Joachim Müller-Jung befasst sich in der FAZ vom 4.12.15 mit dem soeben beendeten „Weltgipfel der Gentechnik“, dem „International Summit on Human Gene Editing“ in Washington.
Anscheinend hat dort eine Art Leistungsschau derjenigen Wissenschaftler stattgefunden, die Techniken präziser Eingriffe in das menschliche Genmaterial entwickeln.
Diese Techniken haben in den letzten Jahren, den Angaben Müller-Jungs zufolge, große Fortschritte gemacht. Man ist offenbar dabei, die genetischen Grundlagen für bestimmte menschliche Konstitutionen in den Griff zu bekommen. Man hofft bspw. Krankheiten künftig ausschließen zu können, die im Genmaterial wurzeln. Man geht aber auch an andere Merkmale des menschlichen Individuums heran und macht sich anheischig, besonders leistungsfähige, besonders intelligente Menschen genetisch produzieren zu können.
Wenn ich das recht verstehe, sind hier Potentiale zu radikalen Veränderungen der menschlichen Gesellschaft in der Entwicklung, und darum geht es letztlich. Nicht der medizinisch-helfende Aspekt, der oft öffentlich hervorgehoben wird (Vermeidung von Gendefekten bei Babys, heilende Eingriffe in das Genmaterial Kranker etc.) ist mE der Hauptaspekt, der hier diskutiert werden sollte, sondern es sind die Aussichten, die sich dem Kapitalismus eröffnen, der auf die Verfestigung der Klassenunterschiede in der Gesellschaft aus ist .
Wenn es gesellschaftlich akzeptiert wird, dass künftig Menschen von vornherein sozusagen mit Merkmalen in ihrer Hardware „produziert“ werden, die sie für das Oben oder das Unten in der Gesellschaft prädestinieren (und natürlich auch für mittlere Positionen und für unterschiedlichste gesellschaftliche Aufgaben, die der Kapitalismus benötigt), dann – so die kapitalistischen Hoffnungen – können Ausbeutung und Ausbeuterherrschaft künftig viel schwerer herausgefordert werden.
Man wird nicht mehr Proletarier und andere potentiell revolutionäre Menschenmassen in der Gesellschaft quasi unvermeidlich und naturwüchsig heranwachsen sehen müssen, sondern man wird die unangenehmeren Seiten des gesellschaftlichen Lebens von gentechnisch präparierten Lebewesen erledigen lassen, die z.B. mangels Intelligenz nicht mehr in der Lage sein werden, gesellschaftliche Widersprüche adäquat zu empfinden und sich den notwendigen Kämpfen zu stellen.
Ein kapitalistisches Ideal unter anderen, der als Killer produzierte Mensch, dem es Vergnügen oder jedenfalls keinerlei mentale Probleme macht, andere auf Befehl irgendwelcher Bosse des Kapitalismus bzw. kapitalistischer staatlicher Mächte zu töten, rückt hier gleichfalls der Serienproduktion näher.
Solch „Ideale“ von Ideologen der Ausbeutergesellschaft sind ja nicht neu, sie werden, seitdem es den modernen Kapitalismus gibt, in literarischen, filmischen, game-mäßigen Formen ausgemalt und stehen längst zur Diskussion. Aldous Huxley bspw. hat das in „Brave New World“ bereits vor vielen Jahrzehnten getan. Er konnte die Gentechnik noch nicht voraussehen und hat sich Techniken der Züchtung von A-, B-, C- etc. Menschen erdacht, die heute wissenschaftlich wohl kaum ernsthaft erwogen würden; dafür hat man inzwischen ganz reale praktikable Methoden entwickelt. Aber die biologisch verfestigte Klassengesellschaft hat er vorgezeichnet. Ein wichtiges zusätzliches Element sah er in der Verabreichung von Wohlfühldrogen, die die Sensibilität für gesellschaftliche Widersprüche sedieren würden.
Was es alles schon an Filmen (unter den Genres wie Sci-fiction, Fantasy etc.) mittlerweile gegeben hat, die derartige Gesellschaften in leuchtenden oder auch grauenerregenden Farben ausmalen und jedenfalls das gesellschaftliche Bewusstsein zur Akzeptanz solcher künftig angedachter Veränderungen zu präformieren suchen!
Auch auf anderen wissenschaftlich-technischen Gebieten sind derartige Bestrebungen längst im Gange, die auf Verfestigungen radikaler Unterschiede unter den Gliedern der Gesellschaft zielen, d.h. auf die Verfestigung von Ungleichheiten und Ausbeutung. Was z.B. im Google-Konzern vorangetrieben wird, kann man durchaus zum Vergleich heranziehen. Google arbeitet u.a. an Techniken der hardware-mäßigen Vernetzung menschlicher Gehirne mit Steuerungscomputern, bspw. durch Implantate im menschlichen Gehirn, die angeblich der Erhöhung der Intelligenz dienen sollen – und auch tatsächlich der Erhöhung bestimmter Spielarten von Intelligenz dienen werden, aber vor allem der umfassenden, auch der emotionalen Verhaltenssteuerung, und durch wen? Durch die Walter des Gemeinwohls (Ironie aus).
Man sollte die Diskussion aller dieser wissenschaftlich-technischen Potentiale vor allem unter dem Gesichtspunkt führen, dass sie im Kapitalismus und für den Kapitalismus entwickelt werden (sonst gäb es kein Geld für die Forschungen), und welche Perspektiven sie für die künftigen Gesellschaftsstrukturen eröffnen. In diesem Sinne wird die Entwicklung der Techniken sowohl in China wie auch in den USA vorangetrieben, und naturgemäß auch in einer kapitalistischen EU.
Billig sind solche „Erklärungen“, wie z.B. in einer Leserzuschrift zu Müller-Jungs Artikel, dass die Chinesen das ja sowieso und jedenfalls machen würden und „den Westen“ schon aus Konkurrenzgründen nichts übrigbleiben werde, als die „Optimierungen“ des Menschen gleichfalls voranzutreiben. Ich bin zwar geneigt, den chinesischen Machthabern auch auf diesem Gebiet jede Kaltschnäuzigkeit und Barbarei zu unterstellen, aber „unserem Westen“ nicht minder, und wenn es kein China zur Entschuldigung gäbe, würde er es aus eigenem Antrieb ganz ähnlich machen – vielleicht mit mehr humanitärer Propaganda verkleidet, die ja anscheinend hier noch immer teilweise zieht. Wenn man aber den Anspruch wirklich aufrechterhalten will, für eine humanere Gesellschaft einzutreten, kommt man um die Analyse der Klassengesellschaft, der Ziele und Methoden der herrschenden Klassen nicht herum.
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