Am 27.4.21 erschien in der „Asia Times“ ein Artikel von William Pesek über China: Jack Ma, der Multimilliardär, Inhaber großer digitaler Handels- und Finanzplattformen wie Alibaba und Ant Group und Mitglied der KPCh, ist wiederaufgetaucht.
Vor einigen Monaten war Ma aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden, nachdem die chinesische Regierung den internationalen Börsengang seiner Ant Group im Volumen von 37 Mrd. US-$ im letzten Moment blockiert hatte. Nun sieht Pesek ihn überraschend als rechte Hand von Xi Jin-ping bei der Etablierung des digitalen Yuan agieren.
Pesek berührt in seinem Artikel viele Problemfelder:
— Digitale Währungen als solche
– den digitalen Yuan als Innovationsprojekt der KPCh, um die inneren Widersprüche des chinesischen Finanzsystems, seine Chaotik und Instabilität in den Griff zu bekommen und den Yuan als Konkurrenz zum US-$ in der globalen Ökonomie einzuführen.
– die Konkurrenz privater fintechs mit Xis staatlichem „fintech“, dem staatlichen digitalen Yuan, und überhaupt das Verhältnis staatlicher zu privaten Währungen
Ein anderer Aspekt der Entwicklung, weniger finanztechnisch-politischer als sozialer und kultureller Art, wird bei Pesek zumindest angedeutet: es geht um Geld als soziale Interaktion, bzw. um die Potentiale von Digitalwährungen und fintechs, die Gesellschaft umzuformen.
Offensichtlich schaufelt die Teilnahme eines Bürgers an einer digitalen Währung jede Menge Daten über das Verhalten des Bürgers in die Datenbanken des Staates, der die Währung betreibt, bzw. in die des privaten fintechs. Das gilt längst schon in gewissem Maße für die Nutzung digitalen Verkehrs mit Banken etc., gesteigert tritt das bei fintechs auf, die bisher vor allem als Intermediäre zwischen den Banken bzw. den Konten der Bürger bei den Banken fungieren.
Wenn jedoch alle Teilnehmer des Geldverkehrs auf einer einzigen Plattform agieren, der staatlichen digitalen Währung, dann sind die Informationen über das ökonomische Verhalten des Bürgers von vornherein zusammengefasst und zentralisiert bei einer Entität, die als Staat gleichzeitig über ganz andere Machtmittel verfügt als eine Bank oder ein fintech oder eine Kryptowährung.
Jack Ma hatte anscheinend mit seinem Ant-Börsengang und seinen Vorstellungen, die staatliche chinesische Finanzwirtschaft zu umgehen, sie mittels eines privaten Finanzverbunds seiner diversen Unternehmen und starker Beteiligung von US-Finanzfirmen alt aussehen zu lassen, bei der KPCh auf Granit gebissen. Jetzt haben diese beiden Seiten anscheinend einen für beide vorteilhaften Kompromiss ins Auge gefasst und Ma ist wieder ganz im Zentrum.
Die Formung oder auch Deformation des gesamten Lebens durch fintechs ist längst im Gange. Vor allem im US-Bereich haben sich solche Geld- und Daten-Konglomerate schon etabliert. Neben dem längst bekannten Paypal gibt es bspw. Venmo (gehört zu Paypal), das anscheinend mehr Typen von Konten verknüpfen kann als das ursprüngliche Paypal, so z.B. auch Investment-Konten, und das auch socialmedia-Funktionen anbietet. Als Beispiel hierfür wird angeführt: sich mit Anderen zum Essen zu verabreden und evtl. dann die Zeche aufzuteilen. Wahrscheinlich ist das eine relativ harmlose, unbedeutende Anwendung, aber in der Perspektive lassen sich andere Möglichkeiten denken.
Auf diesem Feld konkurrieren verschiedene Kapitalgruppen, neben Paypal z.B. auch Applepay, Google etc.
Es gibt ferner die Kryptowährungen, die anscheinend bisher eher als Spekulationsfelder dienen und für den kommerziellen Austausch kaum geeignet sind. Daneben gibt es z.B. das „Libra“-Projekt von Zuckerberg, das als eine private globale Währung konzipiert ist, aber anscheinend noch weit von der Realisierung entfernt ist.
Bei allen US-Projekten, aber auch Verwandten wie den Kryptos spielt die Privatheit eine große Rolle, die Abgrenzung gegenüber allen staatlichen Währungen, während das neue chinesische Projekt mit der Privatheit anscheinend kurzen Prozess machen soll. Das dürfte zwar seine Attraktivität für reiche chinesische Bürger wie auch für die sonstige globale Finanzwelt herabsetzen, der ökonomischen und politischen Macht der chinesischen Machteliten hingegen massive Zugewinne eintragen.
Libra wäre die globale konglomerierte Herrschaft der großen player der Finanzwelt und des Silicon Valley unter weitgehender Entmachtung der Nebenzentren (wie der EZB), d.h. so etwas Ähnliches wie die global governance nach Maßgabe von Klaus Schwabs World Economic Forum oder des ergrauten Vorgängers Club of Rome – wobei desgleichen nie wirklich global werden kann, sondern bestenfalls einen Teil des „Westens“ beträfe. Man kann „Libra“ als US-imperialistisches Projekt sehen; der digitaler Yuan wäre ein chinesische imperial(istisch)es Projekt. Gut, dass die beiden sich nicht einigen können.
Gemeinsam allen Projekten ist anscheinend die Verquickung von Geldtechnischem mit anderen Bereichen der sozialen Kommunikation.
Geld, das kommt mir als Laien jedenfalls manchmal so vor, ist und war schon immer ein Medium, das über den Austausch bzw. die Aufbewahrung von „Wert“ hinausgehende Eigenschaften hat. Es vermittelt nicht nur Ökonomisches im engeren Sinne, bspw. den Warenverkehr, sondern stellt auch bestimmte gesellschaftliche Beziehungen her, bzw. ermöglicht diese, bzw. gibt diesen bestimmte Charaktere. Die Warenproduktion, der die Globalität des Austauschs schon immer als Tendenz innewohnt (vor 4000 Jahren gab es z.B. anscheinend schon Handelsbeziehungen zwischen Mesopotamien und dem Ostseeraum), macht auch Menschen und Gesellschaften miteinander bekannt, die sich zunächst unabhängig voneinander entwickeln, aber dann in Beziehungen treten, seien es in persönliche Beziehungen, seien es Interessengemeinschaften, seien es Kriege, seien es Kulturelemente…
Die Arbeiter, die in Ostasien Handys montieren, Palmöl produzieren oder Holz schlagen für unsere Möbel, sind zwar noch hochgradig anonym für Europäer, aber doch schon von Interesse. Für Kapitalisten sind sie von Interesse insofern als sie möglichst billig und trotzdem hochqualitativ arbeiten sollen, für diese wie auch für Konsumenten sind sie von Interesse insofern als sie zuverlässig die Produkte liefern sollen; für gesellschaftlich Engagierte insofern als ihre Lage und ihre gesellschaftliche Entwicklung mit der unseren stark korreliert und aus unseren Bemühungen nicht ausgeklammert werden kann.
All das spielt sich zwar primär in der Geldsphäre ab und ist durch GeldBeziehungen vermittelt, aber formt auch das gesamte Leben der Beteiligten in unterschiedlichem Maße mit.
Mit den fintechs, den digitalen Währungen und dergl. tendiert das Ökonomische immer weiter dazu, sich noch mehr in alle möglichen Lebensaktivitäten einzumischen, und zwar in bestimmten einseitigen Aspekten wie bspw. der engen Sorge um den persönlichen Vorteil.
Die Digitalökonomie mit ihrer pervasiven Werbung will ohnehin den Konsumenten im Menschen weiter wachsen lassen, oft auf Kosten anderer Lebensmöglichkeiten. Die weitere Erleichterung nicht nur des Konsums, sondern auch anderer Teilnahmeformen am Ökonomischen, bspw. am „Sparen“ und der Spekulation auch für Inhaber schmaler Konten dürfte für einen erheblichen Teil der Bürger einen Anreiz, ja vielleicht bald sogar eine Art Zwang bilden, mehr und engagierter sich als Jäger nach dem geldlichen Vorteil zu betätigen, und sei er noch so klein.
Die Möglichkeit auch für den kleinen chinesischen Geldbesitzer, seine Konten in „Investment“- oder Kreditaktivitäten einzubinden, soll ein wichtiger fokus des Ant-Konzepts von Jack Ma gewesen sein und dürfte wohl seine Fortsetzung in der nun avisierten Verschmelzung von Ant, Alibaba etc. mit der chinesischen Zentralbank finden.
Die digitalen Währungen, die fintechs etc. locken den Konsumenten oder den Kontoinhaber durch mehr Bequemlichkeit, locken ihn aber auch in ein noch stärkeres Engagement als Konsument, als Geldbesitzer oder Geschäftemacher hinein. Der tatsächliche Profiteur aller dieser Aktivitäten an der Basis sind natürlich die Besitzer der Plattformen, sie sind die Goldgruben der Zukunft.
Die gesellschaftliche Kommunikation wird mit diesen „Angeboten“ bzw. den zukünftigen Zwängen (Bargelduntersagung) verengt und vereinseitigt auf den kleinen geldlichen Vorteil. Traditionell enthielten Beziehungen zwischen Käufern und Verkäufern gewisse Potentiale zur Entwicklung persönlicher Beziehungen, zu einer gewissen Kultivierung des Ökonomischen. Selbst die Beziehungen zwischen den Verkäufern und Käufern der Arbeitskraft sind nicht immer frei von persönlichen, kulturellen Elementen (gewesen), und sei es von Elementen, die sich in harten Konfrontationen, bspw. Streiks oder Entlassungen, entwickeln.
In der Welt der digitalen Währungen, der fintechs, hat der einzelne Bürger nur sich selbst und als Gegenpart eine Maschine; auch die Gemeinsamkeiten mit anderen Bürgern, bspw. in Interessenkollektiven wie Gewerkschaften, entfallen. Der Gegenpart ist in Wirklichkeit nicht irgendeine Maschine, eine KI, sondern die Klasse der Superreichen, die die Algorithmen besitzen und nutzen, aber diese Personen verschwinden hinter dem Bildschirm mit seinen digitalen, leblosen Bildern und seinen Zahlen.
Die fintechs kombinieren in manchen Fällen gewisse socialmedia-Funktionen mit dem Geldtransfer und scheinen damit zu werben. Die Tatsache, dass ökonomische Beziehungen auch soziale und kulturelle Neben-Dimensionen haben, scheint hier sich erneut geltend zu machen. Doch tendiert wohl diese Art der Integration der Dimensionen dazu, das Soziale und Kulturelle noch enger ans Geldliche, ans Profitinteresse zu koppeln und es diesem noch mehr unterzuordnen. Die Gegentendenz wäre die bessere: die ökonomischen Beziehungen dem Interesse an gedeihlichen sozialen und kulturellen Entwicklungen unterzuordnen.
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