Erneut zum Thema Ukraine – gegen die Spaltung Europas!

 

Es gehe um die Abwehr russischer Expansionsgelüste in die Ukraine sowie gegenüber Polen und den baltischen Staaten, heißt es jetzt allenthalben in den Medien, und daher müsse Europa unter dem Dach der NATO militärische „Speerspitzen“ gegen Russland aufbauen. Die Frontstellung Europas gegenüber Russland, wie sie angeblich in Zeiten des  Kalten Krieges bestanden habe, müsse wiederhergestellt werden, etc. Manche wollen direkt Waffen in die Ukraine liefern, dort Manöver abhalten, das US-Raketenabwehrsystem in Rumänien offiziell gegen Russland in Stellung bringen usf.

Diese Propaganda führt in die Irre.

Nicht falsch ist es zwar, auf expansionistische, militärisch-aggressive Tendenzen in Russlands Politik hinzuweisen und sich politisch und auch militärisch demgegenüber einzurichten, doch muß man auch weitergehend fragen: Wie soll das geschehen? Wer ist gefordert? Was ist der Stellenwert der Russland-Politik im gesamten internationalen Zusammenhang?

So wie die Dinge jetzt in der mainstream-Propaganda gedreht werden, handelt es sich nicht wirklich um die Abwehr Russlands, sondern um erneute Bemühungen zur Spaltung, zur politischen und wirtschaftlichen Schwächung Europas. Der Kampf gegen die politische und wirtschaftliche Selbstbehauptung Europas, der in der sog. Finanzkrise sehr deutlich geworden ist und an dem erhebliche Kräfte in Europa selbst beteiligt sind, wird hier wie auch an anderen Fronten fortgesetzt.

Ein kurzer Rückblick:

Was hat man eigentlich von Russland erwartet, als das Janukowitsch-Regime in Kiew im Februar davongejagt und allem Russischen in der Ukraine eine höchst unfreundliche Visage gezeigt wurde? Als man einen neuen ukrainischen Staat postulierte, für den viele Voraussetzungen gar nicht gegeben sind, weder eine geschichtliche kulturelle Tradition noch die erforderliche Homogenität im politischen Willen der Bevölkerung? Jedem politisch Denkenden mußte doch klar sein, daß mit dem Quasi-Hinauswurf Russlands aus der Ukraine die geostrategische Marginalisierung Russlands angesagt wurde, die Putin keinesfalls hinnehmen konnte.

Bei Russlands Einfluß in der Ukraine und darüber hinaus im gesamten Schwarzmeergebiet, der historisch vielfältig verwurzelt ist (z.B. im Donbass, aber auch in der Krim, in Odessa) und mitnichten bloß negative Züge trägt, geht es für Russland um mehrere Zukunftsfragen. Es geht um Russlands teilweise europäischen Charakter, ein wichtiges Pfund für seine eigene Entwicklung und auch für die Europas; es geht auch um Russlands Rolle in der Entwicklung der Beziehungen im gesamten eurasischen Raum, bspw. um die Entwicklung der Handelswege zwischen China und Europa unabhängig von den USA, um die Rohstoffe Zentralasiens usw. usf. Ich habe im meinem Beitrag vom März 2014 diese Fragen angeschnitten und verweise darauf.

Daß Putin mit der Annexion der Krim antworten würde, war unmittelbar klar, und in dem einen oder anderen Kommentar hieß es daher damals, die sei schon „eingepreist“ in der Politik der deutschen Regierung. Daß er außerdem in der Ost-Ukraine und anderswo jedes Zipfelchen Einfluß zu stärken und auszubauen versuchen mußte, war doch auch logisch. Unterstützung von Separatisten, Waffenlieferungen, Einschleusung von eigenem Militär usf. – alles die tpyischen Maßnahmen, wie sie „der Westen“ schon hundertmal praktiziert hat, s. zuletzt z.B. die Zerstückelung Rest-Jugoslawiens ab 1999 – was sollen denn hier solche naivtuenden Propagandaformeln wie „wir verstehen Putin nicht mehr“?

 

Die europäischen Staaten müssen mit den geostrategischen Verschiebungen klar kommen, die im Gang sind und in den kommenden Jahren noch eine ganz andere Wucht entfalten werden als bisher. China ist nicht nur als gewichtigstes internationales kapitalistisches Zentrum, sondern auch als neoimperiale Macht im Aufstieg, die USA verlieren vielfach die internationale oberste Kontrolle, die sie sich jahrzehntelang angemaßt haben, Russland ist ein Koloß auf tönernen Füßen, dessen innere Unterentwicklung, Chaotik und Vergangsterung mit seiner geographischen Ausdehnung und seiner ihm von daher zuwachsenden Mittlerrolle im gesamten eurasischen Raum sich nicht vertragen, und die europäischen Staaten müssen sich viel stärker als bisher zusammenschließen, um zu verhindern, daß sie vereinzelt, gegeneinander ausgespielt und in die Zweitklassigkeit hinabgedrückt werden.

In dieser Situation wird mit den Entwurf einer neuen angeblich gegen Russlands Expansionismus gerichteten Militärpolitik Europas unter Führung der USA massiv die Spaltung Europas betrieben. Es kann nicht das europäische Interesse sein, mit einschneidenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland die eigene Ökonomie noch weiter ins Minus zu schicken und mit der verstärkten Auslieferung der militärischen Kompetenzen an die politische Führung durch die USA sich von deren Interessen erneut abhängig und noch abhängiger als bisher zu machen. Während hier die Wirtschaftssanktionen teilweise anscheinend ernsthaft in Angriff genommen werden, stellen sich in Washington D.C. nicht ganz unbedeutende politische Persönlichkeiten wie der Ex-Senator Trent Lott, früher langjähriger Chef der republikanischen Senats-Mehrheitsfraktion, Putin als Lobbyisten zur Verfügung, um die Sanktionen der USA zu unterlaufen. Wobei für die USA Wirtschaftssanktionen gegen Russland ohnehin nicht das Gewicht haben wie sie es bspw. für Deutschland haben.

In Europa gehen die politischen Ansätze gegenüber Russland und auch die militärpolitischen Ansätze auseinander. Regierungen wie die britische (ohnehin mit einer schon immer höchst problematischen Einstellung zur europäischen Einheit), die polnische, die dänische, die Regierungen der baltischen Staaten und auch die Niederlande möchten ganz schnell eine ganz schnelle Eingreiftruppe gegen Russland aufstellen und bekommen dafür natürlich Beistandszusagen  von den USA, die außerdem anscheinend noch auf eigene Faust ihre Kontingente in Europa aufstocken wollen. Wie verhalten sich solche Vorhaben eigentlich in der NATO, wenn die anderen NATO-Mitglieder wie Deutschland oder Frankreich nicht dafür sind und nicht mitmachen wollen? Was wird aus der angestrebten eigenen Außen- und Sicherheitspolitik der EU? Sind mit diesen Vorhaben die EU und sogar die NATO, insofern sie auf Kompromissen zwischen den europäischen und den US-Interessen beruhte, bereits gesprengt?

Solche Propagandaparolen können in der Tat auch deswegen verfangen, weil die eigenen militärischen Fähigkeiten der wichtigsten europäischen Staaten völlig unterentwickelt sind. Es stimmt sogar in einem gewissen Umfang der Vorwurf, daß bspw. Deutschland sich jahrzehntelang auf die militärischen Fähigkeiten der USA verlassen und davon regelrecht parasitiert hat, wie überhaupt von der bisherigen hauptsächlich von den USA bestimmten „Weltordnung“. Es stimmt auch, daß in dem zunehmend unruhiger werdenden internationalen Gefüge Europa nicht auf militärische Fähigkeiten verzichten kann. Die russische Bedrohung, wenn sie denn außerhalb der Ukraine überhaupt derzeit ernsthaft bestehen sollte, ist allerdings nur ein kleiner Teil der heraufziehenden Kriegsgefahren. Es gibt mehrere andere potentielle Fronten, die wichtiger werden könnten als die Ukraine-Frage.

 

Die politische Richtung, die angesichts dieser Probleme überlegt werden muß, ist nicht ein übertriebenes In-Frontstellung-Gehen gegenüber Russland, während die US-Regierung und Putin ihre Spezialbeziehungen unterhalten und beide auf Kosten Europas Gewinne machen. Sie besteht auch nicht in einer Verstärkung der militärischen Abhängigkeit von den USA, sondern in deren Verminderung durch die Entwicklung eigener Fähigkeiten. Diese wird zweifellos große Anstrengungen und Belastungen mit sich bringen, die der faulen und spießigen Mentalität zuwiderlaufen, die insbesondere in Deutschland jahrzehntelang in der Bevölkerung regelrecht gezüchtet wurde seitens der herrschenden Cliquen und der Medien.

 

Die internationale Stellung Europas bringt es mit sich, daß es das Ziel aller möglichen imperialistischen Bestrebungen auf der Welt ist, abgesehen von gewissen eigenen imperialistischen Traditionen und Neigungen, für die allerdings zunehmend die materiellen Grundlagen fehlen und die weiter zurückgeschraubt werden müssen. Jahrzehntelang war Europa zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion geteilt. Heute versuchen die USA von ihrer verbliebenen imperialistischen Stellung in Europa zu halten was zu halten ist, während von Seiten Chinas es sich schon abzeichnet, daß Europa als Ausquetschungsobjekt ins Visier genommen wird – nachdem das deutsche Kapital in der Phase des weltmarkt-industriellen Aufstiegs Chinas die chinesischen Arbeiter vielmillionenfach ausgequetscht hat. Russland in seiner heutigen miserablen Verfassung hätte gegenüber Europa kaum Chancen auf imperialistische Abenteuer, wäre aber andererseits immerhin dafür gut, in Allianzen mit den USA und/oder China feindselige Positionen einzunehmen. Solche Wendungen müßte eine europäische Politik mit einigermaßen verständnisvoller und kooperativer Haltung gegenüber Russlands besonderen Schwierigkeiten kontern können, insbesondere gegenüber den Problemen, die Russland durch seine enorme Erniedrigung durch den Westen im Zuge der Jelzinschen und Putinschen Phase durchleben muß. Ohne die Entwicklung eigener militärischer Selbstbehauptungskräfte zu vergessen.

Auf der anderen Seite wäre es verkehrt, dominant eine quasi „eurasische“ Orientierung zu verfolgen, d.h. Europa in einem Block mit China und Russland in eine weitgehend die USA aussperrende und verteufelnde Position zu manövrieren. Die Barbarei einer kommenden chinesischen bzw. chinesisch-russischen Oberhoheit in diesem Doppelkontinent ließe wahrscheinlich nichts zu wünschen übrig. Maßnahmen wie ein Transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen Europa, den USA und Kanada sind im Prinzip nicht abzulehnen. Die europäische und die nordamerikanische Gesellschaft sind trotz aller imperialistischen Verbrechen die kulturell noch immer überlegenen und kreativeren Gesellschaften im Weltmaßstab, ihre enge Verbindung ist wertvoll.

 

Die Zerstückelung der Ukraine ist mittlerweile durch Russlands Separatisten-Programm schon teilweise vollzogen, beruht aber auch auf dem praktischen Nicht-Vorhandensein von so etwas wie ukrainischer Regierung, ukrainischem Militär, auch auf bodenloser oligarchischer Korruption und nicht selten von den USA angeheizter Fantastik von nicht wenigen ukrainischen Politikern (selbst ein fast bedingungslos “transatlantischer” Kommentator wie Frankenberger in der „FAZ“ mußte vor kurzem Kopfschütteln erkennen lassen angesichts der Absicht des ukrainischen „Regierungschefs“ Jazenjuk, eine Mauer von über 2000 km gegenüber Russland zu errichten. Die Reportagen von Konrad Schuller aus der Ukraine sind demgegenüber sehr lesenswert. — Ergänzung 06.09.: Er hebt bspw. immer wieder aufgrund der Äußerungen seiner Gesprächspartner hervor, daß der Kampf gegen die Separatisten im Osten im wesentlichen von Freiwilligen getragen wird, die unzulänglich bewaffnet sind und von der offiziellen Armee zu wenig unterstützt werden. Man muß sich ja auch fragen, wieso eine ukrainische Armee, die nominell Hunderttausende Soldaten mit jeder Menge schwerer Waffen zählt, über Monate nicht in der Lage ist, mit ein paar tausende Separatisten einschl. inoffizieller russischer Soldaten fertig zu werden ).

Demgegenüber bleibt den europäischen Staaten wohl derzeit nicht viel übrig als von den mittlerweile geschaffenen Fakten auszugehen und im weiteren zu versuchen, mit Russland und brauchbaren Partnern in der Ukraine zusammen Impulse gegen die ökonomische Misere und die uferlose Korruption, gegen die Nichtexistenz irgendwelcher verläßlicher Strukturen zu entwickeln. Diese Politik müßte so konzipiert werden, daß sie sich auch in die russische Gesellschaft hinein positiv auswirkt. Eine Politik der „Speerspitzen“, der NATO-Manöver in der Ukraine usf. unter Führung der USA und mit solchen zweifelhaften Europäern wie Tusk (Polen) und Großbritannien wird jedenfalls an der Abtrennung der Ost-Ukraine nichts ändern, aber die Entwicklung einer einheitlichen und tragfähigen Politik Europas gegenüber Russland und der Ukraine durchkreuzen.

 

 

 

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