Northstream, der europäische Zusammenhalt und das Verhältnis zu Russland

Jetzt muss ich doch auf die Schnelle ein paar Bemerkungen zu dem Streit innerhalb der EU über die von Deutschland vorangetriebene neue Gasleitung Northstream 2  machen.

Seit langem opponieren vor allem osteuropäische Staaten, Polen und die baltischen, gegen das Projekt, und Frankreich unter Macron plädiert dafür, diese Opposition nicht abzuwerten oder links liegen zu lassen, was bei manchen deutschen politischen Arroganzlern leider der Stil ist.

Bei der osteuropäischen Opposition sind anscheinend unterschiedliche Motive im Spiel. Es gibt kommerzielle Interessen: wenn Northstream 2  z. B. an Polen vorbeigeführt wird, verliert dieses Land Transitgebühren, auf die es bisher aufgrund existierender Leitungen Anspruch hatte.

Während man auf diesem Gebiet mit Kompromisswillen wohl weiterkäme, existieren auf dem geopolitischen Kampfplatz jedoch viel ernstere Konflikte. Es geht um die Frage des gesamten künftigen Verhältnisses der EU zu Russland, und diese Frage ist wiederum eingebettet in die Überlegungen, wie die EU sich künftig gegenüber den USA und China und deren fundamentaler Auseinandersetzung um die Rolle des globalen Hegemons definiert.

Ich denke, dass die EU gut daran täte, sich mehr und mehr aus der langjährigen und hartnäckig weiter verfolgten US-Strategie auszukoppeln, die darin besteht, Russland militärisch einzukreisen und auf diesem Wege möglichst weitgehend Russlands eigene außenpolitische  Beweglichkeit zu beschränken.

Die Ukraine-Frage bspw. ist vom Bestreben der USA stark mitgeprägt, in diesem Land mehr Einfluss und vor allem militärische Stützpunkte gegen Russland zu bekommen. Die USA, das darf man wohl unterstellen, haben sich in diesem Bestreben mit den fragwürdigsten politischen Elementen der Ukraine verbündet, die schon Schaum vor den Mund bekommen, wenn jemand bloß „Russland“ sagt, und solange die Bosse in der Ukraine die gespannte Lage mit Russland als unverzichtbaren Teil ihrer eigenen  Existenzgrundlagen betrachten, um innenpolitisch sich zu behaupten, um Geld, Waffen und gute Medien im Westen zu bekommen, wird  in der Ukraine sich nichts zum Besseren wenden können.

Man muss die Annexionspolitik Russlands im Osten der Ukraine in diesem Rahmen sehen. Russland kann es sich aus Gründen der militärischen Konfrontation mit den USA nicht erlauben, dass sein südwestliches Einflussgebiet, sein militärisches Vorfeld stärker unter die Kontrolle von Kräften kommt, die mit der aggressiven Strategie der USA unter einer Decke stecken. Formalrechtlich ist die Okkupation der Krim und die Schaffung von Pufferzonen nach Westen hin durch Separatistenzonen zu verurteilen, und die Regimes, die dort etabliert wurden, unterscheiden sich wohl nicht wesentlich von Gangsterstaaten (wie es sie, nebenbei bemerkt,  weltweit unter dem Schirm der USA schon lange gegeben hat und da oder dort noch immer gibt, so z.B. Saudi-Arabien). Aber wenn in der EU, die in der Ukraine aus eigenen Interessen heraus eigentlich keine militärische Expansion betreiben will und dies auch gar nicht kann, aber gegenüber dem Expansionismus der USA die Klappe halten muss und ihn sogar teilweise unterstützt, gegen die russische Politik krakehlt wird, ohne den Balken im eigenen Auge sehen zu wollen, dann ist das bestenfalls ein widersprüchliches Gestammel ohne klare geopolitische Substanz; es schadet den europäischen Interessen statt sie zu artikulieren. Eine Verbesserung der Lage in der Ukraine ist unter diesen Umständen auch nicht am Horizont.

Polen und die baltischen Staaten haben seitens Russlands, in den Jahrhunderten des Zarismus und leider auch in den Jahrzehnten nach der russischen sozialistischen Revolution, wenig Gutes erfahren. Aus der Geschichte heraus kann man verstehen, dass dort breiteste Kreise noch immer befürchten, einmal mehr unter russischen expansionistischen Vorstößen leiden zu müssen.

Und man kann in der Tat diese Ängste auch nicht einfach abtun; zwar reicht die Kraft des heutigen Russland für dauerhafte Rückeroberungen in baltischen oder polnischen Regionen nicht aus, vor allem auch weil die ökonomische Lebenskraft und die gesellschaftliche Attraktivität des heutigen Russland nicht weit von der Null-Linie sich bewegen. Aber gelegentliche durch militärische Übermacht ermöglichte Vorstöße Russlands, z.B. aus Gründen chauvinistischer Propaganda nach innen oder geopolitischer Taktik, kann man auch heute nicht ausschließen. Derartigem muss politisch und militärisch vorgebaut werden.

Das grundsätzliche Dilemma der EU jedoch, militärisch keine genügenden eigenen Kräfte für diese eigentlich defensive Aufgabe stellen zu können und auf die USA angewiesen zu sein, kommt hier so klar wie an wenigen anderen geopolitischen Bruchlinien zutage.

Will man die eigenen östlichen Mitgliedsländer schützen, was derzeit ohne die USA nicht möglich ist,  kauft man sich unweigerlich die Fortsetzung kriminell-aggressiver US-Strategien gegenüber Russland mit ein und stärkt zumindest indirekt solche politischen Kräfte wie in der Ukraine, die sich mit der aggressiven Geopolitik der USA sogar selbst identifizieren und vom Kleinmachen Russlands unter dem Raketenschirm der USA  träumen. Solche Blödköppe gibt es übrigens auch im restlichen Europa noch einige, aber sie haben hier derzeit nichts zu sagen.

Die Lage wird noch komplizierter durch die geopolitische Variante Trumps. Dieser versucht, in der Konfrontation mit der hegemonialen Herausforderung durch China, Russland von einer engeren Verbindung mit China abzubringen, denn sollten sich diese beiden Mächte, China mit seinem ökonomischen und mit seinem wachsenden militärischen Potential, und Russland mit seinem noch immer gewaltigen militärischen Apparat und seinem riesigen Territorium, gegen die USA verbünden, dann könnten diese einpacken.

Kompliziert ist die Lage zusätzlich auch dadurch, dass mit dem partiellen Werben Trumps um Russland die Einkreisungsstrategie der USA gegenüber Russland keineswegs beendet ist, sondern natürlicherweise als Druckmittel aufrechterhalten wird. Auch besteht zumindest theoretisch eine Möglichkeit, dass die USA und Russland zu größeren Kompromissen auf Kosten Europas ihre Zuflucht nehmen. Beide sind absolut keine Freunde des europäischen Zusammenschlusses, weil der die geopolitischen Ambitionen beider erheblich einschränken wird, wenn er denn erfolgreich konsolidiert werden kann. Dass die USA Russland insgeheim schon einmal entgegenkommen könnten, wenn dieses durch offene oder verstecktere Aggressionen auf europäische Kosten vorgehen und der EU ihre Unfähigkeit im Existenzkampf  demonstrieren würde, ist zumindest nicht undenkbar.

Es muss unter diesen verwickelten – und hier nur laienhaft und verkürzt dargestellten – Umständen, in dieser Lage mit vielen Hintertüren und Unsicherheiten ein elementares Interesse der EU als ganzer sein, ihrerseits Russland mit einem hohen Maß an Partnerschaft zu begegnen und jede Chance zu nutzen, den russischen Machthabern klarzumachen, dass es ihnen nur dann selbst besser geht, wenn sie sich gegenüber Europa zurückhalten. Entsprechend muss natürlich die EU Russland in pcto. Zügelung der US-Militärstrategie auf europäischem Boden glaubwürdig entgegenkommen.

Ob nun das Northstream 2 -Projekt ein passendes und unverzichtbares Instrument der Entwicklung besserer Partnerschaft mit Russland ist, kann man mit guten Gründen bezweifeln. Es sollte dem Einvernehmen mit Frankreich und den meisten anderen EU-Mitgliedern, vor allem den osteuropäischen, unterworfen und nicht deutsch-egoistisch-stur auf deren Kosten durchgezogen werden.

Northstream 2  hat aber leider auf deutscher Seite, und fast nur auf deutscher (Österreich ist mit von der Partie), existentielle Verankerungen, und die liegen in der hochproblematischen deutschen Energiepolitik. Nach der Schleifung der Kernkraftwerke und der bevorstehenden Schleifung der Kohlekraftwerke ist Deutschland mit eigenen Energieressourcen nicht ausreichend ausgestattet. Zudem sind zusätzliche Gaskraftwerke zur Stabilisierung der Stromnetze unabdingbar, wenn Wind- und Solarstrom in erheblichem Umfang verwendet werden. Und statt mit Strom zu heizen wie in Frankreich üblich, wird in Deutschland zunehmend auf Gas gesetzt, die gefährlichere, teurere und umständlichere Variante. Die sog. Erneuerbaren sind noch weit davon entfernt, die Ausfälle durch Atom-und Kohle-Ausstieg wettmachen zu können – wenn man dergleichen denn überhaupt für möglich hielte. Gas aus Russland muss also in noch größerem Umfang als bisher eingeführt werden. Es ist kein Zufall, dass Schröder, der Kanzler, der zusammen mit dem Grünen Fischer (und der Deutschen Bank im Hintergrund) etc. den Atomausstieg im Jahre 2000 fundamental eingestielt hatte, jetzt als der Hauptvertreter des Gasimports aus Russland fungiert.

Welche Lösungen jetzt konkret in der internen EU-Abstimmung und mit Russland gefunden werden könnten, um die europäische Einheit weiter zu stärken und die Partnerschaft mit Russland weiterzuentwickeln, muss sich noch zeigen.

Abgesehen davon: mit Recht dürfen die europäischen Partner von Deutschland deutliche Korrekturen an dessen halsbrecherischer Energiepolitik verlangen, die ohnehin die meisten anderen Staaten mitbetrifft –  sei es, dass ihre eigenen Stromnetze mit dem deutschen mitwackeln, sei es, dass sie aus ihren Atom- und Kohlekraftwerken Strom in deutsche Netze leiten müssen, weil hier die Erneuerbaren nicht ausreichen.

 

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