machte Schäuble jüngst öffentlich deutlich, daß er und seinesgleichen von nationaler Souveränität tatsächlich nichts halten. Wenn er sagt, daß Deutschland seit dem 8. Mai 1945 (dem Tag der Kapitulation) sowieso nie mehr souverän gewesen sei, hat spricht er zwar ein existierendes Problem an[1]. Er hat aber nicht recht damit das Prinzip überhaupt zu verleugnen im Interesse einer noch selbstherrlicheren finanzkapitalistisch-bürokratischen europäischen Superstruktur. Ich habe bereits in Beiträgen im letzten Jahr die Ansicht geäußert, daß die Merkel-Regierung, in Übereinstimmung mit den übrigen Parteien, eine Politik der Abwicklung Deutschlands zwecks Erhaltung des Kapitalismus verfolgt. Das bestätigt Schäuble mit solchen Ausfälligkeiten.

 

Es mag sein, daß in Deutschland viele Menschen durch die geschichtliche und kulturelle Entwicklung unseres Landes, d.h. vor allem die Diktatur der sog. Siegermächte, der USA und lange Zeit auch einer dem Anspruch nach sozialistischen europäischen Vormacht, ihrer eigenen nationalen Identität entfremdet und dem Gefährlichen solcher Bestrebungen gegenüber unempfindlich sind. Außerdem ist hierzulande ein politisch rechtes, national-egoistisches und kleinbesitzerliches Gegrummel zu vernehmen, das ich hier einmal unkommentiert lasse, weil es nicht weiter führt und nur anderen als Argument für die weitere Unterdrückung der deutschen Nation taugt (auch und gerade wenn es sich nunmehr „endlich“ in der einen oder anderen populistischen Form organisieren mag –  vielleicht jetzt à la Guttenberg?).

Ich glaube aber nicht, daß es in unserem Land nur Kriecher oder rechte Zwerge gibt, und noch weniger, daß die anderen europäischen Nationen sich solche Anmaßungen wie die Schäubles letztlich gefallen lassen. Eine sog. Fiskalunion dieses Typs, der kalte Staatsstreich gegen die nationalen Souveränitäten Europas, mag in den Augen gewisser Macher ein Mittel gegen die „angelsächsische“ Dominanz und zur Festigung ihrer eigenen Macht gegenüber den eigenen Völkern sein, aber er kann keinen Bestand haben, da er diese zum Widerstand zwingt, und die äußeren Gegner werden diesen zu funktionalisieren versuchen. Wenn es weitere europäische Zentralisierungen geben soll, dann müssen sie nach ausgiebiger politischer Debatte durch die Bevölkerungsmehrheiten demokratisch beschlossen werden. Den bisherigen Weg der unautorisierten Bildung von Suprabehörden durch die herrschenden Oligarchien kann man nicht weitergehen, ohne den europäischen Zusammenschluß zum Bruch zu führen. Auf diese Weise kann auch der „angelsächsischen“ Drohung höchstens für kurze Zeit begegnet werden.


[1] Genauer gesagt, ist Deutschland seit dem Versailler Vertrag 1919 und seinen Folgen nicht mehr souverän gewesen. Außerdem impliziert Schäuble mit seiner Datierung, daß das Nazisystem von 1933 – 1945 ein Regime staatlicher Souveränität gewesen sei. Wenn überhaupt, dann war es ein Hohn gegenüber der deutschen Nation und mußte zu ihrer weiteren Zerstörung führen.

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