Der Chilcot-Report. Ein Rückblick auf den Irak-Krieg der USA und Großbritanniens 2003

In Großbritannien ist soeben der sog. Chilcot-Report erschienen.

Eine Kommission unter der Leitung eines Sir John Chilcot hat sich sechs Jahre lang mit der Rolle des früheren britischen Premierministers Tony Blair (Labour) bei der Unterstützung des US-Krieges gegen den Irak 2003 befasst und anscheinend schließlich so etwas wie einen leichten Tadel zustande gebracht.  Die britischen Medien sind sehr beschäftigt, auch in Deutschland erscheinen einige Artikel, die den Hauptverbrecher, die USA unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush, kritisieren wegen der mit Lügen unterfütterten  Aggression gegen den Irak.

Es wird Verwunderung ausgedrückt, dass in Großbritannien immerhin Dinge veröffentlicht werden können, die die Eröffnung eines Tribunals gegen Blair wegen Kriegsverbrechen  rechtfertigen würden (allerdings dürfte im Ernst niemand daran denken, so etwas in die Tat umzusetzen), während in den USA  nicht einmal eine offizielle Untersuchung gegen Bush läuft.

Wenn man die Politik Bushs und Blairs, d.h. auch die Politik, die die dominierenden Gruppen im politischen Leben der USA und Großbritanniens zur damaligen Zeit betrieben haben, noch einmal  charakterisieren will, dürfen m.E.  einige Punkte nicht heruntergespielt werden:

I.

Die USA (und Großbritannien im Schlepptau) haben aus geostrategischen Motiven heraus eine flagrante Aggression inszeniert, die bis heute massiv nachwirkt, nicht nur in der Ruinierung eines wichtigen Landes der arabischen Welt, sondern auch im allmählichen globalen politischen Abstieg der USA, insbesondere der sog. Neocons um Bush, aber auch der gesamten hegemonistischen Ansprüche der USA.

 

Es ging den USA und solchen Verbündeten wie Großbritannien im Irak um die Zerstörung eines politischen Gebildes (des Staates unter dem Saddam-Hussein-Regime) und eines Landes, das in mancher Hinsicht positiv von dem zivilisatorischen Elend anderer in der Region, nehmen wir einmal  Saudi-Arabien, Kuweit, auch Ägypten etc. sich abhob. Der Irak konnte z.B. ein besseres Bildungsniveau, eine bessere Stellung der Frauen, weniger Massenelend als viele andere arabische Staaten aufweisen.

 

Es ging ihnen aber auch um die Wegräumung eines Staates, der ihnen die Bundesgenossenschaft beim geostrategischen Aufmarsch gegen Russland und China verweigerte, ihnen keine Stützpunkte geben wollte und auch gegen die israelische Perma-Aggression relativ deutlich sich stellte.

 

Ein weiterer Aspekt für die US-Führung dürfte der Wunsch gewesen sein, die stagnierende Ökonomie (Dotcom- und Asienkrise 2000 bzw. 1997, subprime-crisis dann bereits 2008) durch immense zusätzliche Militärausgaben und durch riesige kriegerische Kapitalvernichtung in Gang zu halten und den Militärapparat in Schuss zu halten. Für solch hehre Ziele kann man schon mal ein paar Millionen koloniale Untermenschen wie im Irak über den Jordan gehen lassen, nicht wahr, Herr Bush?

II.

Im Zuge der direkten militärischen Aggression Hunderttausende umzubringen, die ökonomische Infrastruktur zu zerstören und den Wiederaufbau konsequent zu verhindern, d.h. weiteren Millionen Menschen Elend und Tod zu bringen, war und ist für die USA und solche Verbündete wie das Blair-England überhaupt kein Problem. Zurecht wird bspw. in der britischen Zeitung „Independent“  auch das am Chilcot-Bericht kritisiert, dass er für das Elend der Iraker sich nicht interessiert.

III.

Es ist für solche Leuchten der Demokratie wie Bush und Blair auch weiter überhaupt kein Problem, ein Land wie den Irak in Herrschaftszonen rivalisierender Cliquen aufzuteilen, die in ihren reaktionären Streitigkeiten alles zersplittern, jede Gesundung sabotieren und sich bestenfalls als Werkzeuge äußerer Mächte eignen. Desgleichen heißt in der Sprache des US-Imperialismus nation-building. So geschehen mit der Aufteilung des Landes unter Schiiten, Sunniten und Kurden, d.h. unter jeweilige reaktionäre Führungsgruppen, und der Etablierung eines Proporzsystems der drei Gruppen  für die zentrale Regierung, die logischerweise so nie eine zentrale Regierung des Irak werden konnte und so etwas auch gar nicht sein durfte,  sondern nur ein weiterer Austragungsort  destruktiver Rivalitäten.

IV.

Von der Zerstörung des Irak (ähnlich auch der Afghanistans und nun in letzter Zeit Libyens und Syriens) durch die USA und solch edle Verbündete wie Großbritannien oder das finanzkapitalistische Dreckloch Saudi-Arabien ist eine weitgehende Verwandlung des Vorderen Orients in einen Schauplatz islamistischen Terrors ausgegangen, und von dort aus wendet sich solches auch längst gegen Europa. Das Auswuchern terroristischen Vorgehens war nicht nur in der Politik der USA inhärent, sondern ist mE durchaus bewusste politische Taktik. Man hat die  rivalisierenden Cliquen gegeneinander ausgespielt, man hat sie zum Terror gegeneinander, faktisch gegen die zivilen Untertanen der jeweils anderen Cliquen angestachelt. International hat man diesem Treiben Lügenmäntelchen noch und noch umgehängt. So hat man z.B. die in Syrien gegen das Assad-Regime eingesetzten  islamistischen Schlächter- und Söldnerbanden als „Demokratische Kräfte“  international gepriesen; selbst so etwas wie der IS, der zumindest zeitweise zu den „assets“  der USA im Kampf gegen Assad gehörte, durfte durch eine negative, aber gerade dadurch höchst intensive  Vermarktung in den westlichen Medien eine Stärkung erfahren, abgesehen von der untergründigen Versorgung mit Geld und Waffen über alle möglichen Kanäle.

V.

Zusammenfassend bieten all die Verbrechen der USA und solcher Verbündeter wie Großbritannien ein neues historische Beispiel dafür, wessen der Kapitalismus fähig ist, wenn er sich das glaubt leisten zu dürfen, oder besser, leisten zu müssen im Kampf um die Dominanz gegenüber Rivalen. Man muss die Konflikte in Afghanistan, im Irak, in Syrien, Libyen (und wer weiß was noch alles kommen wird) vor allem im Kontext des Kampfes sehen, den die USA führen, um letztlich die militärische Dominanz gegenüber China, auch gegenüber einem evtl. mit China verbündeten Russland und, nicht zu vergessen, auch gegenüber Europa zu behaupten. Europa, um nur einen Aspekt zu nennen, sieht in der Rivalität zwischen den USA und den Vorgenannten Chancen zu einer etwas eigenständigeren Politik und schwächt damit auf seine Weise die Vormachtstellung der USA. Es wird dafür bezahlen müssen. Das heißt aber nicht, dass seine  Selbstbehauptung etwas Falsches oder Unmögliches wäre.

 

Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass mit dieser Kritik an den USA (und Großbritannien) ich kein positives Bild etwa des kapitalistischen China, das seinerseits nach der Weltherrschaft  strebt, oder des russischen Oligarchen-und Gangsterkapitalismus verbinde.

 

Nachtrag: es darf nicht vergessen werden, dass 2003 Deutschland und Frankreich in Abstimmung mit Russland sich dem US-Plan gegen den Irak spektakulär verweigert haben. Dies war notwendig und richtig und ein weiterwirkender Faktor zur Delegitimierung der USA-Hegemonie und ihrer Untergrabung.  Die deutsche Regierung stand damals unter Schröder (SPD) und Fischer (Grüne). Wenige Jahre zuvor (1999 hatte dieselbe Regierung noch gemeinsam mit den USA etc. einen Aggressionskrieg gegen Serbien vom Zaun gebrochen. Und es darf auch nicht vergessen werden, dass die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel in 2003 dem US-Präsidenten Bush Unterstützung signalisiert hat, im Gegensatz zu Schröder-Fischer. (Mir scheint, dass sie mittlerweile weniger geneigt ist, den USA unangebrachte Gefolgschaft anzutragen.)

 

Weiterer Nachtrag: ein spezieller Aspekt der US-Aggression gegen den  Irak war die auffällige Häufung von zerstörerischen Katastrophen, die über weltbedeutende Kulturschätze des Irak hereinbrachen, kaum dass das US-Militär die Kontrolle der betreffenden Lokalitäten übernommen hatte, und unter auffälligem Wegschauen der Invasoren. Nicht nur archäologische Schätze des alten Mesopotamien wurden massenweise vernichtet oder geraubt, sondern interessanterweise wurde auch bspw. die Koranbibliothek in Bagdad in Brand gesteckt, die wohl unschätzbare alte Quellen zur Entwicklung des Islam enthielt. Die Entwicklung des Islam wissenschaftlich zu studieren, ebenso wie bspw. die des Judentums samt seiner Vorgänger im alten Mesopotamien, oder auch des späteren Christentums, gilt bei den religiösen Fundamentalisten aller Richtungen als etwas zu Verhinderndes.

 

 

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