Zur Beschneidungs-Debatte

Auf  einem Leserforum der „Telepolis“ habe ich vor drei Wochen auf einen bestimmten Aspekt der Debatte versucht aufmerksam zu machen. Hier mein Beitrag nebst Antwort eines anderen Users und meine Rückantwort. Anschließend ein paar weitere Gedanken, 22.7.2012

Auf “Telepolis”:

30. Juni 2012 23:54

Die Beschneidung ähnelt der Sklavenbrandmarkung

Walter Grobe, wagrobe@aol.com (2 Beiträge seit 23.08.10)

Ein Aspekt, den ich in den bisher gelesenen Beiträgen nicht gefunden
habe, ist die unauslöschliche Kennzeichnung des beschnittenen Mannes
als Muslim.

Bekanntlich wird seitens des muslimischen Klerus der Apostat, d.h.
derjenige, der dem Islam absagt und bspw. zu einer anderen Religion
übergeht, mit dem Tode bestraft. In diesem Zusammenhang ist es
durchaus von Bedeutung, wenn der Klerus einem Menschen anhand seiner
Beschnittenheit nachweisen kann, daß er einmal zur Gemeinde gehört
hat. Das kann für ihn das Aus bedeuten, und von daher gibt es einen
prinzipiellen Unterschied etwa zur christlichen Taufe, die keine
bleibenden körperlichen Merkmale hinterläßt.
Die immer wieder gern beschworene Toleranz des Islam gegenüber den
beiden anderen Buchreligionen (Judentum und Christentum) besteht
darin, daß deren Angehörige ihren Glauben beibehalten und in
unauffäligen Formen auch dessen Riten praktizieren dürfen; sie
bezahlen allerdings mit einer noch geringeren Rechtsstellung
gegenüber dem Emirat oder Kalifat als sie der muslimische Untertan
besitzt. Anders aber,wie erwähnt, die Apostaten oder auch Atheisten.
Ihnen ist das Schwert bestimmt.

1. Juli 2012 07:39

viele andere sind auch beschnitten

Olokra (34 Beiträge seit 30.10.11)

Juden, koptische Christen, US-Amerikaner
die Kennzeichnung wäre also nicht sehr eindeutig
schlag mal
Abdhallha
nach…

1. Juli 2012 16:10

Re: viele andere sind auch beschnitten

Walter Grobe, wagrobe@aol.com (3 Beiträge seit 23.08.10)

Olokra schrieb am 1. Juli 2012 07:39

> Juden, koptische Christen, US-Amerikaner
> die Kennzeichnung wäre also nicht sehr eindeutig
> schlag mal
> Abdhallha
> nach…

Nicht “sehr eindeutig”, aber doch, gerade im eigentlichen islamischen
Kulturbereich, ausreichend eindeutig. Juden und koptische Christen
sind und waren im Verhältnis zur Zahl der Muslime immer winzige
Minderheiten, koptische Christen außerdem fast nur regional.
Was das heute vielleicht mögliche Durcheinander durch US-Amerikaner
betrifft, wo es diversen Äußerungen zufolge inzwischen eine Menge
Beschnittene geben soll – wenn das stimmt: kann mal jemand erklären
warum? – so ist es jedenfalls jüngeren Datums, wie überhaupt viele
Durcheinander auf der Welt, mit denen der islamische Klerus nicht so
recht klar kommt. Die Apostasie-Vorschrift und ihre Hintergründe
stammen aus viel früheren Jahrhunderten und dürften damals höchst
trennscharf gewesen sein. Das Bestreben, Vorschriften längst
vergangener Jahrhunderte, die eigentlich schon klinisch tot sind, am
Leben zu erhalten oder sogar wieder ans Laufen zu kriegen,
kennzeichnet überhaupt die Religionen und diese ganz besonders.
Deshalb ist es sicher nicht falsch, bei der heutigen religiösen
Verklärung der Beschneidung nach solchen teilweise sehr alten
Hintergründen zu fragen.

So weit auf „Telepolis“.

Heute, 22.7.2012, möchte ich hinzufügen:

Das Landgericht Köln hat in dem Sinne Recht, daß hier Eingriffe in die körperliche [und in vielen Fällen auch die psychische!] Unversehrtheit unmündiger Kinder vorliegen, die von unserem Rechtssystem nicht gedeckt werden und nicht gedeckt werden können, was auch immer die Regierung und das Parlament dazu beschließen mögen.  Ich stehe auch durchaus zu meinem Vergleich mit der Sklavenbrandmarkung, der wohlgemerkt –  wegen der islamischen Apostasie-Verfolgung – sich auf den islamischen Bereich, nicht den jüdischen bezieht.

Jedoch werden sowohl vom LG Köln (wie auch natürlich auch von meinem kurzen Beitrag, der von vornherein nur auf eine bestimmte Frage gerichtet war) nur Teilaspekte des Problems erfaßt.

Man kann eingewurzelte religiöse Überzeugungen und Bräuche, auch wenn sie irgendwann einmal endlich öffentlich in Frage gestellt und überwunden werden müssen, nicht einfach mit dem Strafrecht erledigen, genausowenig wie auf der anderen Seite eventuelle neue Multi-Kulti-Gesetze in der Lage sein werden, vormittelalterlichen klerikalen Zwängen aus zurückgebliebenen Teilen der Erde hier dauernde Gültigkeit zu verleihen. Es müssen Wege gefunden werden, mit religiösen Empfindlichkeiten und dem Verdacht der westlichen Bevormundung umzugehen; dieser ist ja nach allem, was den Menschen der muslimisch geprägten Welt jahrhundertelang an imperialistischer Gewalt, Arroganz und Perfidie angetan worden ist und weiter angetan wird, nicht grundlos. Es müssen Wege gefunden werden, die reaktionären klerikalen Fronten nach und nach aufzuweichen.  Es handelt sich um sehr langfristige Prozesse.

Was gleichzeitig scharf bekämpft werden muß, sind aber auch die Tendenzen gerade auch unseres bundesrepublikanischen Systems, mit der systematischen Einbürgerung und bürokratischen Abstützung aller möglichen Rückständigkeiten aus anderen Zonen der Erde die Demokratie, die Sittlichkeit und den emanzipativen Grundimpuls im eigenen Land zu untergraben. Letztlich geht es immer darum, daß dieses bundesrepublikanische aufoktroyierte System, das sich der Masse der Bevölkerung mehr und mehr ganz direkt entgegenstellt, nicht im modernen Sinne kritisiert und umgewälzt werden kann.

Interessant auch, wie gerade die katholische Kirche in dieser Angelegenheit als Verbündeter des Islamismus agiert, jedenfalls soweit die Medien dazu etwas bringen. Ratzinger als Papst hatte eingangs seiner Amtszeit eine recht brisante Kritik gewisser Grundstrukturen des Islam vorgebracht. Davon hört man seit längerem nichts mehr.

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