Worin bestehen eigentlich die prinzipiellen Unterschiede zwischen einem IS und ähnlichen Killerorganisationen, und den USA-Regierungen?

Darin, dass man terroristisch Massen unbeteiligter friedlicher Menschen umbringt, um radikale Vorstellungen von Ausbeutung und Weltherrschaft zu befriedigen? Dass man fundamentalistische Dogmen als Rechtfertigung herumposaunt?

Wohl in der Größenordnung und Systematik, aber nicht im Prinzip. Wenn es  eineinhalb Millionen Menschen sind, die seit 1991 durch direkte militärische Gewalt der USA und ihrer Verbündeten, durch die Zerstörung von Infrastruktur im Irak und anderswo ums Leben gekommen sind, dann können Al-Qaida, der IS und ähnliche Marodeure sicher kaum mithalten.

Das Buch des arabischen Journalisten Aktham Suliman („Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht.“ Nomen-Verlag Ffm. 2017) rekapituliert die Geschichte der Kriege der USA und Verbündeter aus dem „freien Westen“ im Irak, in Syrien,  im Raum zwischen Libyen und Afghanistan seit 1991.

Suliman vermeidet es, sich geostrategisch-analytisch tiefgehend zu engagieren. Er spricht eher von ökonomischen Interessen, von Energiepolitik etc., („Krieg um Öl“), wenn von den übergeordneten Zielen der USA und ihrer Verbündeten die Rede ist, in einer auch von vielen anderen Autoren bevorzugten, leider  etwas oberflächlichen Weise. Dass es den USA seit 1991 um die Durchsetzung und Anerkennung als weltweit unanfechtbarer Militärtyrann gegangen ist, kommt aber immerhin am Rande zur Sprache. Auch dass mittlerweile die Kräfteverhältnisse sich in dieser Hinsicht für die USA ungünstig entwickeln aufgrund der zunehmenden Rivalität mit China und wegen der nicht recht einzupassenden Rolle Russlands – auch aufgrund des eigenen gesellschaftlichen Verfalls und Kräfteverlusts der USA, möchte ich hinzufügen -, das  deutet er am Ende immerhin an.

Aber in der Kritik an der durch und durch verlogenen und verdorbenen Rechtfertigungs-Maschine, den Propagandalügen der Regierungen und der mit ihnen kollaborierenden Medien bringt Suliman viele wertvolle Beispiele und Rückblicke.

Eine starke Seite des Buches liegt in der Nachzeichnung der Zerstörungen in den Mentalitäten der betroffenen Länder. Vorstellungen wie arabischer Nationalismus, linke, sozialismusnähere Ideen, bürgerlich-kapitalistischer Liberalismus wurden lt. Suliman durch die jüngste Geschichte weitgehend diskreditiert und durch die Neubelebung islamischer und islamistischer Orientierungen bei vielen Menschen verdrängt. Von arabischer Einheit bspw. spricht lt. Suliman niemand mehr, nachdem die USA gezeigt haben, wie die verschiedenen arabischen Staaten sich immer wieder gegeneinander ausspielen lassen, ob das Ägypten und Syrien gegen den Irak  oder die Golfstaaten gegen Syrien sind.

Unter der Fuchtel von militärischen und gesellschaftlichen Katastrophen erscheint der Islam, lt. Suliman, vielen Menschen, anders als in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, und in einer Art von Rückwärtswendung, eher als das Eigene, Verlässlichere. Er findet, auch als kultureller Modus vermeintlicher Selbstbehauptung, gegen den brutalen kolonisierenden Westen wieder Zuspruch.

Wenn der Islam sein Haupt wieder erhebt und von den westlichen Propagandisten zu weiteren Rechtfertigungen gewalttätiger Abgrenzungen genutzt wird, dann ist es ein Islam, den so der Westen selbst provoziert hat und weiter provoziert.

Es gibt bei Suliman keine politischen Empfehlungen für Wege aus der heutigen Lage.

Man sollte sich Gedanken machen über praktische menschliche Solidarität und sie praktizieren, wie dies viele Mitbürger insbesondere seit dem Flüchtlingsstrom 2015  getan haben und tun. Man sollte auch die auseinanderdriftenden Interessen der verschiedenen kapitalistischen Blöcke genau analysieren. Die USA haben ihre Kriege im betroffenen Raum vor allem zwecks Gewinnung strategischer Positionen im eurasischen Raum geführt und tun das noch weiterhin. Die engere Einkreisung Russlands mit Militärstützpunkten von Europa bis nach Afghanistan gehörte zu den erkennbaren strategischen Zielen; aber damit ist die Frage schon seit langem nicht erschöpft. Es geht längerfristig um das im Vergleich zu Russland längerfristig viel stärkere China und dessen Ambitionen, die Vorherrschaft der USA über den eurasischen Raum abzulösen. Die Interessen Europas unterscheiden sich hier sehr deutlich von denen der USA, aber auch von denen Chinas und in gewissem Umfang auch von denen Russlands. Mit solchen Verwüstungen jedenfalls, wie die USA sie in der unmittelbaren südöstlichen Nachbarschaft Europas anrichten, kann Europa nicht mehr leben. Die europäischen Staaten müssen hier versuchen, konstruktivere Rollen zu spielen. Angesichts ihrer eigenen kapitalistischen Ausbeutungsinteressen, die plastisch hervortreten z.B. in Fortsetzungsformen der früheren Kolonialpolitik Großbritanniens und Frankreichs, ist das keine unkomplizierte politische  Situation.

Sehr wichtig sind auch die kulturellen Fragen, bspw. wie man in Medien, Kultur und Alltag mit Fragen der islamischen Kultur und Mentalität umgeht. Angesichts der üblen imperialistischen Vergangenheit auch der europäischen herrschenden Klassen gegenüber den vorwiegend vom Islam geprägten Völkern des Vorderen und Zentralen Orients sind hier vor allem erst einmal Zurückhaltung und Sensibilität gefragt. Wie jede Kultur und Religion hat die islamische ihre konkreten Wurzeln in bestimmten Lebensverhältnissen, über die die Menschen selbst keine oder wenig Kontrolle gehabt haben und noch haben. Man kann die Menschen außer in individuellen Fällen nicht verantwortlich machen für Rückständiges – dessen es im übrigen auch in Europa noch mehr als genug gibt -, sondern muss sich auch selbst reflektieren, wenn man das Rückständige bei anderen kritisiert.

 

 

 

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