China und der Rest der Welt – Fragen, Fakten und Meinungen aus vier aktuellen Büchern

 

Wird es zum Krieg der USA gegen China kommen?

Worum geht es in der Konfrontation im südchinesischen Meer?

Welche Bedeutung für Europa haben Möglichkeiten eines eurasischen Verbundes mit China, Russland und Zentralasien?

Welche sozialen Bedingungen entwickeln sich im Innern Chinas?

Welchen Charakter hat die neue chinesische Bourgeoisie, welche gesellschaftlichen Modelle, Moralvorstellungen und Herrschaftspraktiken entwickeln sich dort, wie wirken sie sich international auf andere Gesellschaften aus?

Wird Afrika von China kolonisiert?

Wie stark ist bereits der chinesische Einfluss in den chaotischen Gebieten Nordafrikas, des Vorderen Orients (Syrien, Arabische Halbinsel etc.), des Mittleren Orients (Irak, Afghanistan), in Iran?

Wie entwickelt sich die Rivalität mit Indien?

Dies nur eine kleine Sammlung von Fragen, die sich einem  halbwegs aufmerksamen Beobachter der Tagespolitik ständig aufdrängen. Leider werden sie in deutschsprachigen Medien, seien es sog. Qualitätszeitungen, seien es Massenmedien wie das Fernsehen, viel zu wenig überhaupt und wenn, dann mit zu wenig Interesse für fundierte Analysen behandelt. Dabei muss man kein tiefer Denker sein um zu ahnen oder bereits zu spüren, wie sehr die mit China verbundenen Fragen unsere eigene deutsche und europäische Zukunft mit prägen. Die traditionelle internationale Anbindung Europas vorwiegend an die USA ist keineswegs mehr selbstverständlich; die europäische Wirtschaft wird immer stärker vom Austausch mit China geprägt, die Investitionen in China und umgekehrt die Investitionen Chinas in Deutschland und Europa nehmen zu, es gibt Vorboten chinesischer Migration nach Europa – insbesondere in Italien und Staaten der südosteuropäischen Peripherie scheint sich da einiges zu tun, usf.

Ein derartiger auf Europa und die Interessen der europäischen Bevölkerung konzentrierter Blick auf die Frage „China“ ist natürlich nicht der einzig mögliche Ausgangspunkt für Überlegungen und Analysen, wenngleich er zunächst einmal naheliegt. Übergeordnet muss immer die Frage nach der Entwicklung des Ganzen der Weltbevölkerung und des Globus sein, gleich von welchem Teil der Welt aus man ansetzt.

Ich habe in den letzten Monaten einige Bücher gelesen, die sich direkt mit China befassen:

„Frieden auf Chinesisch –warum in Asien Krieg droht“ von Jonathan Holslag

 „Chinas Kapitalismus. Entstehung, Verlauf, Paradoxien“ von Tobias ten  Brink

„Grosse Ambitionen. Chinas grenzenloser Traum“ von Evan Osnos

„When China Rules the World“ von  Martin Jacques

Hinzuzunehmen wäre das Buch “China’s Second Continent. How a Million Migrants Are Building a New Empire in Africa“ von Howard French, das ich bereits in einem Beitrag v. 8.6.2014 ausführlich rezensiert habe.

Die Werke zeigen eine große Vielfalt von Ausgangs-Fragestellungen, Interesselagen der Autoren und Methoden der Recherche und Darstellung. Zunächst stelle ich sie ganz knapp vor. Im weiteren versuche ich meine eigene Sicht auf einige Probleme zu formulieren.

  1. Jonathan Holslag ist lt. Klappentext Professor für Internationale Politik an der Vrije Universiteit Brussel und militär- und außenpolitischer Berater diverser europäischer und atlantischer politischer Institutionen. U.a. veröffentlichte er 2014 eine Arbeit unter dem Titel „How Europe Will Survive the Asian Century“.

Der englische Originaltitel von „Friede auf Chinesisch“ ist weniger zurückhaltend als der der deutschen Übersetzung:  „China’s Coming War with Asia“. Das Buch erschien 2015 bei  Polity Press, Cambridge, die deutscher Übersetzung 2015 bei edition Körber-Stiftung, Hamburg.

Holslags Darstellung geht von „vier großen Bestrebungen“ aus, die das Handeln nicht erst der gegenwärtigen chinesischen Regierung fundieren (in seiner Sicht):

  • Die Sicherung von Grenzgebieten (bspw. Tibet und Xinjiang, Inseln im südchinesischen Meer)
  • Anhaltende Unterstützung der Partei durch das Volk, vermittelt v.a. durch ökonomische Verbesserungen für die bzw. für große Teile der Bevölkerung
  • Anerkennung der staatlichen Souveränität
  • Wiedergewinnung verlorener Territorien (bspw. Taiwan)

Diesen Problemfeldern entsprechend analysiert Holslag  Grenzprobleme Chinas mit seinen Nachbarn; den Charakter und die problematischen Perspektiven des chinesischen Wirtschafts-Aufschwungs, z.B. die weitere Angewiesenheit auf Ausbeutung billigster Lohnarbeit, aber gerade auch  auf die wirtschaftlichen Verflechtungen mit asiatischen Nachbarn; und vor allem den Kampf gegen die USA um die miltärisch-strategische und politische Dominanz in der ost-und südchinesischen See, d.h. an Chinas gesamter maritimer Ostgrenze.

  1. Chinas Kapitalismus. Entstehung, Verlauf, Paradoxien“ von Tobias ten Brink ist ein wissenschaftlicher Beitrag (Habilitationsschrift) aus dem „Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln“ und erschien bereits 2013 im Campus-Verlag, Ffm.

Dieses Buch hat mE seinen Hauptstärke in der Analyse der Interaktion einheimischer chinesischer kapitalistischer Antriebe mit denen des internationalen Kapitalismus, beginnend mit den sog. Reformen unter Deng Xiao-Ping seit 1978 und den ersten Engagements „auslandschinesischen“ Kapitals bis hin zu den Verflechtungen mit internationalen, v.a. westlichen Konzernen und dem globalen Finanzkapital, die ständig  zunehmend die folgenden Dekaden charakterisieren. Ten Brink behandelt auch ausführlich die inneren sozialen Widersprüche, v.a. den der sog. Wanderarbeiter, d.h. des modernen chinesischen Proletariats, das die chinesische Bourgeoisie und das globale Kapital reicher gemacht hat als es je Ausbeuter in der früheren Geschichte hoffen konnten.

  1. Grosse Ambitionen. Chinas grenzenloser Traum“ von Evan Osnos ist das Werk eines US-Journalisten, der für die „Chicago Tribune“ und den „New Yorker“ gearbeitet hat. Es ist 2014 unter dem Titel „Age of Ambition. Chasing Fortune, Truth, and Faith in the New China“ bei Farrar, Straus and Giroux, NY erschienen und wurde mit dem „National Book Award“ ausgezeichnet. Die deutsche Übersetzung bei Suhrkamp, Berlin 2015. Wieder ist der Originaltitel direkter und inhaltsreicher als der deutsche.

Das Buch verarbeitet z.T. bereits früher erschienene Reportagen des Autors. Es porträtiert eine Reihe von chinesischen Einzelpersönlichkeiten und beleuchtet von diesem Ausgangspunkt her gesellschaftliche Probleme, Herrschaftsmethoden der Partei, Fragen der Freiheit der Medien, Charaktere der Bereicherung, Korruption usf. Die Beziehungen Chinas zum „westlichen“ Kapitalismus erfahren hier interessante Momente schlagartiger Erhellungen, jedoch keine systematische Analyse. Fragen zu den asiatischen Nachbarn, zur Rivalität mit den USA werden kaum berührt.

Andererseits wird der Leser (die Sauberkeit von Osnos‘ journalistischer Arbeit einmal unterstellt) mit Äußerungen, Zielen und Ansichten aktiver chinesischer Zeitgenossen direkt konfrontiert. Auch wenn Osnos‘ Schwerpunkt bei  solchen Persönlichkeiten liegt, die in typischer US-mainstream- Blickverengung für die Fragen der sog. Menschenrechte interessant sein könnten, wirken viele ihrer Äußerungen und die Darstellungen ihrer Lebenswege eher authentisch für mich.

 

  1. Schließlich „When China Rules the World“ von Martin Jacques.

Das Buch erschien 2009 bei Penguin Books, London, die 2. Auflage 2012. Ich benutze die 2. Aufl.

(Penguin Books gehört zu einer Obergesellschaft, deren Eigentum zwischen Bertelsmann -53% – und Pearson – 47% -geteilt ist.)

Der britische Journalist, Mitarbeiter zahlreicher akademischer Institutionen im UK, in China und anderen ostasiatischen Ländern sowie in den USA, hat hier ein Kuriosum abgeliefert.

In auffälligem Kontrast zu dem Fakt, dass er bis 1991 Herausgeber einer Londoner Zeitschrift „Marxism Today“ gewesen ist, zeigt Jacques im Vergleich mit den anderen drei  Autoren das geringste Interesse für die chinesische Arbeiterklasse und die in ihr verkörperten krassen Widersprüche des modernen Kapitalismus, des chinesischen wie des übrigen internationalen.  Jacques schreibt lieber über das von ihm positiv gezeichnete Erbe des Konfuzianismus in der heutigen chinesischen Kultur, über die „humane Autorität“, die sich in Chinas derzeitigem Aufstieg verkörpern könne, und die „eine neue Art globaler Führung repräsentieren könnte“ (so z.B. S. 595). Diese Art von Buch wird übrigens auch von Eric Hobsbawm wärmstens empfohlen.

Ich habe den Eindruck, dass Jacques zentrale Elemente der positiven Selbstdarstellung der neuen chinesischen Machthaber übernimmt, aber nicht nur das: könnte es sein, dass im westlichen Kapitalismus, v.a. seinen globalen finanzkapitalistischen Spitzen, Hoffnungen gehegt werden (und sich bei Autoren wie Jacques bereits dezent niederschlagen), gemeinschaftlich mit der neuen chinesischen Bourgeoisie das Überleben besser sichern zu können als im globalen Alleingang und konfrontativer Behauptung „westlicher Werte“ gegenüber „chinesischer Diktatur“?

Jacques spricht deutlich über eine Perspektive, wie „der Westen“ chinesischer, konfuzianischer werden könnte und man sich für eine künftige globale Dominanz Chinas erwärmen könnte, die die US-amerikanische nach und nach ablösen könnte. Jacques propagiert recht unverhohlen alte chinesische Ideen vom „Reich der Mitte“, heute von ihm als mögliches künftiges Zentrum einer  Welt gesehen. Dass es sich dabei viel mehr um entfesselten kapitalistischen Bereicherungstrieb als um Konfuzianismus und „harmonisches“ kaiserliches bürokratisches Regieren handelt, bleibt tunlich außerhalb seines Bildes.

 

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Nun zu wesentlichen Elementen der einzelnen Werke, zunächst Holslag, Friede auf Chinesisch

Holslag ist seiner Einschätzung, dass es in Asien künftig Krieg zwischen China und anderen asiatischen Staaten geben werde, anscheinend so sicher, dass der englische Originaltitel genau dieses behauptet.

Andererseits spricht er auch von der Hoffnung, dass es nicht so kommen möge.

 „Ein Krieg in Asien [deutsche Ausgabe, Vorwort, S. 12, dies  auch anders als „War with Asia“] ist wahrscheinlicher geworden. Diese Erkenntnis sollte der erste ernsthafte Schritt bei allen Bemühungen sein, ihn zu verhindern.“

Auch der Ausdruck „Krieg in Asien“ differiert vom Titel der engl. Ausgabe „War with Asia“. Beim „Krieg in Asien“ kann es sich auch um einen Krieg mit den USA handeln, möglicherweise unter Beteiligung asiatischer Staaten an der Seite der USA, anderer an der Seite Chinas.

Andererseits enthält der deutsche Titel „Frieden auf Chinesisch. Warum in Asien Krieg droht“ mE eine Spitze gegenüber China. Eine solche Stoßrichtung wiederum bestreitet der Autor in seinem ausführlichen Text über die Spannungen zwischen den USA (und Japan) einerseits, China andererseits über die militärische Kontrolle der Südchinesischen See – Kap. 8, „Der Wettstreit um den Pazifik“. Hier wird ausgeführt, dass Chinas Sorgen durchaus berechtigt sind. Die Verschiebungen der Tendenz in den verschiedenen englischen und deutschen Begriffen ist mE bezeichnend für die Unsicherheit, in die man bei diesen Fragen unvermeidlich gerät.

 „Vom Japanischen Meer bis zur Großen Australischen Bucht sieht sich China von einem bedrohlichen Schild aus Kriegsschiffen, Sensoren und Raketen umgeben. Chinesische Experten sind sich einig: China kann ohne ein Abschreckungssystem im Westpazifik seine Küste nicht verteidigen, wird außerdem keine Chance haben, sein verlorenes Territorium zurückzugewinnen, und auch keine Sicherheit für sein wirtschaftliches Kerngebiet erringen.“ (237) (Mit „verlorenem Territorium“ sind wohl hier Taiwan und derjenige Teil der Inseln im Südchinesischen Meer, den China möglicherweise zurecht beansprucht. Ein internationales Schiedsverfahren zu Inseln ist anhängig.) (Das Verfahren ist von den Philippinen angestrengt worden, China erkennt es nicht an – Ergänzung 20.5.16)

Auch für die Überlegungen auf chinesischer Seite, „eine Verteidigung der Küstengewässer durch Abschreckung auf hoher See“ (241) zu ermöglichen, m.a.W. eine Hochsee-Kriegsmarine für den Westpazifik aufzubauen, um dem Anspruch  der USA auf die militärische Überlegenheit hinsichtlich der chinesischen Küstenregionen begegnen zu können, bringt Holslag durchaus Verständnis auf.

Klar wird aus seiner Darlegung auch, dass die Spannungen in und um das Südchinesische Meer nicht in erster Linie aus Konflikten zwischen China und Nachbarstaaten wie Vietnam und Philippinen um die eine oder andere Insel oder Wirtschaftszone resultieren, sondern aus dem Aufmarsch der USA in der gesamten Staaten- und Inselwelt, die der chinesischen Küste vorgelagert ist.  Die USA bemühen sich verständlicherweise, in diesem Konflikt möglichst viele Nachbarstaaten Chinas auf ihre Seite zu ziehen.

Holslag analysiert ferner die regionalen Interessengegensätze Chinas bspw. mit Vietnam und Indien. Diese Gegensätze könnten zu Bündnissen einerseits  unter der Führung der USA, andererseits unter China  führen und weiteres Potential für Kriege schaffen. Durch ein Bündnis verschiedener Staaten der Region ein ausreichendes Gegengewicht gegen China zu schaffen und auf diese Weise Stabilität auf längere Sicht zu ermöglichen, sieht Holslag jedoch als schwierig an (248).

„Erschwert wird dies zudem durch einen weiteren Faktor: den Nationalismus. Natürlich gibt es verschiedene Ausprägungen von Nationalismus, dennoch sind ihnen allen drei Eigenschaften gemeinsam. Erstens ist Asien keine Ansammlung angeschlagener Staaten wie Europa in den 1950er Jahren, als die Vereinigten Staaten die Führungsrolle im transatlantischen Bündnis gegen die Sowjetunion innehatten. Die meisten asiatischen Staaten sind jung, ruhelos, statusfixiert und bestrebt, ihre eigenen Interessen voranzubringen. Zweitens wird der Nationalismus durch innere und internationale Unsicherheit befördert….Drittens ist….der neue Nationalismus in Asien zunehmend chinafeindlich.“ (248)

„Der neue Nationalismus in Asien ist zum Teil ein Symptom für die wachsenden sozioökonomischen Probleme auf dem Kontinent, die wahrscheinlich noch zunehmen werden. Daher steht uns wahrscheinlich eine Periode bevor, in der mehr gegenseitige Zugeständnisse gefragt sind, um gefährlichere Konfrontationen zu vermeiden, eine Periode, in der zugleich Politiker weniger zu solchen Zugeständnissen bereit sein werden.“ (249)

„Bestehende Mächte, die sich an ihre Vorherrschaft und ihre Privilegien klammern wie die Vereinigten Staaten, stellen eine ebensolche Bedrohung für die Sicherheit Asiens dar wie ein aufsteigendes revisionistisches Land. Das Sicherheitsdilemma, an dem beider Mächte beteiligt sind, ist die Ursache der anhaltenden Spannungen, und keineswegs trägt China allein die Verantwortung.“ (258) (Mit „revisionistisches Land“ meint Holslag China, das ein Interesse an der Revision gewisser geltender Aufteilungen hat, bspw. an der Wiedereingliederung Taiwans. )

Ein Element der Zwänge, denen die chinesische Politik unterliegt, wird von Holslag immer wieder, und mE zurecht, betont – der innere Druck, den der chinesische Kapitalismus erzeugt. Zwar habe in der Vergangenheit China im Verhältnis zu seinen Nachbarn lange Zeit eine zurückhaltende, Konfrontationen ausweichende Politik in den territorialen Streitfragen verfolgt; dafür zollt Holslag China ausdrücklich Anerkennung. Jedoch werde nunmehr  es aus inneren sozialen Gründen „für China viel schwieriger sein, seinen friedlichen Aufstieg fortzusetzen.“  Die Gefahr, die Bevölkerung nachhaltig zu enttäuschen und ihre Unterstützung zu verlieren, weil sich der ökonomische Aufstieg verlangsame, zwinge die chinesische Führung durchaus zur weiteren Expansion des Außenhandels mittels der Fortsetzung des Niedriglohnregimes in der Industrie; die Versprechungen, die Ökonomie vor allem nach innen zu orientieren, Infrastruktur auszubauen, Löhne zu erhöhen und den Massenkonsum zu steigern, seien unter diesen Widersprüchen nicht zu verwirklichen.

In Wirklichkeit sei China gezwungen, um nicht in der Falle des mittleren Durchschnittseinkommens feststecken zu bleiben, was die innere Unruhe hochtreiben würde, die Märkte der asiatischen Nachbarn mit seinen Industrieprodukten zu überschwemmen, deren eigene Industrie niederzukonkurrieren und sie verstärkt in die subalterne Rolle der Rohstofflieferanten zu drängen.

Die derzeit noch relativ freien internationalen ökonomischen Beziehungen asiatischer Nachbarn Chinas kämen unter Druck, diese Länder verlören Teile ihrer Wohlstandsaussichten und ihrer ökonomischen Selbständigkeit unter dem Druck des riesigen Nachbarn. Das chinesische Wirtschaftsmodell sorge für Instabilität. (261).

Die Kritik an der chinesischen Politik der Handelsumlenkung und des industriellen Nationalismus wächst; viele Länder sind zudem zunehmend frustriert über die unausgeglichenen Handelsbeziehungen. In den letzten Jahren schien Peking noch in der Lage, manche Nachbarn durch vermehrte Kreditangebote zu beschwichtigen, aber das hat nicht überall funktioniert. Eine weitere Folge der neuen allumgreifenden Wirtschaftsform Chinas besteht darin, dass das Land seine Nachbarn davon abhält, ihre eigene Produktionsbasis zu entwickeln oder aufrechtzuerhalten, die bestehenden Handelsdefizite zu begrenzen, ihre Abhängigkeit vom Rohstoffexport zu vermindern, die Inflation einzudämmen und Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Das mindert die Zufriedenheit und das politische Vertrauen, was wiederum dazu führt, dass die Politiker dieser Länder ihre Politik stärker nationalistisch ausrichten und nicht selten in einen sinophoben Nationalismus verfallen. All das tritt zu einem Zeitpunkt ein, an dem in China selbst Zweifel an der Dauerhaftigkeit seines wirtschaftlichen Erfolgs aufkommen und die Menschen sich zunehmend Sorgen um die Zukunft des Landes machen.“ (261)

Diese Darlegungen Holslags werden von denen ten Brinks über die Zunahme sozialer Spannungen in China vor allem wegen der nach wie vor miserablen Behandlung der Arbeiter ergänzt und gestützt. S. hierzu den nächsten Abschnitt zu ten Brink.

 

  1. „Chinas Kapitalismus. Entstehung, Verlauf, Paradoxien“ von Tobias ten Brink

Dieses Buch hat mE seine Hauptstärke in der historischen Darstellung der Interaktion einheimischer chinesischer kapitalistischer Antriebe mit denen des internationalen Kapitalismus, beginnend mit den sog. Reformen unter Deng Xiao-Ping seit 1978 und den ersten Engagements „auslandschinesischen“ Kapitals bis hin zu den Verflechtungen mit internationalen, v.a. westlichen Konzernen und dem globalen Finanzkapital, die ständig  zunehmend die folgenden Dekaden charakterisieren. Ten Brink behandelt auch ausführlich die inneren sozialen Widersprüche, v.a. den der sog. Wanderarbeiter, d.h. des modernen chinesischen Proletariats, das die chinesische Bourgeoisie und das globale Kapital reicher gemacht hat als es je Ausbeuter in der früheren Geschichte hoffen konnten.

Ten Brink interessieren vor allem Fragen wie:

  1. die Interaktion des chinesischen Staates, d.h. in erster Linie der KPCh, mit den kapitalistischen Triebkräften, die durch die sog. Reformen unter Deng Xiao-Ping seit 1978 immer mehr in Gang gesetzt wurden.

 

„Der Parteistaat ist…selbst zentraler Bestandteil des chinesischen Kapitalismus…“ (27)

 

  1. die Einbettung der Entwicklung des Kapitalismus in China in globale kapitalistische Entwicklungslinien und internationale Kapitalströme

 

  1. die Unterschiede der verschiedenen chinesischen Regionen in ihrem Entwicklungsniveau und die konflikthafte Triebkraft der Konkurrenz zwischen ihnen sowie zwischen den verschiedenen regionalen Staatsapparaten einer-, der Zentralregierung andererseits

 

  1. die Klassenauseinandersetzungen, vor allem der weitgehend rechtlosen Arbeiterschaft mit Kapitalisten und Staatsmacht.

 

Ich übergehe die ausführlichen und teilweise etwas akademisch-umständlichen Definitionsbemühungen des Autors hinsichtlich Kapitalismus und seiner heutigen internationalen Spielarten, die gleichwohl nicht uninteressant sind (bspw. S. 47-57 und weiter bis S.80),  und referiere lediglich Hauptergebnisse ten Brinks zu China.

Im 2.Kapitel gibt ten Brink eine historische Darstellung der ökonomischen Politik(en) in China von der Gründung der VR China 1949 unter Mao Zedong bis zur Entstehung des „staatlich durchdrungenen Kapitalismus“. Sie beginnt mit der Deng Xiao-Pingschen „Reform des Agrarsektors“, d.h. der Re-Installation des bäuerlichen kapitalistischen Einzelbetriebs und der Verwandlung der kollektiven landwirtschaftlichen und industriellen Unternehmen auf dem Land in mehr oder weniger privatkapitalistische. Dann befasst sie sich mit der zeitlich darauf folgenden „Entstehung des Exportismus“, der Rolle zunächst auslandchinesischen bzw. taiwanesischen Kapitals bei  der Industrialisierung und mit der späteren „als historisch zu bezeichnenden Verlagerung der Wertschöpfung in Richtung China“ (S. 190), d.h. den massiven Produktionsverlagerungen aus den alten, kapitalistisch überakkumulierten und stagnierenden Zentren des „Nordens“, d.h. v.a. der USA und der alten Industriestaaten Europas.

Ten Brink bemerkt angesichts der hochgradigen Abhängigkeit der heutigen chinesischen Exportwirtschaft von internationalen Konjunkturen, Krisen und Unternehmenszentralen u.a.,

„dass viele der zentralen Faktoren, die der chinesischen Wirtschaft   zum Wachstum verhalfen und ihre Gesicht prägten, nicht unter der Kontrolle der chinesischen Staatsführung stehen und alles andere als leicht zu steuern sind. …schafft diese komplexe inter-und transnationale Integration in jüngster Zeit Abhängigkeiten und negative Externalitäten, die es dem Parteistaat erschweren, die sozialökonomische Dynamik aufrechtzuerhalten.“ (192)

Mit „sozialökonomischer Dynamik“ ist wohl  v.a. die bisherige Fähigkeit des Kapitalismus in China gemeint, durch ständiges massives Wachstum wenigstens genügend Arbeitsplätze neu zu schaffen, um nicht mit zu großer Massenunzufriedenheit wegen Arbeitslosigkeit konfrontiert zu werden und wenigstens kleine Lohnzugeständnisse machen zu können.

 

Das Kap. 3 heißt „Gegenwärtige Entwicklungslinien des chinesischen Kapitalismus“.

Ten Brink identifiziert hier die sehr unterschiedlichen Typen von Unternehmen des heutigen China hinsichtlich ihrer privaten, lokalen, regional-staatlichen, zentralstaatlichen, oder internationalen Eigentümerzusammensetzungen. Die Beziehungen der Eigentümerschichten zur „politischen Klasse“ werden analysiert.

Sehr wichtig scheint mir an diesem Abschnitt der Hinweis, dass neben den sehr heterogenen Eigentumstypen auch sehr heterogene „Produktionsregime“ identifiziert werden müssen, die insbesondere auch mit sehr unterschiedlichen Niveaus der Entlohnung und der sozialen Sicherung der Beschäftigten verbunden sind. Zu den „Produktionsregimes“ s. unten.

Unter dem Zwischentitel „Paradoxien der Prosperität: Zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nach 2008“ (215) analysiert ten Brink die aktuellen Bemühungen und Chancen des chinesischen Kapitalismus, Profitabilität im krisenhaften internationalen Umfeld aufrechtzuerhalten, weiterhin ausländische Direktinvestitionen in großem Umfang anzuziehen, Technologie- und Wissenstransfer zu erhalten, die eigenen Unternehmen international zu investieren, den Binnenmarkt zu vergrößern, etc.

Es heißt hier u.a. (S. 233):

„Besonders seit den während der globalen Krise 2008/2009 aufgetretenen Nachfrageausfällen im Exportsektor, aufgrund signifikanter weltwirtschaftlicher Ungleichgewichte und der Befürchtung, mit protektionistischen Maßnahmen konfrontiert zu werden, verweist die chinesische Zentralregierung verstärkt auf die Notwendigkeit, von der einseitigen, auf einem Niedriglohnregime gründenden Exportorientierung sowie einem investitionsgetriebenen Wachstum abzukehren und den Binnenmarkt zu stärken…. Zusätzlich steht die Regierung seit einiger Zeit unter dem innenpolitischen Druck einer zunehmenden sozialen Unzufriedenheit, die in spontane Arbeitskämpfe einmündete.“

Es wurden starke Lohnsteigerungen und ein Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen angekündigt.

Ten Brink bezweifelt, dass diese Absichten in der sozialen Wirklichkeit Chinas realisiert werden. (233) Er bringt Details über weiter andauernde  Niedriglöhne, mangelnde Sozialeinrichtungen wie Altersfürsorge und Medizin und den hohen Aufwand für die Ausbildung der Kinder.

Die von ihm angeführten Zahlen beziehen sich zwar auf die Jahre 2009 bis 2012, sind also möglicherweise inzwischen positiv zu korrigieren – vielleicht aber auch nicht. Ten Brink benennt  strukturelle Hindernisse für eine positive Entwicklung in diesen Bereichen. Dazu zählen die weiterbestehenden Interessen sowohl  einheimischer wie ausländischer Unternehmen an Niedriglöhnen und ihre Fähigkeiten, diese auch weiterhin durchzusetzen unter Rückgriff auf bisher kaum entwickelte Regionen Chinas und die Kooperationswilligkeit von deren lokalen Regierungen. Die Standortkonkurrenz der Regionen in China begünstige ferner weiterhin Überinvestitionen und spekulative Blasen insbesondere auf dem Immobiliensektor. (S. 235-240).

Interessante Passagen schreibt ten Brink über die Wiederbelebung von „Konfuzianismus“ in der Propaganda der KPCh in diesem höchst widersprüchlichen, chaotischen und gesetzlosen Umfeld von Kapitalismus, Staat und sozialer Frustration. Das Durcheinander behandelt er zusammenfassend  S. 268 ff. unter dem Stichwort „Grenzen der politischen Steuerung“.  Zur Rolle der „Konfuzius“-Propaganda skizziert ten Brink hier (S. 265) ähnliche Gesichtspunkte, wie ich sie in meiner Kritik des Buchs von Jacques ausführe.

Auch das folgende Zitat berührt das Phänomen, dass Eigentümlichkeiten der heutigen chinesischen Herrschaftsmethoden für das westliche Kapital durchaus attraktiv erscheinen könnten (diesen Gedanken habe ich in der Kritik an Jacques betont):

„..gilt der Parteienstaat hinsichtlich seiner Implementierungskapazitäten [gemeint sind wohl: Durchsetzungsfähigkeit]im Westen schon allein deshalb als bevorteilt, weil dieser längerfristiger und nachhaltiger politische Strategien verfolgen könne als liberaldemokratisch verfasste Staaten, die einer von Wahlperioden gekennzeichneten Zeitlichkeit unterworfen seien… Zusätzlich besitzt die KPCh ein weitgehend intaktes Herrschaftsmonopol, und parteigelenkte Kampagnen stelleneine außerordentliche politische Reservekapazität dar. Ihrer Herrschaftslegitimation eigen ist der Synkretismus, das heißt die Verknüpfung verschiedener Denktraditionen, selbst vorgeblich antikapitalistischer, zu einem pragmatischen sino-marxistischen Kanon, der, präziser, als ein nicht westliches Programm der kapitalistischen Modernisierung bezeichnet werden sollte. In diesem fließt eine Philosophie des Staatsinterventionismus und der Produktivkraftentwicklung mit einem teils aus dem Konfuzianismus abgeleiteten  quasisozialpartnerschaftlichen Harmoniedenken und nationalistischen Diskursen zusammen. Gedeckt wird es durch einen Opportunismus der Intellektuellen. Wenn es jemals einen funktionierenden ‚ideellen Gesamtkapitalisten‘ (Engels…) gegeben hat, so könnte man es überspitzt formulieren, dann ironischerweise unter einer ‚kommunistischen’ Herrschaft.“ (279)

 

 

  1. „Grosse Ambitionen. Chinas grenzenloser Traum“ von Evan Osnos

Osnos  stellt den Drang von Individuen nach ungehinderter Information ins Zentrum seiner Porträt-Serie. Er zeichnet gleichzeitig ein Bild von schrankenloser Bereicherungssucht, Korruption und Verbrechen als Kennzeichen des gesellschaftlichen Wandels in China und sieht Parallelen zur „spektakulären Verkommenheit“ der USA (S. 18) in der Zeit nach dem Bürgerkrieg, der Zeit des „Gilded Age“, als die große Industrialisierung und die Bildung der großen Kapitale begann. Ganz unemotional kommt dieser Vergleich wohl auch deshalb daher, weil Osnos der damals begonnene Aufstieg der USA, gleich unter welchen Bedingungen er stattfand, anscheinend als unvermeidliches Entwicklungsstadium auf dem langen Weg zur heutigen Privilegierung erscheint, derer sich heute noch die reicheren Schichten der USA einschl. solcher Autoren wie Osnos selbst im Weltmaßstab erfreuen. Anlass zu tiefergehenden Fragen sind ihm die konstatierten katastrophalen Verhältnisse großer Mehrheiten – damals in den USA, heute in China – nicht. Aber er überrascht immer wieder einmal durch die Direktheit und Drastik, mit denen er sie beschreibt.

„Dieses Buch basiert auf Gesprächen, die ich in acht Jahren geführt habe.  Während meiner Recherche waren es vor allem die Aufsteiger im Land, die mich am meisten anzogen: all die Männer und Frauen, die sich mit ihren Ellbogen einen Weg gebahnt haben, und das nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in den Welten der Politik, der Ideen und des Geistes.“ (19) (Interessante Sicht, dass man sich in den Welten des Geistes mit Ellbogen seinen Weg bahnen könne und solle.)

Das Buch ist lebendig geschrieben, besteht fast nur aus Details, deswegen spare ich mir hier das Referieren und empfehle das Selbstlesen, wenn jemand an so etwas Spaß hat. Ein Minimum an Hinweisen auf gesellschaftlich bezeichnende Episoden folgt gleichwohl:

  • Die „Mafiaisierung des Staates“, d.h. die durchgängige Korruption und Beziehungswirtschaft, beschrieben v.a. im Kapitel 17 unter dem Titel „Alles, was glänzt“. Dort auch spitze Bemerkungen über die „Befolgung“ des konfuzianischen Rezepts „Wer selbst nicht recht ist, der mag befehlen: doch wird nicht gehorcht“ und solcher Sprüche wie des vorigen Vorsitzenden der KPCh, Hu Jintao: „Die Kultivierung der eigenen Moral macht die grundlegende Qualität eines jeden ehrlichen Beamten aus.“ (356)

 

Das Kapitel abschließend versucht sich Osnos  an zwei möglichen Antworten auf die „Frage, wie die Korruption sich auf Chinas Zukunft auswirken werde“(361):

 

„Nach der optimistischen Einschätzung gehöre die Bestechung einfach zur Übergangsphase von der Plan- zur Marktwirtschaft dazu. Dennoch entstünden Schnellstraßen und Hochgeschwindigkeitszüge, um die man das Land sogar in der entwickelten Welt beneide.“ (361)

(Hier möchte ich modifizierend bemerken: wenn große Teile des internationalen Kapitals die „entwickelte Welt“ verrotten lassen,  weil sie mit der extremen Ausbeutung, die ihnen die KPCh und die Machthaber einiger anderer Länder ermöglichen, besser fahren, ist die Entstehung entsprechender Infrastruktur in China und anderswo ganz natürlich, und die Langsamkeit solcher Bauten, wenn sie überhaupt noch in Angriff genommen werden, in Europa und den USA ebenfalls. Die Triebkraft ist hier in erster Linie die Kapitalbewegung, die Korruption ein Hilfsmittel. Osnos  hat in gewisser Weise recht, wenn er ihre Wichtigkeit heruntersetzt. Übrigens gibt es massive Korruption als durchdringendes Phänomen, insbesondere auf den Chefetagen von Wirtschaft und Politik, auch in der  zurückfallenden „entwickelten Welt“. )

 

Die andere Antwort, ein „düsteres Szenario“ (362) lautet: die Bestechung bedeute „weniger eine wirtschaftliche als vielmehr eine politische Bedrohung für China.“ „Gerät das Wachstum jedoch ins Stocken, kann dasselbe Ausmaß an Korruption plötzlich unerträglich sein.“ (363)

 

  • Zu den internationalen Perspektiven bringt Osnos gelegentliche Blitze. Er berichtet ausführlich von seinen Gesprächen mit einem jungen von chinesischem Nationalismus erfassten Aktivisten. „Seine Ansichten ließen keine großen Hoffnungen zu, was die Zukunft Chinas an der Seite des Westens betraf.“ (159) Osnos  beschreibt auch die Anstrengungen der KPCh, eine systematische Erziehung der Jugend zum „Patriotismus“ hinzukriegen.

„Der Nationalismus lenkte dabei von dem Widerspruch ab, dass es sich bei der Partei um die sozialistische Speerspitze einer freien Marktwirtschaft handelte.“

 

(die kategoriale Unschärfe muss man einem US-Journalisten des mainstream wohl einmal mehr durchgehen lassen, wenn er seinen und den chinesischen Kapitalismus als „freie Marktwirtschaft“ bezeichnet. Er darf gar nicht anders schreiben.)

 

Dass er einen Literaten wie Liu Xiaobo als angeblich wichtigen Oppositionellen Chinas herausstreicht, der als Befürworter der US-Invasionen in Afghanistan 2001 und Irak 2003 hervorgetreten ist (was Osnos  nicht erwähnt) und sich dafür 2010 mit dem “Friedensnobelpreis“ hat auszeichnen lassen, ist allerdings viel US-subjektiver gefärbt als die Bemerkung über die Funktion des regierungsoffiziellen „Patriotismus“ in China.

 

Osnos  porträtiert eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die in China für mehr Informationsfreiheit und öffentliche politische Diskussion heikler Fragen eintreten. Hoffen wir, dass es nicht nur solche wie diese peinliche Figur sind. Jedenfalls scheinen viele ihrer Äußerungen plastische Wiedergaben der Schwierigkeiten zu sein, auf die elementare demokratische Praktiken in China stoßen.

 

Osnos‘ Buch hat bei weitem nicht den Tiefgang wie die Bücher bspw. von Holslag und ten Brink, gibt aber Eindrücke von der Prägnanz und Nachdrücklichkeit, mit denen viele chinesische Bürger unterschiedlicher politischer Standorte  offenbar sich zu äußern in der Lage sind. Seine eigenen Meinungssplitter  hingegen spiegeln eine bedauerliche Flachheit wieder, Produkt seiner Anbindung an die US-mainstream-Propaganda. Wenn solcherart das intellektuelle Niveau der maßgeblichen Leute der USA in der Auseinandersetzung mit China sein sollte, dann Gute Nacht USA.

 

 

Nun zu Martin Jacques und seinem Buch „When China Rules the World“

Wird tatsächlich China  die Welt beherrschen?

Worauf sollen sich nach Jacques  die dazu erforderlichen Stärken gründen?

Was soll das für eine „Welt“ sein, die sich von China   beherrschen ließe? Wie schwach, wie willig müsste sie sein, um eine derartige Herrschaft akzeptieren zu müssen bzw. sogar selbst zu wünschen?

Ist diese „Idee“ nicht abstrus?

Es gab noch nie eine Macht, die „die Welt beherrschte“.  Die Imperien der früheren Geschichte , z.B.  die Reiche Alexanders, der Römer, der Briten waren keine Weltbeherrscher, sondern ließen immer große Teile der Welt, zu denen auch entwickelte und mächtige andere Reiche gehörten,  unter der Kontrolle Anderer. Nach dem Ende der Sowjetunion und dem Ende einer Epoche nach 1945, in der es ein System der 2 Supermächte gab, die in der Tat große Teile der Welt beherrschten – dies aber war nur deshalb zeitweise möglich, weil sie einander ergänzten und viele Länder vor die Alternative stellten, sich dem einen oder anderen internationalen System einzufügen- , hat es eine Weltherrschaft der USA gleichfalls nicht gegeben, auch wenn sie angestrebt wurde und noch angestrebt wird und immer wieder davon geredet wird.

Wie sollte China  etwas schaffen können, das eine USA nicht haben erreichen können?

Eher denkbar wäre z.B. eine neue internationale Machtteilung, bspw. zw. China  und den USA, wobei vielleicht sogar China  zeitweilig der stärkere Pol sein könnte, ähnlich wie in der Konstellation der beiden Supermächte die USA die Stärkeren waren. Eine derartige neue Konstellation China –USA würde voraussetzen, dass die USA sich mit einer – im Vergleich mit China – sekundären Rolle zufriedengeben müssten. Vielleicht gibt es in den USA sogar derartige Tendenzen: statt den Kampf um die Position Nr. 1 gegen China bis zur Entscheidung durchzustehen, könnten die dominierenden kapitalistischen Gruppen der USA – und auch vielleicht andere bedeutende Gruppen, bspw. in Europa, in einer internationalen Machtteilung mit einem dominanten China  die größeren Profitchancen und die größeren Überlebenschancen für ihr System gewahren.

China hat seinen bisherigen Aufstieg nur durch eine weit- und tiefgehende Partnerschaft mit den USA sowie anderen kapitalistischen Machtzentren bewerkstelligen können. Es handelt sich nicht nur um Investitionen ausländischen Kapitals in China  und die Integration chinesischer Weltmarktfabriken, der bei weitem größten der bisherigen Geschichte, in die internationalen Geschäfte ausländischer Konzerne, sondern man denke auch an den großen Anteil, den China mit seinem Kauf von US-Staatspapieren in den vergangenen Jahrzehnten für die Finanzierung der USA, für die Immobilienblase und v.a. für die horrende Rüstung der USA  gehabt hatte und teilweise noch hat. Das heißt aber nicht, dass China diese Kollaboration aus weiterhin unterlegener Position fortzusetzen gedächte, oder dass eine solche Fortsetzung überhaupt politisch möglich wäre angesichts der Expansionszwänge, unter denen der chinesische Kapitalismus steht. Je länger desto weniger wird es für China  überhaupt möglich sein, die – noch – überlegene Militärmacht der USA hinzunehmen, geschweige denn selbst weiter zu finanzieren, die sich vor allen anderen Zielen der Eindämmung Chinas und der Dominanz über China verpflichtet fühlt.

Derartige Ansätze für Überlegungen sind allerdings auch höchst abstrakt, denn weder die USA noch China sind in der Lage, ihre Rivalität auszufechten, ohne darin von anderen wichtigen, politisch-militärisch nicht völlig unfähigen Machtzentren auf dem Globus in Frage gestellt oder wenigstens ernstlich behindert zu werden. Ob die EU mental und militärisch in der Lage sein wird, sich gegenüber den beiden Rivalen eine gewisse Selbständigkeit zu bewahren, steht zwar noch nicht fest, kann aber auch keineswegs ausgeschlossen werden. Die Kräfte, die für eine Selbstbehauptung Europas und einen stärkeren Zusammenschluss stehen, sollte man nicht unterschätzen.

Indien, ökonomisch und militärisch zweifellos gegenüber China  zweitrangig und in der Entwicklungsperspektive sicher auch noch für lange Zeit zweitrangig bleibend, stellt nichtsdestoweniger einen starken innerasiatischen Rivalen für China  dar. Man kann sich kaum vorstellen, dass die indischen herrschenden Cliquen und die Mehrheit der indischen Massen mit einer Beherrschung durch China  sich jemals abfinden würden. Für alle zentralasiatischen Expansionspläne Chinas (Pakistan, Afghanistan etc.) stellt Indien einen schweren Stolperstein dar, für Chinas Pläne der Sicherung seiner maritimen Verbindungen durch den „Indischen“ Ozean nach Afrika und Europa wohl kaum weniger.

Ferner kann man auch nicht völlig die Bildung neuer politischer Gewichte in Lateinamerika ausschließen, die durch Zusammenschlüsse dortiger Staaten, evtl. auch durch Blockbildung mit den USA entstehen und global eine gewisse Mitsprache beanspruchen könnten.

Jacques ‘ Rede von Chinas kommender Weltherrschaft („Soon China will rule the world“ wird auf dem Buchumschlag verkündet) sollte unter „Wunschdenken“ eingeordnet werden. Was allerdings nicht ausschließt, dass es in China und auch anderswo Kräfte gibt, die unbedingt versuchen, solchen Wünschen in der Realität näherzukommen.

Wenn ein „westlicher“ Autor wie Jacques  in der vorliegenden Weise eine kommende „Weltherrschaft Chinas“ propagiert, kann man das aus solchen und vielerlei weiteren Gründen zwar einerseits als Kuriosum verbuchen, aber man sollte auch fragen, warum derartige Propaganda einen  bedeutenden Verlag, Verkaufszahlen von mehreren Hunderttausend im englischsprachigen Bereich und nicht wenige öffentliche Lobsprüche findet. Der Verlag,  Penguin Books, wird übrigens letztlich von dem Bertelsmann-Konzern in einem gemeinsamen Unternehmen mit der britischen Pearson-Group kontrolliert (Bertelsmann 53%, Pearson 47%).

Meine Vermutung: es geht um andere Dinge als bloß um die Anpassung an eine kommende ökonomische Übermacht Chinas, die hier interessanterweise als angeblich unvermeidlich geschildert wird. Es geht um Versuche, gemeinsam mit dem aufsteigenden chinesischen Kapitalismus und seiner Führung durch eine hochgradig zentralisierte Bürokratie, mit ihrem allumfassenden Kontroll-, Herrschafts- und Manipulationsanspruch, bessere Methoden für das historische Überleben des Kapitalismus überhaupt zu finden. „Bessere“, d.h. wirksamere Herrschaftsmethoden, als sie „der Westen“ mis seinen Traditionen, seinen politischen und polizeilichen Strukturen zu bieten hat.

In Jacques‘ Sicht wird die Angleichung „des Westens“, d.h. seiner Regierungsmethoden, an traditionelle chinesische Regierungs-Doktrinen und Methoden, unausweichlich werden. Er widerspricht vehement den bisher im „Westen“ verbreiteten Forderungen und Prognosen, China müsse und werde sich „westlichen“ Normen von parlamentarischer Demokratie und sog. Menschenrechten annähern und anpassen müssen, d.h. solchen politischen Formen, die der „westliche“ Kapitalismus bisher zur Beherrschung der Gesellschaft zumeist als die nützlichsten befunden hat. Vielmehr werde im Zeichen der kommenden globalen Herrschaft Chinas der ins Hintertreffen geratende „Westen“ sich in gewissem Maße konfuzianisieren müssen.

Was versteht Jacques  überhaupt unter den typisch chinesischen gesellschaftlichen und politischen Normen?

Er stellt seine Sicht im Rückblick auf frühere Phasen des kaiserlichen “Reichs der Mitte“ vor:

„Indeed, imperial China already enjoyed, in elemental form, some of what we understand, in a broader comparative context, to be the crucial building blocks and incipient characteristics of a nation-state.  In Confucianism, for example, it possessed a state ideology par excellence, by far the most advanced of its time, which imbued the outlook of the elite and also influenced the wider population.  The mandarin bureaucracy – schooled in the precepts of Confucianism, devoted to the idea of service and endowed with a powerful credo of administration – was by far the most sophisticated civil service of its time. ….Finally, Sinocentrism – the idea of the Middle Kingdom, the view that China  was the centre of the world, the belief that Chinese civilization was the most advanced in the world – provided what might be described as a primordial form of patriotism. This was not the kind of patriotism that we associate with the nationalism of the modern nation-state, but rather a belief in their own universalism, the relevance of their culture to all peoples and societies, and its inherent superiority in relation to others. Implicit in this feeling of pre-eminence,…, was an inchoate notion of racial, as well as cultural superiority, such that the two became intimately entwinded.” (306)

Übersetzt:

“Das kaiserliche China erfreute sich in der Tat bereits in elementarer Form einiger in unserem Verständnis und einem breiteren Vergleich entscheidender Bausteine und anfänglicher Charakteristika für einen Nationalstaat. Im Konfuzianismus z.B. besaß es eine Staatsideologie par excellence, bei weitem die fortgeschrittenste ihrer Zeit, welche die Elite durchtränkte und auch die breitere Bevölkerung beeinflusste. Die Mandarin-Bürokratie – in den Regeln des Konfuzianismus geschult, dem Ideal des Dienstes sich beugend und mit einem mächtigen Credo der Verwaltung ausgestattet – war bei weitem der geschulteste Beamtenapparat seiner Zeit …Schließlich stellte der Sinozentrismus – die Idee vom Reich der Mitte, die Sicht, dass China das Zentrum der Welt sei, der Glaube, dass die chinesische Zivilisation die fortgeschrittenste der Welt sei – so etwas wie eine Urform des Patriotismus bereit. Es war nicht die Art von Patriotismus, die wir mit dem Nationalismus des modernen Nationalstaates assoziieren, sondern eher ein Glaube an den eigenen Universalismus, die Wichtigkeit der eigenen ihrer Kultur für alle Menschen und Gesellschaften, und ihre innewohnende Überlegenheit gegenüber anderen. Eingeschlossen in dieses Gefühl der Vorzugsstellung war ein knospendes Empfinden rassischer wie auch kultureller Überlegenheit, derart dass die beiden eng verschwistert wurden.“

“Confucius … is in the process of experiencing a revival and his precepts still, in important measure, inform the way China  thinks  and behaves. Although there are important differences between the Confucian and Communist eras, there are also strong similarities. This is not to deny that China  has changed in fundamental ways, but rather [565/566] to stress that China  is also marked by powerful lines of continuity – that, to use a scientific analogy, its DNA remains intact. This is a country, moreover, which lives in and with its past to a greater extent than any other: that past casts a huge shadow over its present such that, tormented by its failure to either modernize or unify, the Chinese lived for long in a state of perpetual regret and anguish. But as China  now finally circumnavigates its way beyond the ‘century of humiliation’ and successfully concludes its 150-year project of modernization, it will increasingly search for inspiration, nourishment and parallels in that past. As it once again becomes the centre of the world, it will luxuriate in its history and feel that justice has finally been done, that it is restoring its rightful position and status in the world.”

“Konfuzius … befindet sich im Prozess einer  Wiederbelebung, und seine Vorschriften prägen noch immer in wichtigem Maße die Art, wie China lebt und denkt. Obwohl es wichtige Unterschiede zwischen den Epochen des Konfuzianismus und des Kommunismus gibt, gibt es auch starke Ähnlichkeiten. Damit soll nicht abgestritten werden, dass China sich in grundlegenden Weisen geändert hat, sondern es soll betont werden, dass China auch von kräftigen Kontinuitätslinien gekennzeichnet ist – dass, um eine wissenschaftliche Analogie zu gebrauchen, seine DNA intakt bleibt. Dies ist außerdem ein Land, welches in und mit seiner Vergangenheit lebt in höherem Maße als irgendeines sonst: diese Vergangenheit wirft einen riesigen Schatten über seine Gegenwart, in der Weise, dass die Chinesen, gequält von ihrer Unfähigkeit sich zu modernisieren oder auch zu vereinigen, lange in einem Zustand ständigen Bedauerns und Beklemmung lebten. Wenn China nun endlich sich vom ‚Jahrhundert der Erniedrigung‘ frei navigiert und erfolgreich sein 150 Jahre altes Projekt der Modernisierung abschließt, wird es zunehmend nach Inspiration, Nahrung und Paralellen in dieser Vergangenheit suchen. Während es wieder zum Zentrum der Welt wird, wird es großen Genuss aus seiner Geschichte ziehen und fühlen, dass endlich der Gerechtigkeit Genüge getan ist, dass es seine berechtigte Position und Status in der Welt wiederherstellt.“

Diese Passagen offenbaren eine ebenso reaktionäre wie überhebliche wie ahistorische mentale Disposition – bei dem Autor. Ob sie gleichfalls in der heutigen chinesischen Führung oder in Teilen der politischen Öffentlichkeit des Landes in dieser Form, in dieser Stärke überhaupt zu konstatieren sind, kann hier erst einmal offen bleiben (allerdings ähnelt sie sehr stark manchem, was Regierungsorgane Chinas für die internationale Öffentlichkeit zuweilen verlauten lassen). Aber offenkundig wird hier die Propaganda (eines westlichen kapitalistischen Autors) für die angebliche Überlegenheit und Zukunftsfähigkeit von reaktionären, überheblichen und Demut einfordernden chinesischen Konzepten von Gesellschaft, Moral und Politik gegenüber der gesamten übrigen Welt. Diese – nach Meinung von Jacques  – essentiell chinesischen Konzepte sollen diejenigen sein, nach denen sich die übrige Menschheit zunehmend werde richten müssen?  Als die Konzepte der künftig kapitalistisch absolut dominanten Macht in der Welt müssten das lt. Jacques  zunehmend auch die Konzepte sein, denen sich die übrige Menschheit werde anpassen müssen?

Wenn das kein Hilfeschrei aus einem Kapitalismus im Westen ist, der daran zweifelt, aus Eigenem die eigene Welt und die internationalen Verhältnisse künftig noch dominant gestalten zu können, und sich quasi einen neuen Oberherrn sucht, um das Ausbeutungssystem irgendwie erhalten zu können – welchen Sinn sollen solche Tiraden sonst haben?

Und es sind Tiraden, geschichtsverdrehende Tiraden, die positive Elemente der europäisch-amerikanischen eigenen Vergangenheit verkennen, fragwürdige Elemente der chinesischen Kultur hingegen verklären.

Nehmen wir zunächst Jacques ‘Lobpreis des „Konfuzianismus“ und dessen, was er als angebliche – frühere und heutige – chinesische Staatsdoktrin ausmalt. Was ist das „Konfuzianische“ in Jacques‘ Augen, das so viel Positives für die Zukunft Chinas beizutragen verspricht, und für die Zukunft der Welt unter Chinas Oberherrschaft?

Den Konfuzianismus  sollte man historisch betrachten, d.h. zunächst einmal die Lehren des Konfuzius und seiner relativ direkten Schüler und Nachfolger in ihrer Zeit, etwa von 500 – 300 vor unserer Zeitrechnung unterscheiden von den späteren Umformungen, etwa dem sog. Neo-Konfuzianismus der Zeit um 1000 unserer Zeitrechnung, schließlich von dem, was die heutige kapitalistische Spitze Chinas unter dem Namen Konfuzianismus  propagiert.

Über den ursprünglichen Konfuzianismus  hat Jacques  keine Ahnung.  Er weiß nicht einmal, dass die Gründung des einheitlichen Kaiserreichs in China durch den „Ersten Kaiser“ 221 vuZ unter dem Vorzeichen eines entschiedenen Kampfes gegen den  Konfuzianismus  stattfand. Der Erste Kaiser stammte aus dem Staat Chin, der bereits eine lange Vorgeschichte der Auseinandersetzung mit traditionellen chinesischen Gesellschaftsmodellen aufweisen konnte, die vom Konfuzianismus  auf der anderen Seite verherrlicht wurden. Chin und der Erste Kaiser folgten der Schule der Legalisten, die vom Konfuzianismus, d.h. vom Ahnenkult, der Folgsamkeit gegenüber der alten Clan-Aristokratie und deren altertümlichen Ausbeutungspraktiken nichts hielten, ihre Propagandisten verfolgten und sie durch neue Grundbesitzverhältnisse, öffentlich bekannte Gesetzessysteme und eine zentralisierte Verwaltung durch verantwortliche und nach Leistung ausgesuchte Beamte ersetzten -die Konfuzianer hingegen betrieben die Konservierung und sogar die Restaurierung damals schon überalterter  Formen.

Erst nach der unwiderruflichen historischen Konsolidierung der neuen Grundbesitzverhältnisse und der neuen Staatlichkeit durch den Ersten Kaiser und die folgende Han-Dynastie wurden Elemente des Konfuzianismus  quasi rehabilitiert und in die Regierungspraktiken und – doktrinen eingebaut. Mit einer – gern eingestandenen – Tendenz zur negativen Beurteilung dieses Prozesses würde ich sagen, dass die Folgsamkeitslehre, die Tiraden über „allgemeine“ Menschlichkeit, über die hohe Moral der Regierenden und die gesellschaftliche Harmonie, mit denen insbesondere der Konfuzianismus  immer wieder zu glänzen versucht hat in heftiger Verleugnung der zweitausendjährigen Ausbeutungswirklichkeit der chinesischen Gesellschaft, ihn offenbar gerade heute als Propaganda wieder besonders attraktiv erscheinen lassen, wo die moderne kapitalistische Ausbeutung, die Willkür der Reichen und Beamten, die Korruption, die gesellschaftliche Rücksichtslosigkeit des heutigen Kapitalismus in China alle Dämme bricht.

Ich halte es für möglich, dass im „westlichen“, noch immer dominierend „westlichen“ Finanzkapitalismus Interesse am Konfuzianismus  wachsen, weil  der chinesische Kapitalismus und Finanzkapitalismus zu demonstrieren scheint, dass mit solchen „Idealen“ vielleicht großen Menschenmassen in Zeiten wachsender realer Gesetzlosigkeit und Inhumanität besser Sand in die Augen zu streuen wäre als mit den eigenen bisherigen Propagandamodellen. Vielleicht kann man da auch was kombinieren?  Wenn man das westliche Finanzkapital in die Ausbeutung von vielen hunderten Millionen chinesischer und überhaupt ostasiatischer Arbeiter integrieren und davon profitieren lassen kann, könnte es ja vielleicht auch eine erfolgversprechende ideologische Integration geben? Es dürfte spannend werden, wenn außer den Zumutungen des Islam nun auch noch die des Konfuzianismus von unseren Herrschenden in unsere Gesellschaften hereingetragen werden. Vielleicht ist Jacques  ja nur ein spinnitiöser Außenseiter, aber ich fürchte, dass er wichtige Leute im Hintergrund hat, und dann wird man sich künftig tatsächlich breit auseinandersetzen müssen mit seiner Vorstellung, dass „der Westen“ chinesischer werden müsse.

Wichtig auch zu betonen, dass der Konfuzianismus  in Chinas Kulturgeschichte nie die Monopolstellung hatte, die er durch die Vorzugsbehandlung, die ihm  Jacques  widerfahren lässt, für den Leser anzunehmen scheint. Es gab und gibt immer Doktrinen mit grundsätzlich anderen Ansätzen, Daoismus, Legalismus, Mohismus, auch Religionen wie den Buddhismus, den Islam  und das Christentum, und in der Moderne westlich-bürgerliche Konzepte von Gesellschaft und Denken, sowie einen originären,in Chinas Geschichte tief verwurzelten,  ganz und gar nicht konfuzianischen Bauern-Revolutionismus, der bei Mao Zedong  eine eigenartige Synthese mit dem westlichen „Marxismus“ und dem Leninismus eingegangen ist. Er bildete  die entscheidende Grundlage der Siege, die die KPCh unter Mao Zedong  gegen den Imperialismus Japans und der USA und gegen die innere Reaktion von Grundherrschaft und Kompradorenkapitalismus errungen hat, die breite Basis der VRChina von 1949. Wenn man eines mit Sicherheit sagen kann: Mao Zedong  war kein Konfuzianer.

Ein weiteres historisches Beispiel: bei Chinas tatsächlichem Eintritt in die Moderne nach Ende des 1. Weltkriegs spielte die Bewegung des 4. Mai (1919) eine große Rolle, die auch den Konfuzianismus  heftig kritisierte – als Grundelement von Chinas Rückständigkeit.

Während der letzten Lebensjahre Mao Zedong s (1974-76) begann erneut eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Konfuzianismus, in der man sich bemühte, seine gesellschaftlichen Wurzeln auszugraben,  und Ansätze entwickelte, ganze Komplexe schwerer kultureller und mentaler  Lasten, die traditionell auf China drücken, aufzudröseln – leider hatte die Kampagne („Kritik an Lin Biao und Konfuzius“) eigene Schlagseiten und ging dann auch sehr bald im Zeichen der Machtübernahme durch Deng Xiao-Ping  und seine kapitalistisch eingestellte Equipe in die Versenkung.

In Unkenntnis oder Verleugnung derartiger historischer Vorgänge geht Jacques  so weit, eine innere Verwandtschaft zwischen dem Konfuzianismus  und der Herrschaft der KPCh zu behaupten. Er meint, verborgene Kontinuitäten zu entdecken und auch ihre heutigen Regierungsmethoden in wichtigen Grundzügen aus einem  Weiterleben der konfuzianischen Traditionen  erklären zu können.

Diese Sicht führt zu einigen Beziehungen, die Jacques  anscheinend nicht kennt und deren Darlegung in ihren Konsequenzen  ihm weniger  gefallen dürften.

Tatsächlich gibt es ein Weiterleben konfuzianischer Traditionen in der KPCh und sogar in Form der KPCh, wenn man den Konfuzianismus  als typisches Merkmal des chinesischen kaiserlichen Beamtenapparats durch Jahrtausende hindurch sieht.

Wie zuvor ausgeführt, ist der Konfuzianismus  jedoch geschichtlich ein entschiedener Widerpart des Aufkommens solcher Regierungsformen und ihrer neuen gesellschaftlichen Grundlagen während der Zeit der Streitenden Reiche bis hin zum Ersten Kaiser gewesen, und erst nach und nach hat das Kaisertum Elemente des Konfuzianismus  in seine Ideologien aufgenommen. Dass man die chinesische Beamtenschaft im Ausland lange Zeit als „konfuzianisch“ wahrgenommen hat, und Leute wie Jacques  tun das noch heute, dürfte große Anteile von Missverständnissen enthalten, scheint sich aber irgendwie „im Westen“ eingebürgert zu haben. Wahrscheinlich wäre es korrekter, von einer kaiserlichen Bürokratie mit einigen konfuzianischen rituellen Drapierungen zu sprechen.

Als die KPCh 1949 nach einem Vierteljahrhundert heftiger, ganz China aufwühlender Bürgerkriege und anti-imperialistischer Kriege die entscheidende Regierungspartei des gesamten Landes wurde, hat sie zweifellos essentielle Regierungstraditionen des uralten Reiches übernommen und übernehmen müssen, und es sind ihr mit Sicherheit seitdem und wohl auch schon früher viele Mitglieder und Mitarbeiter zugeströmt, deren Mentalität mit der des Reichs der Mitte, seinen Herrschaftsformen und seiner Weltsicht noch vieles gemeinsam hatte. Die KPCh muss in ihrem gesamten Werdegang, vor allem aber seitdem sie die Regierungssitze in Beijing und anderswo einnahm, als Zusammenführung uralter imperialer Traditionen, auch modernerer kapitalistisch-demokratischer Bestrebungen mit chinesischem bäuerlichem Revolutionismus und – westlich inspirierten-  proletarisch-revolutionären Strömungen gesehen werden, und diese inneren Gegensätze wurden unter der Führung von Mao Zedong  immer wieder in den unterschiedlichsten Formen ausgetragen, am schärfsten schließlich in der Epoche der Kulturrevolution. Ihre Auslösung durch Mao Zedong  am 16.5. 1966 jährt sich gerade zum 50sten Mal.

Wenn man dem US-amerikanischen Autor William H. Hinton folgen will, der Chinas innere Entwicklung seit mehreren Jahre vor der Gründung der VRChina bis nach dem Jahr 2000 verfolgt und beschrieben hat, gestützt auf viele Jahre eigener praktischer Tätigkeit  in China und zahlloseKontakte von unten bis oben, hat sich der alte kaiserliche Apparat mit der ihm innewohnenden, ganz und gar nicht kommunistischen Herrschafts- und Ausbeutungs-Gesinnung, innerhalb der neuen regierenden Partei, der KPCh, ein Überleben gesichert, das von den revolutionären Kräften um Mao Zedong  zwar ständig in Frage gestellt, aber nie entscheidend geschlagen werden konnte. In vielen Phasen, so Hinton, war dieser Teil bzw. dieser Aspekt des Apparates auch nützliches, unentbehrliches Element des Aufbaus des Neuen China, hat seine Bestrebungen der Wendung zu nicht-sozialistischen Wirtschaftsformen, zu Formen der  Ausbeutung jedoch nie aufgegeben, Mit seinen in Jahrtausenden geschulten Fähigkeiten zur Intrige und Sabotage war er in der Lage, solche entscheidenden Impulse wie den Großen Sprung und die Kulturrevolution in die Selbstzerstörung und die Niederlage zu führen. (Auszüge aus Werken Hintons und einige von mir daran geknüpfte Überlegungen s. meinen Artikel v. 27. 7. 2015 “Die chinesische Kulturrevolution 1966-76 und die Ansichten William Hintons zum imperial-bürokratischen Apparat”.)

Mit dem von Deng Xiao-Ping  geführten Umsturz nach dem Tode Mao Zedong s (1976) kommen solche Kräfte an die Spitze und gestalten seitdem – bisher noch in enger Kollaboration mit dem internationalen Kapitalismus – China in ihrem Sinne um. In diesem Sinne kann man allerdings schon von einem Weiterleben von so etwas wie Konfuzianismus  – als Verkörperung imperialer Herrschaftstraditionen –  in Form der KPCh sprechen, und damit hätte Jacques  ganz grob gesprochen Recht. Allerdings unterschlägt er in dieser Weise fast komplett alle Kämpfe in Chinas Geschichte und insbesondere innerhalb der KPCh in Chinas neuester Geschichte. Interessanterweise entspricht er damit ziemlich genau der Linie der heutigen Machthaber Chinas, die die Themen bäuerlicher Emanzipation, kollektiver Wirtschaft, tiefgehende Fragen an Chinas Geschichte und Ideologie am liebsten völlig aus der öffentlichen Debatte heraushalten und ihrem Turbokapitalismus ein pseudohumanes konfuzianisches Mäntelchen umhängen.

Wenn der Konfuzianismus  trotz aller seiner historischen Niederlagen auch heute erneut als wichtiges Propaganda-Element belebt wird, hat das im übrigen außer mit den Stabilitäts- und Harmoniebedürfnissen der Ausbeuter auch mit gesellschaftlichen Strukturen zu tun, die in China seit Jahrtausenden noch immer eine praktische gesellschaftliche Rolle zu spielen scheinen, den Clanstrukturen. Der Konfuzianismus  ist ursprünglich aus dem Versuch von deren Bewahrung gegenüber neueren Vergesellschaftungsformen hervorgegangen und mit ihnen anscheinend noch immer innerlich verknüpft. Wenn sie sich für die heutige Ausbeutung als effektive Substrukturen erweisen – und das scheinen sie im China Deng Xiao-Ping s und Xin Jipings zu tun – dann haben sie vielleicht noch eine gewisse Zukunft, und der Konfuzianismus  als ihnen gemäße Ideologie erfährt von daher eine Stärkung.

 

Festzuhalten wäre in meiner Sicht abschließend vor allem, dass die Wirklichkeit des heutigen chinesischen kapitalistischen Aufstiegs mit Methoden und Gesinnungen, die Jacques  als „konfuzianisch“ hinzustellen sich bemüht, nicht zu beherrschen sind. Der „Konfuzianismus “ des derzeitigen Regimes ist vor allem Teil einer Propagandafassade. Da aber der globale Kapitalismus, von dem der heutige chinesische Kapitalismus ein tragender Teil und eine Hoffnung ist, nicht weniger mit Legitimationsproblemen zu kämpfen und sich ständig um Renovierungen der öffentlichen ideologischen Selbstdarstellung zu bemühen hat, erfährt u.a. das konfuzianische Gerede der chinesischen Machthaber wohlwollende Würdigung im Westen. Vielleicht denken hier manche auch an Übernahmen aus dieser Propaganda- Rüstkammer.

Mehr noch: China ist anscheinend in der praktischen Anwendung moderner, IT-gestützter Überwachungs- und Steuerungsmethoden gegenüber den Bürgermassen einen Schritt weiter als es Google etc. und Geheimdienste bisher anderswo geschafft haben. Von daher sieht man, das möchte ich hier einmal unterstellen, im „Westen“, im Finanzkapitalismus westlicher Prägung und Lokalisierung, die „Fortschritte“ auf diesen Gebieten vielleicht nicht ohne Sympathie und vielleicht Neid, welche der chinesische, konfuzianisch drapierte imperiale Beamtenapparat auf diesen Gebieten modernster Überwachung und Manipulation bis hinein ins privateste Leben der Individuen schon erreicht hat und weiterhin verspricht. Man möchte davon lernen, sich vielleicht damit verschmelzen… (vielleicht sogar seinerseits darin die oberste internationale Kontrolle erringen?  Ist es das, was Jacques mit der Konfuzianisierung des Westens meint? Aber dem steht der eigene Supermachtsanspruch des chinesischen Kapitalismus entgegen, und wir dürfen uns auf interessante wechselseitige künftige Enthüllungen und Kritiken einstellen, die möglicherweise die Demokratie in der Welt ihrerseits befruchten könnten. )

Um es noch einmal deutlich zu sagen: ich zögere nicht zu unterstellen, dass im „Westen“, im Finanzkapitalismus westlicher Prägung und Lokalisierung, die „Fortschritte“ auf diesen Gebieten nicht ohne Sympathie und vielleicht Neid beobachtet werden, welche der chinesische, konfuzianisch drapierte imperiale Beamtenapparat auf den Gebieten modernster Überwachung und Manipulation bis hinein ins privateste Leben der Individuen schon erreicht hat und weiterhin verspricht. Man möchte davon lernen, sich vielleicht damit verschmelzen…(vielleicht sogar seinerseits darin die oberste internationale Kontrolle erringen? Aber dem steht der eigene Supermachtsanspruch des chinesischen Kapitalismus entgegen, und wir dürfen uns auf interessante wechselseitige künftige Enthüllungen und Kritiken einstellen, die möglicherweise die Demokratie in der Welt ihrerseits befruchten könnten.)

Jacques konfrontiert uns im übrigen keineswegs nur mit der Zumutung, westliche demokratische Traditionen mit konfuzianistischer Unterordnungsmentalität zu  vertauschen. Er führt auch andere, seiner Meinung nach typisch chinesische und den gegenwärtigen Aufstieg Chinas langfristig leitende mentale Dispositionen an: einen naiven Rassismus sowie ein „Reich-der Mitte“-Denken, demgemäß die chinesische Nation den Gipfel der Weltzivilisation und den natürlichen Mittelpunkt der Welt darstelle, dem die übrigen Teile sich unterzuordnen hätten – vor allem schon einmal die näheren Nachbarn als tributäre Staaten wie in der Vergangenheit gegenüber dem imperialen China. Wenn China die Welt beherrschen werde, soll sich wohl die übrige Menschheit, nach Jacques mehr oder weniger ausgesprochener Meinung, mit solchen Ideologemen arrangieren.

 Es handelt sich hier meiner Meinung nach nicht nur um eine Provokation gegenüber aufklärerischen und demokratischen Traditionen im Westen und anderen Teilen der Welt, sondern auch um Beleidigungen der chinesischen Nation. Diese pauschal als rassistisch und naiv imperialistisch gesinnt darzustellen, überschreitet die Grenzen dessen, was man sich als nicht-chinesischer Autor erlauben dürfte. Denn es kann angesichts der reichen geschichtlichen Erfahrungen der chinesischen Nation, der eigenen leidvollen Erfahrungen mit dem westlichen und dem japanischen Imperialismus, der langwierigen komplizierten Befreiungskämpfe, der zahlreichen Experimente mit sozialistischen Gesellschaftsformen, die zu einer Reihe großer Erfolge geführt haben (auch wenn sie sich in den letzten Jahrzehnten nicht halten konnten), angesichts der vielen differenzierten und aufgeklärten Strömungen der chinesischen Kultur und angesichts der neuen Erfahrungen mit den Schattenseiten des Kapitalismus  nicht sein, dass in China unangefochten Rassismus und imperiales Denken herrschen.

Andererseits nimmt eine unkritische Hinnahme von Rassismus, und sei auch der einer anderen Kultur, seitens eines britischen Autors nicht unbedingt Wunder. Das Vereinigte Königreich mit seinem seit dem 17. Jahrhundert nach und nach eroberten kolonialen Weltreich ist überhaupt die zentrale Brutstätte eines weißen Rassismus gewesen. Der weiße, d.h. der britische Rassismus, der spätere US-amerikanische Rassismus, und vielleicht auch ein französischer Rassismus sind unvermeidliches Produkt einer jahrhundertelangen Praxis der systematischen Vergewaltigung, Erniedrigung und Ausbeutung von Menschen anderer Hautfarben und Ethnien, von Afrikanern, Indianern, Indern, Chinesen usf. im Dienst der Bereicherung der damals größten und reichsten Kapitalisten der Welt.

Anscheinend sind Schriften, die uns scheinbar ganz unbefangen einen neuerlichen Rassismus zur Akzeptanz vorlegen, wie das Buch von Jacques es in seiner Tendenz der Anbetung eines übergroßen neuen chinesischen Kapitalismus tut, auch in der heutigen angelsächsischen Diskussion gefahrlos möglich.

Ich vermerke, dass ich den entsprechenden Passagen bei Jacques zuerst ungläubig gelesen habe, Dieser Autor lokalisiert den von ihm unterstellten Rassismus als heutige politische Elementarströmung Chinas außerhalb jeder Kritik. Ja, er propagiert ihn als Element der neuen Weltmacht China, die uns beherrschen werde.

Ich bin mir bewusst, dass meine hier vorgelegten Überlegungen zu China, die sich aktuell lediglich auf Lektüre von einigen wenigen im Westen verfassten Büchern und journalistischen Beiträgen stützen, Mängel und Einseitigkeiten aufweisen müssen. Diese vor allem auch deswegen, weil mir bisher kein direkter Zugang zur innerchinesischen Diskussion und den unterschiedlichen Strömungen, den vielleicht auch existierenden progressiven oppositionellen Organisationen möglich ist. Was uns hier im Westen als chinesische Opposition öffentlich präsentiert wird, ist mit Sicherheit stark selektiert. Oppositionelle, die nicht in das Schema der westlichen Propagandamedien passen, bspw. in das Schema der sog. Menschenrechtsorganisationen, die oft nicht viel mehr sind als Agenturen westlicher imperialistischer Bestrebungen, sucht man in unseren Qualitätsmedien vergebens. Aber ich bin mir sicher, dass es n China und vielleicht auch in der chinesischen Diaspora auch andere Kräfte gibt, die Beachtung und Unterstützung verdienen, die uns Einiges  zu sagen hätten und mit denen man kooperieren sollte.

Ein abschließendes Wort zu Jacques‘ Wissen über die europäisch-amerikanische Kultur, der er so lebhaft die Anpassung an reaktionäre Elemente der chinesischen empfiehlt. Da sieht es mindestens ebenso traurig aus wie mit seinem Wissen über China.

Eigentlich interessiert Jacques am Westen hauptsächlich die historische Fähigkeit, auf kapitalistische Weise Geld zu machen und reich zu werden. Diese Fähigkeit sieht er nunmehr in China auf stärkere Weise sich entwickeln, deswegen fällt ihm der Seitenwechsel leicht. Der traditionelle Westen besteht für ihn im wesentlichen bloß aus seinem angelsächsischen Teil. Von aufklärerischen und demokratischen Traditionen, bspw. auch von französischen und deutschen Beiträgen zur westlichen Kultur weißer wenig, oder sie interessieren ihn nicht. Auch das ist eigentlich kein Wunder, denn die britischen kulturellen Beiträge sind spätestens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts relativ mager geworden – man konnte ja Kolonien noch und noch auspressen und sich durchaus eine gewisse mentale Degeneration erlauben,  wie sie im übrigen auch für die heutige USA kennzeichnend ist.

Jacques vertritt auch die Ansicht, dass die kulturellen Voraussetzungen für die „Modernität“, für den Aufstieg zur Weltmacht, zur führenden Weltmacht, in China eigentlich ebenso vorhanden seien und bereits im 18. Jh.  vorhanden gewesen seien wie im Europa der Neuzeit. Es sei nicht den inneren Bedingungen zuzuschreiben, sondern zufälligen äußeren geschichtlichen Hindernissen, wenn China eine Verzögerung seines Aufstiegs um mehr als 200 Jahre habe hinnehmen müssen. Die langstieligen Ausführungen zu Eingang seines Buches zu diesem Thema sind durchaus von kultureller Ignoranz geprägt. Dass es vor dem Zugriff des (britischen) Imperialismus auf China, der mit den Opiumkriegen seit 1839 beginnt, dort ebenfalls bereits eine Händler- und Kapitalistenklasse mit beträchtlichem Reichtum und Geschick gegeben habe, ist ja wohl als Nachweis von gleichwertiger innerer Kraft einer ganzen Kultur ein bisschen ärmlich. Wie gesagt: für Jacques besteht Kultur in erster Linie in der Fähigkeit Geld zu machen. Auf die massiven inneren Tendenzen Chinas unter der letzten Dynastie zur Stagnation, zur Versteinerung gesellschaftlicher Verhältnisse, zur Nabelschau und zur Unwissenheit, die in erster Linie mit dem Selbsterhaltungstrieb der Dynastien, ihrer grundbesitzerlichen Basis und ihres bürokratischen Apparates zusammenhingen, geht er nicht ein.

Die heutige Europäische Union als werdender internationaler player, nicht ganz ohne Gewicht, existiert für Jacques kaum.

Soviel also noch zur Bildung und zum Geschichtsverständnis des Autors Jacques – und dem Niveau der Autoritäten, die auf dem Klappentext des Buches sein Lob singen.

 

Fazite:

Die vorgelegten Auszüge aus 4 aktuellen Büchern über China können keine direkten Antworten auf die eingangs skizzierten Fragestellungen zur Zukunft Chinas und der übrigen Welt im Verhältnis zu China geben.

Holslag, ten Brink und Osnos beanspruchen dergleichen auch nicht, im Gegensatz zu Jacques. Seine Analysen und Voraussagen jedoch sind auf einem derart unzulänglichen intellektuellen Niveau angesiedelt, dass man eher von Wunschdenken sprechen muss. Allerdings ist Wunschdenken bez. künftiger Weltherrschaft wohl nicht nur in China, sondern auch in gewissen Führungskreisen „im Westen“ anzutreffen, und manche im Westen scheinen tatsächlich über Chinas Führung in einem künftigen Weltsystem nachzudenken, der sie sich zu ihrem eigenen Vorteil anpassen könnten.

Hier möchte ich einige Gesichtspunkte formulieren, die mir aufgrund allgemeiner historischer Kapitalismus-Kritik, in Kombination mit der Kritik an der aktuellen Entwicklung von Chinas Kapitalismus und seinen Beziehungen innerhalb des globalen Kapitalismus, vertretbar und wichtig erscheinen. Sie werden von den Ausarbeitungen der genannten Autoren in vielfältiger Weise unterstützt, sind aber nicht die ihren, können ihnen nicht zugeschrieben werden und können sich auch mit den ihren widersprechen.

  1. Ebenso wie der US-amerikanische, der europäische, erst recht der russische oder lateinamerikanische Kapitalismus bzw. die heutigen globalen kapitalistischen Verbünde ist der chinesische Kapitalismus, der gleichfalls in seinen internationalen Verbünden gesehen werden muss, ein instabiles, krisenhaftes System, das den größeren Teil der Menschheit bedrängt, verarmt und ihm keine humane Zukunft bietet. Vielleicht ist er sogar wackliger als der westliche derzeit.

 

Das wird erneut zur grundsätzlichen Infragestellung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und Weltanschauungen führen, d.h. zu Erschütterungen der Weltgesellschaft, von deren Dimensionen  bis heute, jedenfalls in den relativ saturierten  Ländern, noch viel zu wenige Menschen eine Ahnung haben. China selbst ist mE durchaus ein Kandidat für künftige enorme soziale Unruhe und sozial begründete Umstürze.

 

  1. Ebensowenig wie der US-amerikanische Kapitalismus als der bisher größte der Geschichte auf weltweite, vor allem militärisch gestützte Durchsetzung seiner Interessen verzichten kann, wird dies der chinesische Kapitalismus tun, der erklärtermaßen beansprucht, die USA hinsichtlich Masse, Macht und weltweiter Führung zu beerben.

 

  1. Auch wenn in geostrategischen Fragen, bspw. der südchinesischen See, China gegenüber den USA und dem einen oder anderen Nachbarn berechtigte Ansprüche hat und bisher vorwiegend defensiv handelt, enthält der chinesische Kapitalismus dermaßen viel innere Unruhe, dass solche internationalen Reibungspunkte zu Ansatzstellen für Kriege zu werden versprechen. (Zur Illustration: bereits kurz nachdem Deng Xiao-Ping , dem entscheidenden Macher des Umschwungs zum Kapitalismus, und seinen Leuten Ende 1978 die oberste Machtstellung in der Partei übertragen worden war und wegen des Bruchs mit fast allem, was bisher in China als richtig und falsch galt, eine innenpolitisch höchst prekäre Situation entstanden war, brach dieser unter Vorwänden und unmittelbar nach seiner Rückkehr von einem als „triumphal“ bezeichneten Besuch in den USA im Februar 1979 einen Krieg gegen Vietnam vom Zaun, unter echt altimperialen Slogans wie „Vietnam eine Lektion erteilen“. z.B. Maurice Meisner, Mao’s China and After, rev. ed. 1988, p. 455)

 

Bei dieser Aussage gilt es eingedenk zu sein, wie alle großen Kriege der kapitalistischen Jahrhunderte nicht nur von der internationalen geostrategischen Konkurrenz, sondern auch von den revolutionären Herausforderungen angetrieben wurden, denen sich die jeweiligen kapitalistischen Machtzentren von innen her zeitweise konfrontiert sahen. Der Ausweg aus kapitalistischen Dilemmata in den Krieg nach außen ist ein Standard des Kapitalismus. Jedoch muss es in der Zukunft nicht unbedingt wieder zu derartigen Versuchen kapitalistischer „Krisenlösungen“ kommen. Man kann Geschichte nicht voraussagen. Aber die Gefahren, die in bestimmten sozialen Strukturen noch immer und immer wieder erzeugt werden, müssen klar ins Auge gefasst werden.

 

  1. Vorausgesagt werden können gleichfalls nicht künftige internationale Allianzen und eventuelle Kriegsbündnisse. Ob es zu großen direkten militärischen Konfrontationen zw. den beiden derzeitigen Hauptrivalen, den USA und China, kommen wird oder nicht, ist nicht zwangsläufig, wenngleich die massive Aufrüstung beider gegeneinander in diese Richtung weist. Vielleicht entladen diese beiden kapitalistischen Mächte ihre zerstörerischen Energien auch im Kampf gegen andere, vielleicht sogar im Bündnis gegen andere. Vielleicht tun sich USA und China zeitweise zusammen, um Russland oder die EU oder beide zu schlachten und sich selbst zeitweilig zu stabilisieren? Auch eine Wiederbelebung transatlantischer Bündnisse (EU-Staaten und USA) im Kampf gegen China ist zumindest theoretisch möglich. Oder ein großer Stellvertreterkrieg Chinas mit jeweiligen Verbündeten gegen Indien mit jeweiligen Verbündeten? Ich führe solche Gedankenkombinationen nur als Beispiele an, es können auch noch andere gebildet werden. Entscheidend ist dabei vor allem, keine bisher offenkundigen Konfrontationslinien als die künftig einzig möglichen zu bedenken und neue Wendungen, Überraschungen, nie Dagewesenes zu übersehen.

 

  1. Der chinesische Kapitalismus entwickelt, gestützt auf jahrtausendealte imperial-bürokratische Traditionen und eine Massenkultur, welche den europäisch-amerikanischen Gepflogenheiten der Demokratie, des Individualismus, des Rangs der Persönlichkeit nicht sehr nahesteht, neue Methoden der Lenkung und Unterdrückung von Bevölkerungsmassen – zum Zwecke der Erhaltung der Paradiese der Reichen und Superreichen. Das macht ihn für die radikalsten Fantasten der modernen IT-gestützten Bevölkerungslenkung und Unterdrückung im Westen, bspw. im Silicon Valley, interessant und zu einem möglichen Partner. Wir wissen nicht, welche sozialen und kulturellen Formen der Antidemokratismus des chinesischen kapitalistischen Regimes und der Antidemokratismus bspw. der herrschenden Schichten der USA künftig annehmen werden, wie weit in der Manipulation und sogar Veränderung der menschlichen Natur es gehen wird. An sog. Optimierungen von Menschen – im Sinne reibungsloseren Funktionierens für das Kapital oder sein Militär – bspw. durch Gehirnimplantate oder Gen-Editing wird ja beispielsweise schon länger ziemlich unverhohlen gearbeitet.

(Einen Vorgeschmack der antihumanen Barbarei, zu dem das kapitalistische Regime in China fähig ist, hat es kurz nach seiner Installation unter Deng Xiao-Ping  (Ende 1978) mit der Verhängung der „Ein-Kind-Politik“ im Jahre 1979 geliefert. Ich spare mir hier zu referieren, welche Verwüstungen in der Demographie, im emotionalen Leben hunderter Millionen von Chinesen und welche Verbrechen an Müttern und Kindern diese Politik ausgelöst hat.)

 

Jedenfalls sollte man auch diesen Aspekt, die Arbeit solcher kapitalistischer Radikalinskis an der Herbeiführung anderer zivilisatorischer Grundbedingungen, im Auge behalten. Auf beiden Seiten des Pazifik scheinen sie ihre Schwerpunkte zu haben.

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