Die Rolle der CDU/CSU bei der Destruktion der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland seit 1979

Vorbemerkung:

Dieser Beitrag war im Jan. 2007 in der Zeitschrift Neue Einheit unter meinem Namen (Walter Grobe) erschienen, ein Teil davon bereits zuvor als Internet-Statement 2006-53 auf der Webseite des Verlags Neue Einheit (dort ist er auch noch abrufbar). Ich gehörte damals noch zu den Redakteuren der Zeitschrift und der Webseite. Da ich den Beitrag seinerzeit weitestgehend eigenverantwortlich erstellt habe, fühle ich mich berechtigt, ihn heute auf meiner eigenen homepage erneut zu veröffentlichen, als Ergänzung zu meinem Beitrag v. 10.6.2019 „Eine kurze Geschichte der Zerstörung der CDU“. Er dokumentiert sehr detailliert die damaligen Vorgänge unter besonderer Beleuchtung der damaligen Beiträge dieser Partei zur Grundlegung des später vollzogenen Ausstiegs aus der Kernenergie.

Hier der Text von 2007:

 Die Rolle der CDU/CSU bei der
Destruktion der Kernenergie in der
Bundesrepublik Deutschland seit 1979

14 Monate der Regierungskoalition der CDU/CSU mit der SPD unter Angela Merkel waren 14 Monate verbohrter Verteidigung des sog. Kernenergie-Ausstiegs durch die Regierungschefin selbst. Kaum anders verhält sich fast die gesamte übrige Führungsschicht dieser Parteien. Die Förderung sog. erneuerbarer Energien ist auch bei ihnen zum Credo geworden und bläht Steuern und Energiepreise weiter auf. Bürokratie und parasitäre Bereicherung an Ökomodellen wuchern noch mehr als zuvor, während die Energieversorgung von innen wie außen unsicherer wird.

 

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht nützlich, sich die destruktiven Seiten der Rolle der CDU/CSU in der Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik seit etwa 1979 zusammenfassend zu vergegenwärtigen. Nicht nur die Grünen und etwas später die SPD mit ihren Forderungen nach völligem Ende der Kernenergie spielen eine destruktive Rolle gegen die Kernenergie in der Bundesrepublik, sondern die CDU/CSU hat auf diesem Gebiet durchaus ein eigenes Konto. Als Blockierer der Wiederaufarbeitungsanlage 1979, als Brechstange gegen Hanauer Betriebe 1988, die mit der Produktion nuklearer Brennelemente für die Kernenergie in der Bundesrepublik zentrale Bedeutung hatten, und schließlich als die Aussteller der Totenscheine von Schnellem Brüter, Wiederaufarbeitungsanlage und Hochtemperatur-Reaktor während der Jahre 89-91 hat die CDU/CSU durchaus in eigener Verantwortung gehandelt, während sie gleichzeitig immer weiter nach außen behauptete, sie verteidige grundsätzlich die Kernenergie, und sich dahinter zurückzog, einzelne Repräsentanten seien verantwortlich gewesen, die Partei habe taktieren müssen etc. Die Tatsache, daß sie in der Lage der Jahre 2005/6, wo sie dieses Versprechen einzulösen und damit eine wesentliche Entscheidung zugunsten der Arbeitsplätze und der ökonomischen Substanz des Landes zu treffen hätte, prompt das grüne Bekenntnis abgibt, kommt daher als die Offenbarung von Kräften, die substantiell in diesen Parteien wirksam sind.

 

Zwei Rückblicke:

 

  1. Das Jahr 1979: die niedersächsische Landesregierung des Ernst Albrecht blockiert die nukleare Wiederaufarbeitung

 

Bereits im Jahre 1979 fiel in der Bundesrepublik eine Grundsatzentscheidung gegen die Weiterentwicklung der Kernenergie: die niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht, eine Alleinregierung der CDU, blockierte die Errichtung der Wiederaufarbeitungsanlage, die damals in Gorleben als Kern eines ganzen Nuklearen Entsorgungszentrums geplant war. Es war gerade 2 Jahre her, daß die niedersächsische Landesregierung, damals bereits unter Ernst Albrecht, den Standort in Niedersachsen angeboten und damit die zentrale Entscheidungskompetenz an sich gezogen hatte, die sie nun in dieser unerwarteten Weise gebrauchte. Daß zuvor Ernst Albrecht 1976 überhaupt Regierungschef in Niedersachsen geworden war, ist ein bis heute etwas rätselhafter Vorgang.[1]

 

Wie bereits damals von uns ausführlich analysiert, handelte es sich bei der Absage der niedersächsischen Landesregierung an die WAA nicht um ein Zurückweichen vor den Protesten derjenigen Teile der Bevölkerung, die durch die Anti-Kernenergie-Kampagne und speziell durch die damalige, im direkten Zusammenhang mit der Frage der WAA in Deutschland aufgepeitschte „Harrisburg“-Hysterie beunruhigt waren, sondern um das Entgegenkommen gegenüber den USA und in gewisser Weise gegenüber dem damaligen gemeinsamen Druck der USA und der Sowjetunion. (Siehe „Albrechts Blockade der Wiederaufbereitungsanlage“ in Neue Einheit, Zusammenfassende Nummer 1979)

 

Die USA hatten nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie die WAA in der Bundesrepublik sowie den Export dieser Technologie – es bestand bereits ein Abkommen mit Brasilien – zu Fall bringen wollten und traten gerade im Frühjahr 1979 entsprechend hart auf. Demonstrationen allein hingegen konnten kein Grund für die berühmtgewordene Erklärung Ernst Albrecht sein, die WAA sei technisch machbar, aber politisch nicht durchsetzbar, denn Demonstrationen waren für Regierungen in der Bundesrepublik noch nie ein Grund gewesen und waren es auch später nicht, auf entscheidende Pläne zu verzichten. Demonstrationen verhinderten weder die AKWs Brokdorf noch Grohnde. Auch die Entscheidung, mit der die baden-.württembergische Justiz seinerzeit Whyl gestoppt hatte, war nicht aus den Protesten zu erklären gewesen, sondern aus politisch-strategischen Auseinandersetzungen innerhalb der Bourgeoisie. Die Demonstrationen gegen die sog. NATO-Nachrüstung erreichten in den Jahren 1981- 82 Teilnehmerzahlen bis zu 400.000 und blieben erfolglos. Zudem ging es im Fall der WAA um mehr als die Errichtung eines einzelnen Kernkraftwerks, es ging um die Grundlagen für das gesamte System der nuklearen Stromerzeugung in der Bundesrepublik. Wenn man im Fall von Brokdorf sich unnachgiebig zeigen und das Projekt trotz der militanten Proteste verwirklichen konnte, hätte die Regierung im Falle der ungleich bedeutenderen WAA erst recht sich durchsetzen können. Es mußten also interne Hindernisse in den führenden Kreisen die ausschlaggebende Rolle spielen.

 

Wenn man sich die damalige niedersächsische Landesregierung im Rückblick einmal näher anschaut, werden Grundbedingungen dieser Entscheidung umso klarer. Das damalige Albrechtsche Kabinett war schon etwas Besonderes. Verschiedene Minister, Eduard Pestel (Minister für Wissenschaft und Kunst), Walther Leisler Kiep (Finanzminister), Birgit Breuel  (Ministerin für Wirtschaft und Verkehr) wie auch andere zeigten schon damals wie auch in der weiteren Entwicklung, daß sie mehr waren, als es Mitglieder einer bundesdeutschen Landesregierung zu sein pflegen, und ganz dezidiert, sogar in extremer Weise, für bestimmte fragwürdige Grundtendenzen der gesamten internationalen Politik des Kapitalismus, gerade auch gegenüber Deutschland standen.

 

Eduard Pestel:

Eduard Pestel, ein Professor für Maschinenbau, war bereits seit 1969 Mitglied des Exekutivkomitees des Club of Rome, der 1968 gegründet worden war, und zeichnete auch als einer der Hauptherausgeber der Club-of-Rome-Publikation „Mankind at the Turning Point“ („Menschheit am Wendepunkt“) von 1974. Der Anfang von Pestels politischer Laufbahn liegt in der NATO, deren Wissenschaftsausschuß er als deutscher Delegierter von 1966 an angehörte. In den 70er Jahren war Eduard Pestel Vizepräsident der deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitglied im Kuratorium der Stiftung Volkswagenwerk, die bekanntlich immer wieder grundsätzlich auf die politische und soziale  Entwicklung Deutschlands massiv einzuwirken versucht hat.

 

Was bedeutete die Mitgliedschaft in der Führung des Club of Rome?

 

Gründung und spektakuläre öffentliche In-Szene-Setzung des Club of Rome ab 1968 fallen in die Jahre direkter revolutionärer Aufwallungen in mehreren Gebieten der Welt, insbesondere auch der Bundesrepublik und anderen Teilen Westeuropas. Parallel dazu erreichten die Kämpfe vieler Länder der ehemals kolonialen Welt gegen die internationale Ausbeutung in diesen Jahren heftige Höhepunkte. Wenn man in knappster Form den Club of Rome charakterisieren will, so handelte es sich um einen internationalen Zusammenschluß bürgerlicher Strategen, die die Gefahr für die kapitalistische Ordnung – einschließlich der Gefahr für die auf bürokratischer Ausbeutung beruhende Ordnung der damaligen Sowjetunion – mit einer radikalen Einschränkung der gesamten wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Welt bannen wollten. Diese Ziele versuchte man unter Problemen des Umwelt- und Ressourcenschutzes zu maskieren. Mit einer Zusammenfassung der Kontrolle der internationalen Ökonomie unter dem angelsächsischen Großkapital, natürlich mit einer gewissen Beteiligung gerade auch deutscher Kapitalinteressen und sowjetischer Interessen, sollte das Wachstum beschränkt werden.

 

Die Publikationen des Club of Rome waren damals und für längere Zeit mit der wichtigste Kristallisationspunkt der sog. Anti-Wachstums-Ideologie. Wenn diese Ideologie verhieß, den internationalen Kapitalismus zu einer eigenen Rettung quasi in die Zwangsjacke zu setzen, so war sie irreal, aber in einem Land wie der Bundesrepublik, das durch revolutionäre Strömungen besonders gefährdet schien, verkörperte sie sich in besonders harter und dauerhafter Weise in einer politischen Richtung, die Kurs auf radikale Entindustrialisierung nahm und eine Flut von Kampagnen zur Ökologisierung der Mentalität der Bevölkerung exekutierte. [2]

 

Die Entindustrialisierungspolitik der Bundesrepublik  in diesem Sinne begann ziemlich genau Mitte der 70er Jahre und wurde seitdem mit allen Folgen, die heute auf dem Land lasten, immer weiter verfolgt, insbesondere auch durch die sog. rot-grüne Koalition seit 1998 verschärft.

Wir verkennen nicht, daß die voranschreitende Globalisierung des Kapitalismus,  insbesondere seit der weitgehenden Öffnung Chinas für die internationale kapitalistische Produktion und der Eröffnung immer größerer Zugriffsmöglichkeiten auf die Potentiale Osteuropas, eine eigene ökonomische Dynamik der Verlagerungen bedingt. Aber gerade was die Bundesrepublik Deutschland betrifft, gibt es hier auch noch andere Triebkräfte der Verlagerungen, die in einem fundamentalistischen Kampf bürgerlicher Kräfte gegen die bloße Existenz einer konzentrierten und kampffähigen Klasse industrieller Arbeiter und verwandter Schichten wurzeln.

 

 

Walther Leisler Kiep:

 

Ein weiteres illustres Mitglied der damaligen niedersächsischen Landesregierung war der bekannte Repräsentant der Bundes-CDU Walther Leisler Kiep,  eine der Grauen Eminenzen der CDU, der als ihr Schatzmeister über 2 Jahrzehnte von 1971-92 mit den Partei-Interna engstens verknüpft gewesen sein dürfte. Außerdem war Kiep immer als ein Promoter der besonders engen Beziehungen der CDU und Deutschlands mit den USA hervorgetreten und war in entsprechenden Gremien aktiv. Kiep stammte familiär aus Hamburger Kapitalistenkreisen, die vor allem mit der Führung der  I.G. Farben verbunden waren, einer bedeutenden deutschen und internationalen Kapitalgruppe, die bekanntlich bei der Aufzucht und Installierung des Hitlerfaschismus, seiner Kriegführung und den Verbrechen an den Juden in besonderem Maße beteiligt gewesen war, und zwar gerade auch an der Organisierung der langjährigen Unterstützung des Hitlerfaschismus durch US-Kapitalisten und -Politiker.

 

Birgit Breuel:

 

Die Wirtschaftsministerin Birgit Breuel war 1979 noch eine relativ junge Politikerin. Sie stammte ebenfalls aus Hamburger kapitalistischen Kreisen, ihr Vater war der Privatbankier Alwin Münchmeyer, ein zeitweiliger Vorsitzender des Bundesverbandes deutscher Banken und ein wichtiger wirtschaftspolitischer Ratgeber der Bundesrepublik.[3]

 

Was in der weiteren politischen Laufbahn von B. Breuel hervortritt, ist die rücksichtslose Liquidation der Industrie der DDR, die sie als Chefin der Treuhandanstalt nach der Ermordung ihres Vorgängers Rohwedder im Frühjahr  1991 an entscheidender Stelle mit zu verantworten hat. Für die ungefähr 90%ige Entindustrialisierung der früheren DDR, die dann hauptsächlich in ihrer Amtszeit vollzogen wurde und heute wie ein Mühlstein an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung und auch den Staatsfinanzen Deutschlands hängt, hat sie mit einzustehen, umso mehr, als sie diese Politik in dezidierter Opposition zu Rohwedder betrieben hat, dem es offenbar um die Erhaltung und Sanierung eines möglichst großen industriellen Potentials dort gegangen war. Schon zuvor war sie als verbohrte Propagandistin der sog. Privatisierung um jeden Preis hervorgetreten.

 

Nach dem Ende ihrer Treuhandtätigkeit 1994 trat Breuel noch einmal in Szene, als Chefin der etwas seltsamen und erfolglosen Hannoveraner Weltausstellung von 2000. Das Konzept soll sie zusammen mit Pestel entworfen haben, offenbar war an eine zwittrige Kombination von technischer Modernität mit ökologistischer Zielsetzung gedacht. Das mußte ein ziemlich gigantischer Flop werden und wurde es in der Tat. Statt der von Breuel kalkulierten 40 Mio. Besucher hatte die Expo nur etwa 18 und vermehrt die deutsche Staatsverschuldung seitdem um 2,4. Mrd. DM. Gerhard Schröder war von 1994 bis 1998 Ministerpräsident in Niedersachsen.

Hans-Dieter Schwind:

Nicht uninteressant sind auch die besonderen Tätigkeitsgebiete des damaligen Justizministers der Albrechtschen Landesregierung, des Kriminologen Prof. Hans-Dieter Schwind. Schwind war in den Jahren vor der Übernahme des Postens in Hannover 1978 vor allem mit den Problemen der inneren Entwicklung in China befaßt gewesen. Genau in der Zeit 1976-77, vor und nach dem Tode Mao Zedongs, in der Zeit der Vorbereitung des Umsturzes in China, der in der weiteren Entwicklung dazu geführt hat, daß China heute das größte und bedeutendste Dorado des internationalen Kapitalismus in pcto. billige Arbeitskraft geworden, forschte Schwind als Hauptverantwortlicher einer größeren Arbeitsgruppe an der Ruhr-Universität Bochum über‚ Pädagogische Konzepte zur Bekämpfung sozial und politisch abweichenden Verhaltens in der Volksrepublik China’. Ein Band mit Ergebnissen wurde unter dem Titel „Formen der Kriminalität in der Volksrepublik China – vor dem politischen Hintergrund kommentiert“  zusammengestellt und intern von Hans-Dieter Schwind  und Konrad Wegmann herausgegeben.

Es dürfte wohl klar sein, daß mit derartigen Untersuchungen tiefere Einblicke in soziale Probleme und die politischen Grundlagen des Justizsystems des damals vor dem Umsturz des Sozialismus stehenden China angestrebt wurden. Aber auch mit wichtigen Funktionen der Justizpolitik der Bundesrepublik war Schwind im weiteren befaßt. „Ursachen des Terrorismus in der BRD“ lautet der Titel eines 1978 von Schwind veröffentlichten Buches. Schwind war später u.a. Vorsitzender der deutschen Justizministerkonferenz (1984-1989), Präsident der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft (1987-1990) und Vorsitzender der (Anti-) Gewaltkommission der Bundesregierung, usw. usf. Ohne den Gehalt von Schwinds recht umfassender wissenschaftlicher und justizpolitischer Tätigkeit hier beurteilen zu wollen, verdient doch die Tatsache festgehalten zu werden, daß hier eine weitere Persönlichkeit Mitglied der niedersächsischen Landesregierung in der kritischen Phase der Entscheidung gegen die WAA war, die in gewisser Weise hochaktuelles Expertenwissen zu entscheidenden internationalen Entwicklungen der Zeit repräsentierte, nämlich zum Umsturz in China, einem der Hauptfaktoren der Produktionsverlagerungen. Auch dies ein Minister, der wenig nach typischem Landespolitiker aussieht.

Die Albrecht-Regierung und die Gesamtpartei CDU/CSU

Wenn man sich nun die Frage stellt: was war die politische Substanz dieser niedersächsischen Landesregierung des Jahres 1979 mit ihrer Entscheidung gegen die WAA, was bedeutete sie insgesamt für das Land, was insgesamt für die CDU (und auch die CSU), könnte man fürs erste und etwas salopp antworten: Dies war ein besonders USA-höriger und Ökologismus-orientierter Club in der CDU. Repräsentierte er eine Sonderströmung, die zeitweilig eine Position an einer entscheidenden Stelle einnimmt und, diese nutzend, eine quasi die Gesamtpartei überrumpelnde Entscheidung fällt? Dies greift zu kurz. Schon einmal deswegen, weil diese Entscheidung nie von der Gesamtpartei korrigiert, ja nicht einmal deutlich kritisiert worden ist. Wenn die CSU nach Albrechts Absage 1979 die WAA an sich gezogen hat und damit für eine Zeitlang den Eindruck erweckte, als gebe es in der CDU/CSU auch substantiell andere Kräfte, die der Kernenergie eine Chance geben, dann war das, in anbetracht der gesamten weiteren Entwicklung, eher ein taktischer Zug, wohl auch mit der Regung zu etwas mehr US-unabhängiger Politik verbunden, für die bekanntlich Strauß – zumindest propagandistisch – stand, aber dies hatte in Wirklichkeit in dieser Partei keine genügende Grundlage. 1989 wurde erkennbar, daß die WAA in Bayern auf ähnlich dubiose Weise untergehen würde wie zuvor bei der CDU in Niedersachsen, und wieder dürfte der internationale Druck vor allem der USA, im Zusammenhang mit der bevorstehenden Auflösung der DDR allerdings  wahrscheinlich enorm verstärkt, die ausschlaggebende Rolle gespielt haben (s.u.)

Als schließlich im Mai 1989 der damalige VEBA-Chef Bennigsen-Foerder erklärte, man werde sich aus dem deutschen WAA-Projekt zurückziehen und die Wiederaufbereitung in Frankreich durchführen lassen, gab es zwar einige harsche Worte von Stoiber, die durchaus an die nationale Bedeutung des Projekts erinnerten, aber in der Sache waren bayrische Staatsregierung und Kohlsche Bundesregierung  recht schnell bereit, die Liquidierung vollziehen zu lassen. Es hatte auch von Anfang an nicht an schändlichen Stellungnahmen bestimmter CSU-Vertreter, wie auch der Mobilisierung mittelbürgerlicher, spießiger, religiös motivierter und kirchlich gestützter Kreise zu sog. Bürgerdemonstrationen („Maria, hilf gegen die WAA!“)  und den entsprechenden Entscheidungen der bayrischen Gerichtsbarkeit gefehlt.

 

Die Albrecht-Regierung von 1979 steht durchaus für Wesenszüge der Gesamtpartei, auch wenn deren Repräsentanten nicht in ihrer Gesamtheit derart offensichtlich an einer bestimmten Leine gehen wie dieser seinerzeitige Club.

 

Die Entscheidung von 1979 konnte man allerdings damals auch etwas anders sehen: etwa als eine Art Coup bestimmter Kräfte in der CDU, während die CDU/CSU insgesamt, in der auch gewisse Selbständigkeitsbestrebungen der deutschen Bourgeoisie repräsentiert sind, hinhaltenden Widerstand gegen die Destruktion leistet und die Kernenergie erhalten und unter günstigeren Bedingungen weiterentwickeln will.

 

Um ein klareres Bild zu gewinnen, gehen wir weiter in der Geschichte:

 

  1. Die CDU- Landesregierung in Hessen unter Walter Wallmann landet in Koordination mit Klaus Töpfer in der Bundesregierung im Januar 1988 einen schweren Schlag gegen die Kernenergie in Deutschland

 

Mit der Katastrophe von Tschernobyl (April 1986), bei der sowohl der technische Hergang wie die politischen Hintergründe bis heute große Fragen aufwerfen, war bekanntlich in Deutschland – anders als in anderen europäischen Ländern – die Auseinandersetzung um die Kernenergie neu und verschärft entbrannt. Ein SPD-Parteitag und auch der DGB-Kongreß beschlossen, den Ausstieg zu fordern, während die CDU-Spitze  in Person von Kanzler Kohl eine Regierungserklärung abgab, an der Kernenergie festhalten zu wollen. Man kann allerdings nicht außeracht lassen, daß gleichzeitig wesentliche Teile und Repräsentanten sowohl von CDU wie auch CSU nach Tschernobyl sich ähnlich der SPD und den Grünen äußerten. Die Meinungen in der FDP, die an der Regierung beteiligt war, gingen ebenfalls auseinander. Lambsdorff soll gegen eine Delegiertenmehrheit auf dem FDP-Parteitag für die Kernenergie einschließlich Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) und Schnellem Brüter gekämpft haben.

Während es auf der zentralen politischen Ebene zu einem Grundsatzstreit um die Kernenergie mit offenem Ausgang zu kommen schien, wurde versucht, auf Länderebene durch Torpedierung zentraler Anlagen bzw. Projekte die Kernenergie entscheidend zu treffen und damit Vorentscheidungen für einen späteren weitergehenden oder gänzlichen Ausstieg zu schaffen. Hier setzen sich die Strömungen fort, die 1979 bei Albrecht hervorgetreten waren.

Ins Zentrum der Auseinandersetzungen rückten ab 1986 zunehmend die sog. Hanauer Nuklearbetriebe, Firmen wie Nukem und Alkem und weitere. Hier, im Bundesland Hessen, das seit April 1987 von einer CDU-FDP-Koalition regiert wurde,  war die Brennelementeproduktion der Bundesrepublik Deutschland konzentriert. Es wurden Brennelemente aus Uran hergestellt, hier wurde auch – im Betrieb der Leichtwasserreaktoren entstehendes –  Plutonium zusammen mit Uran zu neuen sog. MOX-Brennelementen für dieselben Reaktoren verarbeitet und somit auch ein Beitrag zur Verwertung von sog. Atommüll geleistet. Die MOX-Technik war  auch für den beabsichtigten Betrieb des Schnellen Brüters von zentraler Bedeutung. Hauptträger der letztgenannten Entwicklungen war die Firma Alkem, die eine große Anlage errichtete, aus der sie Kernkraftwerke in der ganzen Welt zu beliefern vorhatte. Es ist diese Anlage, die nach den Interventionen aller möglichen Regierungen einschl. derer der CDU nie in Betrieb gegangen ist und schließlich im Jahre 2004 noch einmal wegen eines möglichen Verkaufs an China Schlagzeilen machte.

Ferner wurden die Brennelemente für den Hochtemperatur-Reaktor bei Nukem, genauer der Nukem-Tochter HOBEG  gefertigt. Die Firma Nukem hatte außerdem eine bedeutende Stellung in der Herstellung von verschiedenartigen Brennelementen für Forschungsreaktoren im In- und Ausland.

Zum Zeitpunkt Anfang 1988 befand sich die Nukem zu 45% im Besitz von RWE, zu 35% von Degussa, sowie zu je 10% von Metallgesellschaft und der Imperial Smelting Corporation, London.

Die hessischen Landesregierungen und die Hanauer Betriebe

Die Auseinandersetzung um die Kernenergie, insbesondere um die Hanauer Betriebe, hatte schon jahrelang die hessische Landespolitik stark geprägt. Die Landesregierung  hatte zuvor zwischen dem 12.12.85 und dem 9.2.1987 aus der merkwürdigen Kombination einer SPD-Riege mit Holger Börner als Ministerpräsident und Krollmann als stellv. Ministerpräsident mit dem grünen „Umweltminister“ J. Fischer bestanden, der ohne Wahlen in die vorherige reine SPD-Regierung hereingenommen worden war – ein noch immer erklärungsbedürftiger Vorgang. Börner war kein Gegner der Kernenergie und versuchte noch längere Zeit, dem Haupttrend seiner Partei in dieser Frage entgegenzuwirken, während Krollmann, sein Vize und späterer Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, bald den Kernenergie-feindlichen Kurs übernahm. Anlagen in Hessen, das seit 1946 ununterbrochen unter SPD-Führung gestanden hatte, wie die in Hanau und das AKW Biblis (Biblis A war der erste Großreaktor der 1200-MW-Klasse in Deutschland gewesen), waren herausragende Elemente in der Entwicklung der kommerziellen Kernenergietechnik der Bundesrepublik Deutschland. Damit war die Stellung der hessischen Landesregierung zu einem Brennpunkt der bundesweiten Auseinandersetzung geworden.

Die Koalition Börner-Fischer hatte nur 14 Monate Bestand und wurde am 9.2. 1987, den Berichten zufolge genau wegen des Streits um Alkem, aufgekündigt. Inzwischen hatte der stellv. Ministerpräsident Krollmann (SPD) Alkem zu einem „auslaufenden Modell“ erklärt, während Börner politischen Widerstand leistete, aber am 10.2. „aus Gesundheitsgründen“ zurücktrat und den Posten des Ministerpräsident an Krollmann abgab. Auf den 5.4.1987 wurde eine vorgezogene Landtagswahl terminiert. Die hessische CDU kandidierte unter Walter Wallmann, der früher in Frankfurt OB gewesen war und derzeit als der Bundes-Umweltminister des Kabinetts Kohl/Genscher amtierte. Wallmann kündigte in dieser Funktion Ende Februar 87 an, die hessische Landesregierung anzuweisen, Alkem die erste Teilerrichtungsgenehmigung für den Neubau der erwähnten großen Plutoniumverarbeitungsanlage zu erteilen (HB 26.02.87), während die noch amtierende SPD-Grünen-Koalition in Hessen mit einem Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht Alkem völlig zu Fall zu bringen suchte. Sie strebte darin an, daß eine industrielle Verarbeitung von Plutonium überhaupt verboten würde und weder der Schnelle Brüter noch die WAA je in Betrieb gehen könnten. (SZ 19.03.87).

Am 5.4.87 siegte die CDU mit ihrem Versprechen der Weiterführung der Kernenergie und der Hanauer Betriebe klar in der Landtagswahl und konnte, zum ersten Mal in der Geschichte dieses Bundeslandes die Regierung bilden, in einer Koalition mit der FDP. Das Mandat der hessischen Wähler bezog sich eindeutig gerade auch auf die offizielle Haltung der CDU in der Kernenergie-Frage, denn diese hatte den entscheidenden Stoff der vorausgegangenen politischen Auseinandersetzung gebildet. Von daher ist das Umschwenken der Wallmann-Regierung im Dez. 1987/Jan. 1988, mit dem Höhepunkt der völlig willkürlichen, aber umso folgenreicheren Schließungsverfügung gegenüber Nukem, klar als Bruch der Hauptversprechungen zu werten. Man kennt Wortbrüche zwar aus der Praxis aller parlamentarischen Parteien der Bundesrepublik zur Genüge, aber was hier geschah, hatte besonders große Bedeutung für das Land und die internationale Entwicklung und verdient schon von daher in der Rückschau auch nach 18 Jahren mit aller Deutlichkeit festgehalten zu werden.

Was Wallmann, sein Umweltminister Karl-Heinz Weimar (CDU), sowie Klaus Töpfer, der Nachfolger Wallmanns als Bundes-Umweltminister, die unmittelbaren Entscheidungsträger, hier vollbracht haben, trägt nicht nur die Kennzeichen des direkten Verrats am Mandat, sondern auch die einer absoluten Farce. Diese Politiker legten Nukem still, ohne irgendeinen Beweis für die massiven Verdächtigungen in der Hand zu haben, die die Medien im Januar 88 unter Hochdruck ausspuckten, ließen aber diesen Akt bestehen, obwohl Wallmann/Weimar unmittelbar darauf öffentlich zugaben, auf bloßes Hörensagen hin gehandelt zu haben. [4]

Man kann ein derartig widersprüchliches Verhalten nur erklären, wenn es an höherer Stelle, auch in der Spitze der CDU/CSU und der damaligen Kohl-Regierung selbst, abgesichert gewesen ist, die somit selbst die Verantwortung mitzutragen haben.

Was waren die konkreten Ereignisse damals, im Dez. 87 und Jan. 88?

Die heiße Phase begann nach jahrelangen Auseinandersetzungen um Alkem im Dez. 1987 mit dem sog. Transnuklear-Skandal. Bei der Transnuklear, einer Tochterfirma der Nukem, die den Transport von radioaktivem Material betrieb, war es zu Aufdeckungen von technischen Unregelmäßigkeiten und Korruptionsfällen gekommen. Den Berichten zufolge hatte die Firma selbst bereits am 8.4. 87 die Staatsanwaltschaft angerufen und Anzeige wg. Untreue gegen mehrere Mitarbeiter erstattet. Ihre neue, seit dem 1.1.87 amtierende Geschäftsführung hatte durch eigene Recherchen festgestellt, daß in den Jahren 82—86 Firmengelder in schwarze Kassen geleitet worden waren, aus denen Mitarbeiter von Kernkraftwerken und Energieversorgungsunternehmen zwecks Erteilung von Transportaufträgen an die Transnuklear bestochen worden waren. Ein Prokurist der Transnuklear nahm sich in der U-Haft das Leben. Am 17. 12.1987 entzog Bundesumweltminister Töpfer der Transnuklear die Genehmigung zum Transport nuklearer „Abfälle“.

Die Medienkampagne zu diesem Korruptionsfall war anscheinend jedoch nur eine Art Präludium gewesen, um den Namen Transnuklear, die Mutterfirma Nukem und „Hanau“ überhaupt schon einmal mit einem üblen Odium zu versehen. Die Staatsanwaltschaft Hanau erklärte am 27.1.88 öffentlich die Angelegenheit für relativ unbedeutend. Obwohl die Ermittlungen im Korruptionsfall Transnuklear auch nach 9 Monaten noch nicht abgeschlossen seien, lägen jedoch „allen öffentlich geäußerten Behauptungen und Vermutungen Dritter zum Trotz – keine konkreten Anhaltspunkte und forensisch brauchbare oder gar überzeugende Beweismittel dafür vor, daß mit Hilfe der in Rede stehenden Zuwendungen in den Sicherheitsbereich der einzelnen Kernkraftwerke eingegriffen, notwendige Sicherheitsvorschriften umgangen und außer Kraft gesetzt werden wären, oder daß nichtgenehmigte oder nichtgenehmigungsfähige Transporte oder sonstige Handlungen im Bereich der Entsorgung befürwortet worden wären.“ (SZ 28.1.1988)

Das eigentliche öffentliche Getöse um Transnuklear begann im Dez.87 /Jan. 88. Jetzt wurde eine zweite Kampagne eröffnet, in der „die Fässer aus Mol“ in einer ganzen Lawine von Anklagen und Gerüchten durch die Medien gepeitscht wurden. Diese Propaganda hatte schon fast wieder Tschernobyl-Format und knallte in die Gegenfront in Parteien und Gewerkschaften hinein, die sich gegen die Ausstiegsbeschlüsse „wegen Tschernobyl“ zu formieren begonnen hatte.

Der Sache nach handelte es sich um zwei Gruppen von Fässern. In knapp 2.400 Fässern hatte Transnuklear Abfälle aus deutschen Nuklearanlagen zu einem spezialisierten Unternehmen in Mol/Belgien transportiert. Dort waren sie für die Endlagerung in der Bundesrepublik bearbeitet und anschließend wieder durch die Transnuklear an die Ursprungsorte zurücktransportiert worden. Diese Fässer enthielten beim Rücktransport minimalste Spuren von bestimmten radioaktiven Stoffen – genannt wurde in den Medien vor allem Plutonium-, die nicht in der Deklaration der Stoffe enthalten waren, die nach Mol gebracht worden waren. Sie waren daher auch nicht in der Deklaration der rücktransportierten Stoffe enthalten. Wie war das zu erklären? Im Bericht des Bundestags-Untersuchungsausschusses zur Transnuklear-Affäre, der schließlich im Sept. 1990 dem Bundestag zur Kenntnis gebracht wurde, wurde hierzu ausdrücklich festgestellt, daß aus technischen Gründen der Verarbeitung in Mol eine völlige Identität der Stoffe vor und nach der Verarbeitung nicht bis auf  Dutzende von Stellen nach dem Komma eingehalten werden könne, sodaß es nach allgemein anerkannten Prinzipien genüge, wenn die Strahlungsaktivität der Fässerinhalte nach der Bearbeitung nicht höher sei als davor. Es hatte demnach aufgrund der technischen Eigenschaften der Verarbeitung in Mol eine minimale Verschmutzung mit Plutonium gegeben, die niemand der Erwähnung für wert gehalten hatte.

Zum anderen wurde über die Medien im weiteren ein zweite Fässergruppe von 50 Stück ins Spiel gebracht, die ebenfalls von der Transnuklear nach Mol gebracht und wieder zurückgebracht worden waren. Sie stammten von der Nukem selbst, die bereits als Mutterfirma der Transnuklear im Strudel war und einen ihrer drei Geschäftsführer zur Bewältigung dieser Probleme abgestellt hatte. Nun wurde vom 14.1. 88 an in einem weiteren Steigerung der Attacke die öffentliche Atmosphäre bis zur Entladung schwül aufgeladen. Die 50 Fässer begründeten angeblich den Verdacht, daß die Nukem nukleare Brennstoffe aus ihrem eigenen Besitz nicht nur verheimlicht, sondern möglicherweise nach Libyen und Pakistan verschoben habe, der Atomwaffensperrvertrag sei verletzt, usw. Dergleichen ratterte vom 14.1.88 an über alle Kanäle.  Der „Spiegel“ erzählte, möglicherweise sei aus den Büchern der Internationalen Atomenergie-Kontrollbehörde (IAEO) das Material zum Bau von 70 Atombomben verschwunden. Täglich erschienen –zig Artikel und Kommentare, die derartige Gerüchte breittraten, und dabei gab es kaum einen Unterschied zwischen den Medien, die politisch der CDU-FDP-Bundesregierung näher zu stehen schienen, und den übrigen.

Am 11.1.1988, 3 Tage zuvor, war übrigens eine schwerwiegende Entscheidung gegen die Entwicklung der Kernenergie in der Bundesrepublik bekannt geworden: die Betreiberfirma des Schnellen Brüters in Kalkar (NRW) hatte die Anträge auf die Einlagerung der Brennelemente in die Anlage zurückgezogen. In den Medien wurde dies als deutliches Signal gewertet, daß die Firma sich dem politischen Druck, das Projekt sterben zu lassen, konform verhalte.

Unter diesen Bedingungen forderte Wallmann als hessischer Regierungschef bereits am 14.1. die Ablösung der beiden noch amtierenden Geschäftsführer der Nukem, und Töpfer forderte namens der Bundesregierung die hessische Landesregierung auf, die Betriebsgenehmigung für Nukem bis zur Klärung aller Vorwürfe auszusetzen (nach anderen Berichten ging es nur um die Nukem-Abteilung, in der Brennelemente für Forschungs- und Hochtemperaturreaktoren hergestellt wurden). Wallmann und Weimar legten Nukem unverzüglich still – und  begannen bereits am Tag danach mit einem öffentlichen Einräumen der Tatsache, daß sie keine Beweise hatten. Dies zog sich über ein paar Tage hin. Sie stellten es nun so dar, daß Weimar lediglich von einem Bonner Journalisten namens Kassing am 13.1. 87 ein paar Tips bekommen habe, daß vielleicht gewissen Verdachtsmomenten nachzugehen sei, die er sofort an Wallmann weitergeleitet habe – während Kassing seinerseits öffentlich erklärte, er hätte sich nie träumen lassen, daß seine vagen Hinweise von Weimar und Wallmann überhaupt so ernst genommen werden und sie zu solchen Konsequenzen treiben könnten! [5]

Während so die Propagandawolken, wohlgemerkt nach dem Zustandekommen der Stillegungsverfügung,  rasch wieder zerstreut wurden und im weiteren nur noch Restgerüchte im Arsenal professioneller Anti-Kernkraft-Agitatoren verblieben – nach dem Prinzip: man kann ja jedenfalls noch jahrzehntelang vage behaupten ’da war was’‚ –  beließen Töpfer/Wallmann es bei den geschaffenen Tatsachen, hielten den Bann über Nukem einige Monate in Kraft und zeitigten gravierende Konsequenzen. J. Fischer konnte befriedigt feststellen, daß „ausgerechnet Wallmann der Kernindustrie derart zwischen die Hörner gehauen hat, daß sie in die Knie gegangen ist.“ (SZ 20.1.1988)

Töpfer, Bundesumweltminister des Kabinetts Kohl,  plädierte wenige Monate später ganz offen und direkt für „eine Zukunft ohne Kernenergie“ (SZ 30.5.1988):

„Die Kernenergie wird nach den Worten von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) in der Bundesrepublik nur noch eine ‚gewisse Zeit’ genutzt werden. Er gehe davon aus, daß es ‚unsere Aufgabe ist, eine Zukunft ohne Kernenergie zu erfinden’, sagte Töpfer im Süddeutschen Rundfunk. Auch eine noch so sichere Kernenergie könne kein Alibi dafür liefern, regenerative Energien nicht zu erforschen und zu entwickeln.“

Am 12.3.88, knapp 2 Monate nach dem Entzug der Betriebsgenehmigung, wurde gemeldet, die Firma Nukem werde ihre Brennelementeproduktion zum Teil aufgeben, zum Teil für ein paar Jahre aussetzen. Die Produktion für Forschungsreaktoren werde aufgegeben, da die Marktanteile, die seit der Zwangsstillegung v. 14.1.88 verloren gegangen seien, angeblich nicht zurückerobert werden könnten. Die Brennelementeproduktion für Hochtemperaturreaktoren solle später wieder aufgenommen werden, wenn ein neues Betriebsgebäude dafür fertiggestellt sei – etwa Ende 1990 – und die Betriebsgenehmigung dafür erteilt werde.

Als dann mehr als ein Jahr später, Ende April 1989, die Stillegung des Hochtemperatur-Reaktors THTR in Hamm als bereits mehr oder weniger feststehend angekündigt wurde, diente diese vorausgegangene – zunächst als nur zeitweilig hingestellte – Stillegung der Produktion seiner Brennelemente bei Nukem in Hanau als das hauptsächliche der öffentlich vorgebrachten Deckargumente. Es hieß, wegen der Unsicherheit des Brennelemente-Nachschubs aus Hanau sei der Weiterbetrieb des THTR mit „erhöhten wirtschaftlichen Risiken“ verbunden, und die sei niemand zu tragen bereit, weder die Betreiber noch die Regierungen in NRW (SPD-Grüne) oder in Bonn (CDU-FDP), also bleibe nur übrig, das Ende des THTR zu verkünden.

 

Auf diese Weise wurde einer der krassesten regierungsamtlichen Vandalenakte in der Geschichte Europas, die willkürliche Zerstörung eines funktionierenden KKW einer besonderen Entwicklungslinie mit großer Zukunft und zugegebenermaßen geringsten Sicherheitsproblemen, mit einem anderen regierungsamtlichen Vandalenakt begründet, der in sich ebenso willkürlich war. Und dieser Vorgang zeigt ein fast lückenloses faktisches politisches Zusammenspiel zwischen der SPD-Grünen-Richtung, die offen die möglichst schnelle Liquidation der gesamten Kernenergie forderte, mit der CDU-FDP-Bundesregierung und einer CDU-FDP-Landesregierung, die sich bis dato öffentlich zur Kernenergie bekannt hatten, aber im Falle von Hanau an einer ganz entscheidenden Stelle exakt die Stillegungspolitik selbst ins Werk gesetzt hatten. Und die Kaltschnäuzigkeit, mit der die verantwortlichen CDU-Vertreter selbst nun gegen den THTR Umstände ins Feld führten, die ihre eigene Partei, nicht etwa SPD und Grüne, höchstautoritativ geschaffen hatte, weist auf die tatsächlich vorherrschende politische Linie hin, die mit den öffentlichen Deklarationen im Widerspruch steht.

Schließlich kann hier die Rolle der Betreiberfirmen wie Siemens, RWE und andere nicht unerwähnt bleiben, die diesem Treiben an keiner Stelle substantiellen Widerstand entgegengesetzt haben.

 

III. Zur politischen Gesamtheit der Entscheidungen
von 1988-1991 gegen die Kernenergie

 

Die Hanauer Entscheidung fällt zu einem Zeitpunkt, wo die CDU-CSU-FDP-Bundesregierung noch offiziell an Schnellem Brüter, Hochtemperatur-Reaktor und WAA festhält, außer Kohl bspw. auch dezidiert noch für einige Zeit Lambsdorff von der FDP.

Der Januar 1988 ist dann der Auftakt zu einer Reihe von einzelnen Kehrtwendungen in diesem Fragenkomplex, nun auch seitens von Spitzenvertretern wie Lambsdorff  und wohlgemerkt auch seitens der Unternehmen. Diese Einzelentscheidungen ergänzen einander zu einer faktischen Gesamtwende – ohne daß diese damals oder jemals seitdem seitens der CDU/CSU direkt erklärt worden wäre. Bis heute treten diese Parteien  nicht wie SPD und Grüne auf, haben sich aber der Linie des Abbaus der Kernenergie letztlich untergeordnet. Die offene Forderung nach der Liquidation von WAA, Schnellem Brüter etc. wurde von den Spitzenvertretern oder autorisierten Gremien dieser Parteien damals und sogar bis heute nicht erhoben. Sie blieb einzelnen Vertretern und Unterorganisationen vorbehalten, bspw. machte der seinerzeitige baden-württembergische Regierungschef  Späth seit 1986 direkt Front gegen die Kernenergie, oder auch die Junge Union unter Böhr und Friedbert Pflüger 1986 ff. Mit Sicherheit kann gesagt werden, daß sie alle durchaus nicht für sich alleine in dieser Partei sprachen. Jedenfalls aber belegt die Praxis der CDU seit 1979 und auch die der CSU insbesondere seit 1988, daß diese Parteien in der Kernenergiefrage letztlich kein festes standing haben.

Es mag durchaus einzelne Repräsentanten, insbes. auch in der CSU, geben, die die Fortführung und den Ausbau der Kernenergie anstreben – solche gibt es natürlich auch in der SPD, die in den 50er und 60er Jahren bis in die 70er hinein ideologisch und praktisch eigentlich stärker als die konservativen Parteien für die Kernenergie eingetreten ist -, aber sie können sich in diesen  Parteien nicht durchsetzen, und sie passen sich letztlich in die negative Generallinie dieser Parteien ein.

 

Wie das sein kann, das muß im Zusammenhang mit den Problemen der gesamten politischen Abhängigkeitskonstruktion der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 bzw. der Lage des gesamten 1945 besetzten Deutschland gesehen werden. Wenn heute Finnland, ein Land mit rd. 5 Mio. Einwohnern, den von Frankreich und Deutschland gemeinsam entwickelten neuen Druckwasserreaktor (EPR) bauen kann, während die CDU die geradezu groteske abwehrende Behauptung aufstellt, man brauche so etwas in Deutschland nicht; wenn selbst Japan Wiederaufarbeitung und den Brutreaktor (übrigens nach dem Modell Kalkar) betreiben kann und Südkorea an einem großen Schnellbrüter-Projekt arbeitet, d.h. zwei Länder, die selber im Grunde noch immer einen von der US-Besatzung geprägten Status haben, von selbständigeren Staaten wie Indien und China mit ihren eigenen umfangreichen nuklearen Aktivitäten ganz abgesehen  – wenn solche Länder das können, dann müssen für Deutschland ganz besondere politische Einschränkungen gelten, von außen wie auch von innen heraus.

 

Die deutsche Einheit und die Frage der Kernenergie

 

Und hier muß erneut die Frage auftauchen, was im Zusammenhang mit den übergreifenden politischen Entscheidungen von 1989-91, der Auflösung der DDR, ihrem Anschluß an die Bundesrepublik Deutschland unter den Bedingungen des sog. 2-plus-4-Vertrages eigentlich über die künftige ökonomische Entwicklung des unter diesen Bedingungen vereinigten Deutschlands abgemacht wurde. Daß der Vertrag ausdrücklich die militärische Unsouveränität der vereinigten Bundesrepublik Deutschland festschreibt, ist kein Geheimnis, aber welche Abmachungen wurden der Bundesrepublik gerade auch hinsichtlich der Entwicklung der Kernenergie auferlegt, welche Konzessionen mußte sie hier machen? Welche Geheimabsprachen gibt es hier? Daß diese Frage eine zentrale Rolle spielen mußte, liegt auf der Hand. Es ist wegen der Schlüsselrolle, die gerade die USA der Kernenergie in den internationalen Beziehungen immer grundsätzlich zumessen, nicht vorstellbar, daß sie nicht Thema gewesen sein sollte, und das gilt ganz besonders für ihre Beziehungen zu Deutschland. Auch der Großmachtanspruch der damals noch bestehenden Sowjetunion, der von ihren Nachfolgeregimes wie dem von Putin voll weitergetragen wird, hat jederzeit gegen die Entwicklung der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland intrigiert und betreibt die energiepolitische Abhängigkeit dieses Landes.

 

Bei den Auseinandersetzungen um eine mögliche staatliche Einheit Deutschlands ging es den USA und in ähnlicher Weise dem russischen Großmachtstreben darum, die politische Fungibilität der alten BRD wie auch der DDR auf die neue BRD zu übertragen. Es geht dabei vordergründig um die Ein- und Unterordnung der deutschen Kapitalinteressen in das internationale Machtsystem, v.a. der USA. Jedoch, wenn man tiefergehend analysiert, geht es letztlich um die Niederhaltung des revolutionären Potentials des Landes, das sich seit dem 19. Jahrhundert in vielen Bereichen von Wissenschaft, Technik und Kultur manifestiert und in der revolutionären Arbeiterbewegung bis 1933 bereits deutlich politisch konzentriert hatte. Nur mit dem Hereintreiben der europäischen Völker in den I. Weltkrieg, mit dem Bürgerkrieg in Deutschland nach 1918 und schließlich mit der Errichtung der Nazidiktatur 1933 hatte es mühsam unterdrückt werden können, unter massiver Mitwirkung insbesondere von höchsten Kreisen der USA und Großbritanniens. Es sollte nicht in Vergessenheit geraten oder verzerrt werden, daß gerade die KPD unter E. Thälmann, auch gegen Widerstände in der damaligen Komintern, sich entschieden gegen das Versailler System, gegen die Kombination von sozialer und nationaler Unterdrückung, die gegen Deutschland ausgeübt wurde, gewandt hat.

 

Das System der Bundesrepublik Deutschland wurde in den Jahren um 1970 erneut von revolutionären Tendenzen, die von vornherein auch die Frage der nationalen Unabhängigkeit und Einheit Deutschlands aufwarfen, herausgefordert. Wie wir immer wieder dargestellt haben, versuchte man mit einer Reihe von recht radikalen Eingriffen in die Sozial- und Bevölkerungsstruktur der Bundesrepublik und im weiteren ab etwa 1974 mit der Strategie der ökonomischen Entleerung, der Produktionsverlagerungen, der Herausforderung Herr zu werden. Die ökonomischen und wissenschaftlichen Potentiale sollten bspw. durch Auslandsverlagerungen in einer Weise umorganisiert werden, daß dem Kapital der Profit bleiben würde, das Land aber unter den Bedingungen fortschreitender Auszehrung nicht mehr den genügenden Nährboden für politisch revolutionäre Entwicklungen bieten könnte. Dies war, aus der Perspektive des Jahres 1989 gesehen, bereits seit ca. 15 Jahren ein wichtiges Merkmal der Entwicklung des westlichen Deutschland gewesen. Dieser Staat brachte in die staatliche Vereinigung mit der DDR, die in ihren eigenen Formen der Abhängigkeit steckte, unterdrückt war und revolutionäre Bestrebungen nicht duldete, diese politischen Prinzipien und die entsprechende Massenarbeitslosigkeit von mehreren Millionen ein. Mit der folgenden fast völligen Deindustrialisierung der neuen Bundesländer Anfang der 90er Jahre wurde die ökonomische Auszehrung der BRD noch gesteigert. Die ökonomische Lasten dieser Art von Vereinigung zerrütteten die Staatsfinanzen weiter. Die politische Abhängigkeit von internationalen Vormächten änderte sich im Prinzip nicht.

 

Ein Aspekt der Lage um 1989-91 waren Anzeichen, daß Teile der deutschen herrschenden Kreise versuchen würden, die Entwicklung in einen Zuwachs an ökonomischem Potential und politischer Selbständigkeit gerade gegenüber den USA umzusetzen. Es war die Frage, wie man das eindämmen könne.

 

Es mag auf den ersten Blick wirr erscheinen, für die Grundsatzentscheidungen gegen die Kernenergie, die bereits zu Anfang 1988 über Hessen in Gang kommen, einen Grund in den Auseinandersetzungen um das künftige Verhältnis der beiden Teile Deutschlands zu suchen, die erst Ende 1989 aufbrechen. Aber die Deutschlandfrage war selbstverständlich schon vor 1989 bei den USA und natürlich auch bei politischen Kreisen der Bundesrepublik zunehmend dringender auf die Tagesordnung gerückt. Spätestens seit 1985 ( Gorbatschow wird Generalsekretär; der Afghanistankrieg wird seitens der USA durch weitere Aufrüstung und Lenkung der islamistischen „Mudjahedin“ in Richtung auf eine schwere militärische und politische Niederlage der Sowjetunion intensiviert) war die Frage der Fortexistenz der Sowjetunion und ihres internationalen Herrschaftsbereichs überhaupt topaktuell geworden, und die davon abhängige deutsche Frage mußte schon aus diesem Grund in den Jahren vor 1989 ebenfalls ein Gegenstand aller möglichen Sondierungen hinter den Kulissen geworden sein. Daher bietet der Kalender keinen Widerspruch gegen die inhaltliche Verknüpfung mit der Kernenergiefrage.

 

Bei den Verhandlungen mußten die Fragen des ökonomischen Potentials eine große Rolle spielen, und die Energieversorgung ist ein Grundbaustein des ökonomischen Potentials. Mit der konkreten Möglichkeit der Vereinigung des ökonomischen Potentials der BRD und der DDR mußten zumindest bei Teilen der deutschen herrschenden Kreise (auf beiden Seiten der Grenze) erneut und verstärkt Hoffnungen auf eine ökonomische Konzentration beträchtlicher Kräfte und auf eine Aufwärtsentwicklung entstehen, die allerdings die bisherigen Kräfteverhältnisse im europäischen Rahmen sprengen würden und auch die politischen Gewichte zu verschieben drohten. Die DDR konnte aufgrund ihrer Verflechtung mit den osteuropäischen Ländern und der Sowjetunion wichtige und entwicklungsfähige Verbindungen in den vereinigten Staat einbringen, auch wenn ihre eigene Industrie großen Modernisierungsbedarf hatte.

 

Zu den eingeständigeren Konzepten für das künftige Deutschland gehörte naturgemäß auch eine unabhängigere Energiebasis als bisher, d.h. daß die Bedeutung der Kernenergie zunehmen mußte. Der Verwirklichung solcher Vorstellungen mußten jedenfalls die USA, nicht weniger auch Großbritannien und wahrscheinlich zumindest in gewissen Sinne Frankreich sich entgegenstellen. Der Opposition Frankreichs und anderer europäischer Länder versuchte die deutsche Regierung mit Versprechungen der stärkeren Integration ihres ökonomischen Potentials (Euro, EZB) und der stärkeren politischen Koordination gerade auch mit Frankreich entgegenzuwirken – daher wurde von Kohl ja auch immer wieder betont, daß im Zusammenhang mit der Herstellung der staatlichen  Einheit Deutschlands starke Verpflichtung zur europäischen Integration Deutschlands eingegangen wurden und jede großmachtähnliche Dominanz Deutschlands gegenüber Partnern wie Frankreich, überhaupt eine Politik auf eigene Faust ausgeschlossen werde.

 

Für die USA kam es in dieser Phase vor allem darauf an, sowohl die politisch-militärische Abhängigkeit Deutschlands von den USA fortzuschreiben und möglichst sogar zu erhöhen, als auch eine europäische Integration, in der manche in Deutschland wie auch andere ein Emanzipationspotential gegenüber den USA sahen, in einen Rahmen fortgeschriebener Abhängigkeit der gesamten europäischen Gebilde einzupassen, bspw. via NATO. Anläßlich der Auseinandersetzung um den Entwurf einer sog. EU-Verfassung 2005 kam dieses Verhältnis erneut in krasser Weise an die Oberfläche, da die führenden EU-Kreise sogar in diesem Verfassungsentwurf weiterhin ausdrücklich die Abhängigkeit ihrer Militärpolitik von der NATO, d.h. den USA festgeschrieben hatten, während sie in der Öffentlichkeit ihren Entwurf mit der wahrheitswidrigen Behauptung anpriesen, er verschaffe der EU mehr Selbständigkeit.

 

Man konnte die Schärfe der Auseinandersetzung um die Militärpolitik damals relativ deutlich an den Auseinandersetzungen um Jugoslawien 1991-95 ablesen. Spätestens mit der von den USA forcierten Erklärung der Anerkennung der – mit dem islamischen Fundamentalismus verbundenen – Izetbegovic-Regierung in Sarajewo im April 1992, die einen langgezogenen, fast alle Teile und Kräfte des bisherigen Jugoslawien einbeziehenden und alle gegeneinander aufhetzenden Krieg auslöste, in dem die USA zielstrebig eine eigene dominante militärische Präsenz auf dem Balkan aufbauten, die diplomatische Oberhoheit gewannen (Dayton) und die Bemühungen um ein gemeinsames, von den USA unabhängigeres Vorgehen Deutschlands und Frankreichs dort, wie auch die allgemeineren Vorstellungen einer unabhängigeren europäischen Militärpolitik zu Wasser machten, wurde dieser Gegensatz der europäischen Geschichte seit 1945 erneut deutlich.

 

Auch auf dem Gebiet der Ökonomie waren die Gegensätze entsprechend scharf. Anzeichen dafür, wie hinter den Kulissen gerungen wurde, waren u.a. die Ermordungen zweier Hauptrepräsentanten des deutschen Kapitalismus, die in manchen Aspekten die Absicht einer eigenständigeren Entfaltung der eigenen Möglichkeiten hatten erkennen lassen: der Chef der Deutschen Bank, Herrhausen, und der Vorsitzende der Treuhand, Rohwedder, wurden in dem entscheidenden Zeitabschnitt Ende 1989 – Anfang 1991 in spektakulärer Weise, wie um öffentliche Warnzeichen zu setzen, ermordet, wobei erneut das Markenzeichen „RAF“ benutzt wurde, hinter dem hier noch deutlicher als bei früheren Mordaktionen geheimdienstliche Aktivitäten sich abzeichneten.

 

 

Die CDU/CSU unter Kohl war – zu dieser Analyse muß man im Rückblick unbedingt kommen – nicht in der Lage, und wahrscheinlich sogar in der Mehrheit nicht einmal willens, die entscheidenden Konfrontationen gerade in der Frage der Kernenergie und den anderen ökonomischen Fragen auszutragen. Sie versuchte, sie vor der deutschen Bevölkerung und der internationalen Öffentlichkeit konsequent unter der Decke zu halten, offenbar nach dem Grundsatz: das Schlimmste, was überhaupt passieren kann, wäre die Aufklärung und politische Mobilisierung der Bevölkerung in den entscheidenden Fragen. Jedes stillschweigende Arrangement, und sei es noch so demütigend, mit den Hauptmächten muß akzeptiert werden, wenn dadurch vermieden werden kann, daß demokratische und in der Perspektive revolutionäre Unruhe entsteht.

 

 

Das energiepolitische Programm der Bundesregierung vom Dez. 1991 enthält im Grunde bereits die Absage an die Kernenergie

 

 

An dieser Stelle muß das energiepolitische Programm der Kohl-Regierung genannt werden, das sie am 11. Dez. 1991, quasi als Ergebnis der mehrjährigen und sicher auch internationalen Auseinandersetzungen um die Kernenergie, veröffentlicht hat unter dem Titel:

 

„Das energiepolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung. Energiepolitik für das vereinte Deutschland“

 

Es enthält nicht nur die Totenscheine für Wiederaufbereitung, Schnellen Brüter und Hochtemperaturreaktor, deren Beendigungen von Landesregierungen, Gerichten und auch Betreiberfirmen seit 1988 nach und nach bereits erklärt worden waren, was die Bundesregierung hier ohne den geringsten Einspruch zu abgeschlossenen Fragen erklärt, es erklärt nicht nur auch die bedeutende kerntechnische Industrie der einstigen DDR zum Abwicklungsobjekt, sondern es behandelt auch die Zukunft der konventionellen noch weiterlaufenden Reaktoren im Grunde negativ. Es heißt hier, der Bau neuer Kernkraftwerke beruhe auf unternehmerischen Entscheidungen, mehrere Energieversorgungsunternehmen hätten jedoch erklärt, für ihre Entscheidungen über den Bau neuer Kernkraftwerke sei ein breiter energiepolitischer Konsens erforderlich, der gegenwärtig nicht vorhanden sei. Solche Sätze widerspiegeln die Stellung der Albrechtschen Regierung von 1979, die sich bemühte, den internationalen Druck und die eigene Schwäche und Komplizenschaft mit den USA hinter einer hochgespielten Anti-Kernenergie-Stimmung von Teilen der Bevölkerung zu verstecken. Sie widerspiegeln die grundsätzliche Orientierung auf die weitere industrielle Ausdünnung des Landes.

 

Diese hochpolitischen Schlüsselfragen für die gesamte Entwicklung des Landes in den Bereich unternehmerischer Entscheidungen zu verweisen, ist in neoliberale Phrasen gekleideter Nonsens. In Staaten wie USA und Großbritannien, in denen die neoliberale Propaganda seit langem herrscht, denken die Regierungen gleichwohl nicht im Traum daran, grundsätzliche Entscheidungen über die Atomenergie den Unternehmen zu überlassen. Einen solchen Blödsinn niedergeschrieben zu haben ist schon eine Sonderleistung einer abhängigen deutschen Regierung mit „Marktwirtschafts“-phrasen, das dient nur zur Maskierung der wirklichen Vorgänge.

 

Zum Schluß:

 

Allerdings läßt sich nicht alles auf alle Zeiten vertuschen, die Grundlinien treten doch hervor, und was die CDU/CSU unter Angela Merkel seit Ende 2005 an depressiver Ökopolitik bietet, zeigt erneut, welche Kräfte in diesen Parteien am Wirken sind. Hier wird konzentriert und festgeschrieben, was sich 1979 und 1988-1991, nicht umsonst bereits auch an der Frage der Kernenergie, als der dominierende Geist in diesen Parteien gezeigt hatte. Er verkörpert, in dieser Hinsicht kaum anders als die Grünen und die SPD, die Kapitalsstrategie der inländischen Liquidation oder zumindest die Anpassung daran, die essentielle Abhängigkeit von den USA, und nicht zuletzt die nihilistische Spießergesinnung, sich nur um das gegenwärtige Wohlergehen, aber nicht um die Zukunft des Landes zu kümmern oder jedenfalls den darum notwendigen harten Auseinandersetzungen unbedingt auszuweichen.

 

Diese Gesinnung ist in CSU und CSU bei einem beträchtlichen Teil ihrer Basis, wie auch überhaupt bei Teilen der Bevölkerung vorhanden; daß sie aber im Lande überhaupt ein derartiges Gewicht hat, ist gerade mit ein „Verdienst“ dieser Parteien selbst, man denke einmal an die Erhardsche Ideologie.

Die CDU war, nebenbei bemerkt,  eben nicht nur Heimat eines Fundamentalgrünen vom Typ Wurzelzwerg wie des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl, der 1978 austrat, um im Verein mit Pseudolinken von sog. K-Gruppen, Liberalen und auch Nazitraditionen verbundenen Vertretern die Grüne Partei zu gründen, sondern sie blieb es immer für solche Vertreter wie Eduard Pestel, der ein ganz anderes politisches Kaliber als Gruhl darstellt und den Ökologismus auf viel „moderner“ einherkommende Art pushte. Und ein Pestel hat reichlich ideologische Nachfolger in dieser Partei.

 

 

Jetzt macht sich auch wieder bemerkbar, wie die CDU bzw. auch die CDU/CSU trotz unterschiedlicher Herkunft, Klientel und Etiketten vieles an Grundsubstanz mit der SPD und den anderen offiziellen Parteien, von den Grünen über die FDP bis zur NPD teilen. Es sind nicht nur sämtlich Parteien, die ihre Existenz den ausländischen Mächten verdanken, die die Nachkriegsordnung Deutschlands geschaffen haben, namentlich den USA, sondern sie haben auch ihre Abhängigkeit seitdem nie abgeschüttelt. Sie haben zwar ihre grundlegenden Gebrechen – Gebrechen durchaus auch im bürgerlichen Sinn –  über die meisten Jahrzehnte der Bundesrepublik hinweg vor der Bevölkerung immer wieder kaschieren können, indem sie immer wieder die günstige Lage des Landes im internationalen Kräftespiel, die enormen produktiven Kräfte der eigenen Bevölkerung wie auch die Profite aus der internationalen Ausbeutung zum Betrieb eines „Sozialstaats“ nutzten, dessen Hauptzweck immer die Entpolitisierung und Entmündigung der arbeitenden Bevölkerung war. Jetzt aber, wo dessen Ende angesagt ist, wissen sie nicht mehr weiter. Wenn das kurzfristige Konjunkturgejubel abflaut, die Abzocke großer Teile der Bevölkerung noch weiter steigt und die Perspektivlosigkeit der Liquidationspolitik sich stärker offenbart, bleibt nur die Repression gegenüber der Bevölkerung übrig.

 

 

Juli 2005 – überarbeitet Ende 2006

Der Teil über die Liquidation der Hanauer Nuklearbetriebe wurde als IS2006-53 bereits veröffentlicht und hier nur geringfügig an bestimmten Stellen umformuliert.

 

 

[1] Albrecht war auf ausgesprochen ungewöhnlichem Weg zum Regierungschef geworden. Als die vorhergehende sozialliberale Regierung im Jahre 1976 einen Nachfolger für den SPD-Ministerpräsidenten Kubel wählen lassen wollte, stimmten einige ihrer Abgeordneten nicht für den SPD-Kandidaten Kasimier. Dasselbe widerfuhr dem Ersatzkandidaten Ravens. Schließlich bekam Albrecht drei Stimmen dieser sozialliberalen Mehrheit und wurde so zum Chef einer Minderheitsregierung der CDU gewählt. In der weiteren Entwicklung zog Albrecht die FDP in eine Regierungskoalition hinein, der nach weiteren Wahlen eine CDU-Alleinregierung ab 28.Juni 1978 folgte. Diese letztere Regierung fällte die Entscheidung vom Mai 1979 gegen den Bau der WAA in Niedersachsen.

[2] Pestel brachte später, 1977, das Buch „Das Deutschland-Modell“ heraus, als Hauptverantwortlicher zusammen mit anderen Autoren 1977 als Produkt eines eigenen sog. Prognosezentrums nach dem Vorbild des MIT-Instituts, das für den Club of Rome tätig war. Auch wenn er hier keine radikale Anti-Wachstumsprogrammatik für die nächste Zukunft Deutschlands und der globalen Ökonomie zu befürworten scheint, so sind doch die Grundgedanken auch dieses Buches, daß es gelingen muß, den Kapitalismus, die Lohnarbeit und die Abhängigkeit der aufbegehrenden großen armen Teile der Welt, zu retten. Pestels Leitbild sind in diesem Buch bestimmte seinerzeitige Ideen der großen internationalen, vor allem angelsächsischen Energiekonzerne, die sich bekanntlich nie für eine stärkere Entwicklung der Kernenergie und vor allem nicht für eine energiepolitische Emanzipation von Ländern wie der Bundesrepublik aus ihrem Netz der Energieversorgung erwärmen konnten, das gleichzeitig ein Netz der ökonomischen und politischen Druckmittel ist. Gleichzeitig waren der Club of Rome und ebenso Pestel politisch gewitzt genug, um nicht selber als direkte Anti-AKWler aufzutreten, das überließen sie einer irregeleiteten Linken.

 

[3] Die Münchmeyersche Bank war übrigens 1968 mit der Hamburger Bank „Schröder Gebrüder“ und dem Frankfurter Bankhaus Hengst fusioniert worden unter dem Namen „Schröder Münchmeyer Hengst“ (SMH). Ein interessanter Aspekt dabei ist die Hintergrund des Partners Schröder. Es handelte sich dabei um den Hamburger Zweig desjenigen  internationalen Bankennetzes, das unter dem Namen Schröder vor allem in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jh. von dem Familienclan Schröder in Zusammenarbeit mit höchsten Repräsentanten der Bank of England und herausragenden Exponenten der Wallstreet wie der Firma der Gebrüder Dulles (Sullivan & Cromwell) betrieben worden war (John Foster Dulles war später von 1953-59 Außenminister des USA in der Zeit des Kalten Krieges, Allan Dulles war der europäische Geheimdienstchef der USA in Europa während des zweiten Weltkrieges und später CIA-Chef). Ein Mitglied des Schröderschen Familienclans, Baron Kurt von Schröder, war als Inhaber der Kölner Bank J. H. Stein der Privatbankier Hitlers und Himmlers und spielte bei der Beschaffung der Mittel für die Nazi-Wahlkämpfe und den Unterhalt ihrer Terroreinheiten wie SA und SS eine große Rolle. In seinem Hause in Köln und in seiner Gegenwart hatte am 4.1. 1933 das Treffen von Hitler und Papen stattgefunden, bei dem die Intrige zum Sturz der Schleicher-Regierung und zur Installation Hitlers als Reichskanzler verabredet wurde, die dann am 30.1.33 zur Durchführung kam.

 

Nun wird niemand allein aufgrund einer Bankfusion im Jahre 1968 behaupten wollen, daß B. Breuel etwas mit der politischen Vergangenheit oder den Ansichten von Partnern ihres Vaters zu tun gehabt habe. Jedoch gibt der Name Schröder, ähnlich wie der IG-Farben-Hintergrund Kieps, Hinweise auf ein bestimmtes Hamburger großkapitalistisches Milieu, das in der Vergangenheit mit dem verbrecherischen Naziregime und seiner Unterstützung durch Kräfte des US-Imperialismus unleugbar besonders verbunden gewesen ist. Wahrscheinlich harrt auf diesem Gebiet noch Einiges der Aufdeckung.

 

[4] Wallmann und Weimar verschwanden bald nach den hier geschilderten Vorgängen mit der verlorenen Landtagswahl 1991 in der politischen Versenkung. Von einer weiteren Karriere Wallmanns ist nichts bekannt. Weimar wurde erst 1999 sozusagen reaktiviert, indem er von Roland Koch wieder in ein Regierungsamt berufen wurde, als Finanzminister.

Klaus Töpfer, der noch einige Jahre als Bundesumweltminister tätig war, bis er von Angela Merkel in dieser Funktion beerbt wurde, wurde dann zu hohen internationalen Funktionen in der UN-Umweltbürokratie berufen.

[5] Möglicherweise hatten Kassing und Fischer zusammengespielt. Während Kassing Weimar und Wallmann mit Andeutungen  über mögliche Verletzungen des Atomwaffensperrvertrags spickte, die diese wohl nicht aus dem Stand beurteilen oder gar dementieren konnten, übernahm Fischer im Umweltausschuß des hessischen Landtags die Frage an Wallmann, ob es dergleichen Verdachtsmomente gebe. Hätte Wallmann mit Nein geantwortet, wären möglicherweise sofort gegenteilige „Enthüllungen“ öffentlich aufgefahren worden, durch Kassing und Fischer selbst oder aber durch andere. Dadurch aber, daß Wallmann  Fischers Frage bejahte, gab er der öffentlichen erzeugten Hysterie Auftrieb. Kassing machte sich einige Tage später demonstrativ über Wallmann lustig, der wohl ‚in schwieriger Lage zu Panik neige’ – seitens eines Journalisten, der gezielt an Wallmann herangetreten war, offenbar um bei diesem vage Besorgnisse zu erzeugen und ihn im Grunde für die Anti-AKW-Kampagne zu instrumentalisieren, eine ziemlich spitze Bemerkung.

 

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