Zu den Friedensdemonstrationen in Deutschland 2025

Für den 3.10. sind Demonstrationen in Stuttgart und Berlin angesagt. „Ja zu Frieden und Abrüstung“ heißt es im Aufruf.

Freunde von mir fahren zu den Demos, ich nicht. Ich ertrage die abgestandenen Phrasen des Aufrufs und seiner Initiatoren nicht mehr.

Was haben denn Worte wie „Völkerrecht“ „Atomwaffenverbot“ „Entspannung“ mit der heutigen Art und Weise, wie wir global regiert werden, zu tun? Und will man ernsthaft daran glauben, dass Bekundungen des Friedenswillens durch Teile der Bevölkerung daran etwas ändern?

Wenn ich von Illusionismus spreche, sagen meine Freunde: ja, mag sein, aber bei der Demo trifft man viele gute Leute und es geht darum, öffentliche Zeichen im Sinne der friedlichen Mehrheit der Bevölkerung zu setzen …. und ich sage dann: ok, das sind Gründe teilzunehmen, aber denkt selber politisch etwas gründlicher.

Der Aufruf klingt so, als wolle man die führenden Kreise weltweit bitten oder schubsen: verzichtet  auf Rüstungen, Kriege und Aufhetzung von Menschenmassen gegen Menschenmassen oder schaltet wenigstens einen, zwei Gänge runter!

Mein Einwand: der heutige globale Kapitalismus existiert in  Rivalität und Krieg, er kann nur dadurch sich  an seinem verkorksten Leben erhalten. Das unterscheidet sich in den USA, in Russland, in Europa nicht und in der Grundtendenz muss man auch China nennen. Die Oligarchen in Ost und West können auf Kriege  und gigantische Rüstungen nicht verzichten und nutzen Krieg zunehmend auch, um die Kontrollen über die eigenen Bevölkerungen zu schärfen. Die neue „Multipolarität“ ist nicht friedlicher, sondern brutaler.

Nichts ist illusorischer als von der herrschenden ökonomischen und sozialen „Ordnung“ Frieden einzufordern. Sie präsentiert sich uns seit mehr als hundert Jahren durch zwei Weltkriege und eine permanente, ansteigende Welle von Kriegen unterschiedlichster Orte, Ausdehnungen und Auswirkungen. Wie soll das weltweite Ausbeutungs- und Vergewaltigungssystem dazu gebracht werden, sich in die Gegenrichtung zu entwickeln?

Die politische Konzeption hinter dem Aufruf  zum 3. Oktober reagiert auf die Gefahr, die man nunmehr am eigenen Leibe spürt. Früher war Krieg ja woanders. Aber diese Reaktion ist ängstlich-konservativ. Sie stellt das System, das Krieg ohne Ende produziert, nicht in Frage. Sie ist kein selbständiges Moment, sondern ein Anhängsel an die Kriegspolitik.

Wir leben in einem globalen Ausbeutungssystem, das mittlerweile auf Grund seiner Entwicklungsgesetze auch auf relativ reiche Länder wie die europäischen zurückschlägt. Seine Führungsschichten, vor allem in den USA, aber auch in Europa waren in den 70 Jahren nach dem zweiten Weltkrieg die Hauptquelle und Hauptprofiteure der internationalen Wirtschaft und des weltweiten Kriegstreibens; sie wiegten ihre eigenen Bevölkerungen in einem Lebensgefühl von relativer Friedlichkeit und sozialer Absicherung. Heute haben sich durch den Aufstieg des kapitalistisch gewordenen China neue konkurrierende Zentren des Reichtums und der Militärmacht gebildet. Globale Rivalität nimmt neue Formen an. Nun schlägt das globale kapitalistische System auf bisher privilegierte Bevölkerungen, namentlich in Europa, massiv zurück.  Deutschland ist als ein künftiger militärischer Brennpunkt globaler Rivalitäten schon markiert. Ökonomisch und sozial befindet es sich bereits in der Abwicklung, Europa als Ganzes wird immer unfriedlicher und gleitet in die soziale Zerstörung ab.

Will man mit solchen Demonstrationen wie jetzt die Oberen dazu bringen, Kriege anderswo zu führen, bloß nicht im eigenen europäischen Umfeld? Will man um einen „Frieden“ in Europa betteln, der mit der Verlagerung der Kriege anderswohin einher ginge? Will man die Wohlstands-“Ordnung“ erhalten, indem man die Herrschenden mahnt: unser „Wohlstand“ ist auch der Eure? Will man übersehen, wie manche Oligarchen mittlerweile das Versteckspielen sein lassen und erklären:  eure Forderungen gefährden unseren Wohlstand, also weg mit euch, es kommen Zeiten der Bevölkerungsreduzierung. Das ist die innere Stimme des Systems, nicht die von Außenseitern, und heute wird der ganz große Profit noch mehr als früher durch Menschenvernichtung gemacht.

Nein, antwortet man mir, wenn ich so frage: ‚Nein, wir sind nicht konservativ, das wollen wir nicht, wir wollen durch weltweite Friedensbewegungen den globalen Frieden und eine besseres Leben für alle erzwingen!‘

Manche Leute, denen ich und andere ähnlich argumentierend gegenübertreten, pflegen zu sagen:

„Ja, du hast ja Recht oder wenigstens etwas Recht, aber was bleibt uns denn anderes übrig, als mit großen Demos uns und dem Volk die Möglichkeit zu geben, den Friedenswillen auszudrücken. Vielleicht bewirkt das tatsächlich erst einmal nicht viel, aber daraus kann sich doch was entwickeln und Leute wie Du können ja diese Bewegung nutzen, Eure weitergehenden Ansichten zu propagieren“.

Manchmal frage ich mich, ob ich nicht einfach aufhören sollte, Illusionisten die Realität zu veranschaulichen. Illusionisten hat es kaum je bewegt, wenn weniger illusionistische Leute sie auf die Windigkeit ihrer Illusionen hingewiesen haben, denn sie sind existentiell auf Illusionen angewiesen.

Wenn Don Qichotte den Aufklärungsversuchen Sanchos: ‚das sind Windmühlen, und Dulcinea ist keine feine Dame, sondern eine Bauersfrau mit Mist an den Sohlen ‘ nachgegeben hätte,  hätte er sich gleich einen Platz auf dem Friedhof suchen können und die ganze tolle Geschichte wäre nicht zustande gekommen. Als er am Ende, Dutzende Male verprügelt, beginnt, seine Welt realistischer zu sehen, bricht er innerlich zusammen und muss sterben.

Die Illusionisten von heute sind diejenigen, die nicht bereit sind, die Fundamentalien des Systems  von Grund auf zu überprüfen. Nachhaltig‘ steht heute auf jedem popligen Konsumgut, aber nachhaltig wären nicht nur Bio-Landwirtschaft und saubere Energie, sondern in viel umfassenderem Sinne Humanität: human in allen ökonomischen-sozialen-politischen Beziehungen, die Ausnutzung von Menschen durch Menschen nach und nach beendend. Das ist etwas ganz Anderes als die Herrschenden zum Frieden zu mahnen, das Herrschaftssystem selber aber  freundlicherweise auszuklammern.

Man macht einen Bogen um die Frage, wie das heutige weltweite System überwunden werden kann und was es an Neuem zu entwickeln gilt. Dieses System ist zum Untergang verurteilt. Es muss nicht nur permanent schießen, bomben und töten, sondern unterwirft auch die Menschen in Zonen, die zeitweise vom Krieg verschont werden, radikaler digitaler und militärischer Kontrolle, einer umfassenden Steuerung und Entmenschlichung. Aber die Rechnung, Menschenwürde und menschliche Intelligenz könnten im 21. Jahrhundert endlich dermaßen heruntergewirtschaftet werden, dass die Oligarchen-Herrschaft zur Ewigkeit würde, geht nicht auf.  Was also entwickelt sich an ihrer Stelle, wie kann das Neue sich geschichtlich durchsetzen?

Man kann es sich leicht machen und ein derartiges System um ein bisschen Frieden in Europa bitten; man kann aber auch beginnen, sich auf solche weitergehenden Fragen einzulassen.

Unsere derzeitige Noch-Wohlstands-Ordnung besteht wesentlich darin, das menschliche Interesse am Erwerb von  politischem Durchblick und Selbstorganisation gar nicht erst virulent werden zu lassen. Das herrschende Bildungssystem, die Mark und Bein durchdringende mediale Bearbeitung durch die Herrschenden blockieren eher die Entwicklung solcher Fähigkeiten bei den meisten Mitbürgern. Man darf immerhin (und bis auf weiteres noch) Mitleid mit denen haben, denen es nicht so gut geht, und sich ein paar Sorgen machen wegen Gefahren, die man unmittelbar für das eigene Leben erkennen kann – aber man sollte besser nicht tiefergehend fragen, warum es vielen schlecht und wenigen gut geht.  Warum denn auch, solange das eigene europäische Leben trotz ‚Wohlstandseinbußen‘ und militärischer Gewitterwolken am Horizont momentan noch erträglich ist.

Nichts ist übrigens heute den Herrschenden leichter, als eine oppositionelle Minderheit der Bevölkerung, z.B. von politisch artikulierten Friedensfreunden wie etwa in europäischen Ländern zu übergehen, in die Bedeutungslosigkeit zu verweisen oder notfalls zur Ader zu lassen. Auch wenn Millionen, wie bspw. in Deutschland schon 1982, für den Frieden demonstrieren, braucht es sie nicht zu jucken und tut es auch nicht.

Die Schläge werden die Illusionisten in der Weise treffen, dass man sie ihnen zwar vorausgesagt hat, sie aber Ohropax vorgezogen hatten. Nur so wird tieferes Lernen stattfinden.

So weit so gut oder schlecht. Wenn meine Zeilen dazu beitragen, in Stuttgart oder Berlin kritischer zuzuhören, dann sind sie ebenso wie das Teilnehmen doch auch zu etwas gut.

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