Die Krise Griechenlands und der EU, wie sie ein Funktionär der finanzkapitalistischen Ordnung sieht – und Oligarchen, Kriminalität und Korruption auf höchster Ebene ausblendet

 

Notizen  zu dem Buch von Giorgos Papakonstantinou „Game Over. Griechenland in der Krise:  Der Insiderbericht“. Or. Engl., 2016 Kyriakos Papadopoulos Publishing S.A , dt.Kolchis Verlag Wettingen (CH) 2017

Das Buch ist über längere Passagen hin interessant und flüssig geschrieben.

Allerdings müssen die Grundkategorien des Autors sehr kritisch beleuchtet werden.

Den Autor interessiert nicht primär die griechische Gesellschaft, insbesondere die Masse der Bürger, sondern das standing Griechenlands, d.h. seiner zeitweiligen Regierung unter Führung der Partei PASOK, gegenüber den internationalen “Finanzmärkten”.

Anders ausgedrückt: welche Politik hat er als Finanzminister dieser Regierung gemacht, und welche Politik hält er im weiteren für richtig, damit Griechenland trotz seiner unendlichen Verschuldung, seiner international ständig defizitären Ökonomie  und der geringen eigenen Finanzkraft (soweit sie sich im Regierungsbudget niederschlägt), weiterhin Geld von den sog. Märkten bekommt.

Reformen des griechischen Systems interessieren ihn vorerst unter dem Aspekt, ob sie geeignet sind, den „Märkten“  das Bild zu vermitteln, man bekomme sein Geld – natürlich mit Gewinn –  wieder zurück, wenn man z.B. griechische Staatsanleihen kauft oder in die griechische Ökonomie inverstiert.

Die sozialen Katastrophen, denen die griechische Gesellschaft im Laufe der Krise Griechenlands  und der EU unterworfen wurden und weiterhin werden, werden von Papakonstantinou  zwar nicht völlig ausgeblendet, sondern durchaus erwähnt und mit einigen teilnahmsvollen Sätzen gewürdigt. Allerdings behauptet er, sie seien unvermeidlich, weil die früheren Regierungen Griechenlands mit ihrer unverantwortlichen Politik   das Land in die staatliche Zahlungsunfähigkeit geführt hätten und seiner eigenen Regierung (ab 2009) nichts übrig gelassen hätten, als zunächst einmal der griechischen  Gesellschaft gegenüber Härte zu zeigen und das Vertrauen der Märkte neu zu erobern.

Er bemerkt zutreffend: auch das Management der EU hat die griechische Misswirtschaft bis zu dieser Zeit laufen lassen. Ökonomisch starke Länder wie Deutschland  und Frankreich hätten durchaus von ihr mitprofitiert – bis dann eben Ende 2009 mit dem Antritt der Regierung Andreas Papandreou  und ihrem Finanzminister Papakonstantinou  offenbar gemacht werden musste, dass die Kreditwürdigkeit Griechenlands null und der Zusammenhalt der EU in Frage gestellt waren.

Eigentlich aber kann man das Buch in die Tonne kloppen, weil  Papakonstantinou  ein Grundproblem, wenn nicht sogar das Grundproblem Griechenlands und aller Rettungen durch EU und IWF nicht einmal anspricht: die Sonderstellung der sog. Oligarchen, der Inhaber von Reedereien, Medien, Fußballklubs, Flughäfen, Bergwerken u.v.a.m., die in diesem Land außerhalb des Gesetzes und über demselben stehen.

Das griechische Parteiensystem gehört zu ihrer Klientel, sie bearbeiten die Mentalität des griechischen Volkes mittels der Medien, die ihnen anscheinend überwiegend gehören.

Ihre Vermögen liegen in der Schweiz, Liechtenstein, Monaco und anscheinend v.a. in London. Dass sie dort ebenfalls über den Gesetzen stehen, darf man mit einigen Gründen vermuten. Dass auch EU-interne Steueroasen wie Luxemburg oder die Deutsche Bank mit von der Partie sind, will ich mangels Kenntnissen weder bestreiten noch ausschließen.

Im Jahre 2015 kam es im Zusammenhang mit dem Amtsantritt  der Regierung Tsipras (Syriza) und ihres ersten Finanzministers Varoufakis zu einigen erneuten Hinweisen auf diese Strukturen, in internationalen und auch deutschen Medien. Man tippe in die Suchmaschine “Griechenland Oligarchen”, um solche Beiträge nachzulesen.

Beleuchtet wurden im Grundzug folgende Strukturen: die finanzielle Schwäche des griechischen Staates ist im Spiegelbild die finanzielle Stärke der Auslandsvermögen der Oligarchen sowie auch weiter unten stehender Vermögender Griechenlands, reicher Anwälte, Ärzte usf., die alle keine oder kaum Steuern zahlen und im Verlauf der Krise erst recht ihre Gelder aus dem Land abziehen.  Es ist von Vermögen von 60 Milliarden Euro die Rede. Wahrscheinlich ist das eine zu geringe Zahl.

Papakonstantinou  erwähnt zwar die unteren Schichten Vermögender und spricht auch von einigen Maßnahmen, hier  endlich ein paar Steuern einzutreiben, er erwähnt aber die Oligarchen nicht.

Keine bisherige Regierung, auch nicht die von Tsipras trotz ihrer Ankündigungen von 2015, hat hier etwas zustande bekommen.

Das Thema verschwand dann auch aus den Medien, die es 2015 für kurze Zeit aufgenommen hatten – wohl um die Regierung Tsipras zu stützen, die eigentlich Anti-EU war und dem gesamten Rettungsprogramm der EU ursprünglich den Todesstoß versetzen wollte. Das entsprach einer starken Linie innerhalb eben dieser bestimmten Medien.  Bald wurde Tsipras von der EU gezwungen, damit etwas zurückzustecken.

Auch in schwerstkriminelle Aktivitäten wie Heroinschmuggel und andere umfangreiche Schmuggeleien sollen zumindest bestimmte Oligarchen verwickelt sein.

Die Spitze der Anschuldigungen von 2015 besteht in der Aufdeckung, dass die Rettungsprogramme der EU genau die Oligarchen erneut bereichert haben, die eigentlich an derjenigen  Misere die Kernschuld tragen, die doch von den Rettungsprogrammen angeblich geheilt werden soll.

Bspw. wurden ihre Banken mit EU- und IWF-Geldern rekapitalisiert, und die von der EU und dem IWF geforderten Privatisierungen griechischer Unternehmen und Ressourcen sollen ihnen zusätzliche fette Beute in ihre Konglomerate spülen. Mit dem aus dem griechischen Volk in der Krise unter den Austeritätsprogrammen zusätzlich ausgesaugten Reichtum investieren sie weiter in das internationale Finanzsystem, das an den Rettungsprogrammen seinerseits weiter verdient und sich noch größere Teile der griechischen ökonomischen Substanz aneignet.

Man kann sich kaum vorstellen, dass die verantwortlichen Politiker der maßgeblichen EU-Länder wie Deutschland und Frankreich und in der EU-Bürokratie von diesen Zusammenhängen nichts oder wenig wissen.

Natürlich wissen sie davon, weil der Reichtum der Milliardäre in und außerhalb der EU, der legale, der halblegale, der kriminelle und der schwerkriminelle Reichtum, einschließlich auch der zig-Milliarden der verschiedenen Mafien, Camorren, der Drogen- und Menschenhändlerkartelle, die Europa ebenso durchziehen wie die Welt außerhalb, –  weil  diese ganze Mischung der Gelder die  Substanz des finanzkapitalistischen Systems bilden, von dem ihre Staatshaushalte  leben –  das sie letztlich selber bezahlt.

Die Aktivitäten eines selbst vom internationalen Finanzkapitalismus abhängigen Systems wie der EU, insbesondere der Eurozone, zur Stabilisierung Griechenlands und anderer Mitglieder, letztlich zur Stabilisierung auch Deutschlands und der anderen etwas stärkeren Ökonomien sind Aktivitäten zur weiteren Bereicherung der Milliardärsschichten und zur Absicherung des von ihnen kontrollierten kapitalistischen Systems.

Dieses System befindet sich nun allerdings, nach Jahrzehnten einer relativ einhelligen und einvernehmlichen Globalisierung unter klarer Führung der USA und überhaupt des „angelsächsischen“  Blocks,  in einer Phase des Zerfalls, der Neuaufteilung der finanziellen Schwergewichte.

Vor allem der Aufstieg Chinas zum Herausforderer auf industriellem, finanzkapitalistischem und militärischen Gebiet markiert die Herausbildung von Fronten innerhalb des globalisierten Systems. Die EU, selbst ein nicht unwichtiger Teilhaber am internationalen Reichtum, d.h. der internationalen Ausbeutung unter dem Schirm der bisherigen Globalisierung, und selbst von den finanzkapitalistischen Strukturen im Innern stark geprägt und kontrolliert, muss nunmehr ihre Haut retten. Sie gerät zwischen China und den USA, mit denen beiden sie äußerst stark verblockt ist, in eine prekäre Position über verschiedenen möglichen Abgründen, seien diese heiße militärische Konfrontation zwischen beiden Supermächten, seien sie ein gemeinsames Spiel beider gegen Europa. Die USA haben den militärischen Block im Prinzip aufgekündigt und treten auf verschiedenen Schauplätzen, z.B. im Falle Syrien, seit längerem schon in offenen Gegensatz zu europäischen Interessen.

Es ist dieser Hintergrund, vor dem sich der Prozess eines stärkeren finanzkapitalistischen und politischen Zusammenschlusses Europas vollzieht. Die griechische Krise sowie die mehr oder weniger zeitgleichen spanischen, portugiesischen, irischen Krisen usf. bilden die Katalysatoren dieses Einigungsprozesses, aber die übermächtigen Motoren desselben liegen in der internationalen geostrategischen Rivalität, die sich neu entfaltet und neue Bruchlinien bekommt.

Bei Papakonstantinou  findet man kaum Erwähnung dieser übergeordneten strategischen Fragen.

Die europäische Einigung schafft nach innen hin keine Besserung hinsichtlich der Abhängigkeit vom Finanzkapital und seiner gemischtkriminellen Struktur.

Erkennbar ist zwar die Herausbildung eigener europäischer finanzkapitalistischer Schwergewichte, eigener Agenturen wie der verschiedenen Rettungsfonds, und der Kurs auf eine Politik zunehmender Vergemeinschaftung von Schuldenwirtschaft, Staatshaushalten, Bankenkontrollen etc. Das Buch von Papakonstantinou  ist einerseits ein anschaulicher Bericht über die Kämpfe, die in diese Richtung sich anlässlich des Bankrotts seines eigenen Landes und anderer Länder entwickeln, andererseits aber ein trauriges Beispiel für die Konservierung der üblen korrupten, kriminellen und gemischtkriminellen Strukturen im Innern der EU.  Ob diese in der weiteren Entwicklung vielleicht etwas mehr beleuchtet und bekämpft werden, ist offen. Das Buch weist leider nicht in diese Richtung.

Bezeichnend ist u.a. die Art, wie Papakonstantinou das Phänomen „der Märkte“ behandelt. „Die Märkte“ sind in seinem Verständnis die internationalen Finanzmärkte, aus denen sich u.a. die Staaten, auch die Staaten Europas, finanzieren. Man muss es eigentlich so ausdrücken: von denen ihre bankrotten Staatshaushalte und damit ihre gesamte Politik abhängen.

Papakonstantinou  vermeidet es, diese „Märkte“ zu analysieren. Welche Rolle spielen darin bspw. die bisherige „angelsächsische“ Dominanz (USA+London), in welchem Maße dient diese Dominanz den geostrategischen Interessen der USA, auch und gerade wenn diese im Gegensatz zu europäischen Interessen sich entwickeln?

Von den Störfeuern, die diese „Märkte“ und die von ihnen abhängigen Medien immer wieder gegen die europäische Rettung Griechenlands, letztlich sogar in manchen Phasen gegen die EU-Zugehörigkeit  Griechenlands zu zünden wissen, gibt er zwar viele einzelne Beispiele, ohne aber einen analytischen Zusammenhang zu versuchen.

Papakonstantinou  erklärt „die Märkte“ für „irrational“. Das sind sie nur, wenn man ihnen selbst untergeordnet ist, in ihnen und für sie zu funktionieren hat und nicht beabsichtigt, aus solchen Abhängigkeiten herauszutreten, sie politisch-wissenschaftlich zu analysieren und der Gesellschaft Instrumente an die Hand zu geben, sich selbst aus solchen Abhängigkeiten zu emanzipieren.

 

Das Buch ist ein Lehrbeispiel für die Abhängigkeit europäischer Regierungen und des EU-Systems insgesamt von diesen sog. Märkten. Es zeigt aber auch umgekehrt auf, dass europäische Regierungen mit ihren Entscheidungen fallweise die Märkte beeinflussen können und Finanzströme zum eigenen Nutzen – so wie sie ihn verstehen – anzapfen können.

(Ob andere Regierungen mächtigerer und wesentlich monolithischerer Länder, der USA und Chinas, in ähnlicher Weise von diesen Märkten abhängen bzw. ob sie von anderen Finanzquellen abhängen, und wie stark sie ihrerseits Einfluss darauf haben, von wem und wieviel und zu welchen Konditionen sie Geld bekommen, muss hier ausgeblendet werden. Ich nehme an, dass erhebliche Unterschiede bestehen.)

 

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