Sterbehilfe und Beseitigung der Alten

Derzeit wird die öffentliche Debatte um die Sterbehilfe weiter intensiviert, auch im Zusammenhang mit anstehender Gesetzgebung.

Sie konzentriert sich, meinem Eindruck nach, auf den richtigen Umgang der Gesellschaft und insbesondere des medizinischen Sektors mit Menschen, die wegen unheilbarer Krankheit mit dem baldigen Tod rechnen müssen und die Möglichkeiten einer selbstbestimmten Beendigung fruchtloser Leiden in Betracht ziehen. Es werden viele Fallgeschichten erzählt und Schlußfolgerungen abgeleitet, auf einem Gebiet, wo es mE keine Antwortschemata geben kann und gesetzliche Definitionen wohl kaum je adäquat gefunden werden können – weil das Sterben ebenso individuell ist wie das Leben.

Beunruhigend, erschreckend aber ist vor allem das, was in der aktuellen Debatte umgangen, verschwiegen und ausgeblendet wird.

Hinter ihr und von ihr verdeckt ist seit langem ein riesiger Problemberg gewachsen, der mit den Stichworten Vergreisung der Gesellschaft, Altersarmut und Altersverelendung angesprochen werden kann.

Die deutsche Gesellschaft, und mit ihr und in verwandter Weise viele andere europäische Gesellschaften, auch die japanische und wohl in absehbarer Zeit auch die chinesische (um nur Beispiele zu nennen) werden aufgrund der demografischen Entwicklung in wenigen Jahrzehnten, grob durchschnittlich gesprochen, zur Hälfte aus Rentnern oder Menschen, die aus anderen Transfersystemen unterhalten werden, bestehen. Der finanzkapitalistisch-bürokratische Komplex, der uns wie auch die genannten anderen Gesellschaften (in abgewandelten Formen) beherrscht, sinnt schon längst auf Mittel und Wege, sich möglichst großer Teile dieser Millionen und Abermillionen zu entledigen, weil er den gesellschaftlichen Reichtum für sich allein beansprucht und solche Menschen nur als „überflüssig“, als Abzug von seinen eigenen Ansprüchen sehen kann.

Selbstverständlich überläßt er die allmählich schleichende öffentliche Ausformulierung entsprechender Programme den von ihm abhängigen Politikern, Mediengrößen, Philosophen, Ethikern und Theologen. Man sollte aber auch die eventuell sich einschleichenden Praktiken in Altersheimen, bei Ärzten und Kliniken, abseits irgendwelcher öffentlicher Programme und Rechtfertigungen, beachten.

Erst hat der kapitalistisch-bürokratische Komplex den – seit mehreren Jahrzehnten bekanntlich immer größer werdenden – Ausfall von genügendem Nachwuchs politisch geduldet, wenn nicht gefördert, dann hat er, insbesondere seit Anfang des neuen Jahrtausends, verbunden mit der zunehmenden Rolle des Finanzkapitals, durch die Politik der Niedriglöhne, der prekären Arbeitsverhältnisse, der Finanzkapitalisierung der Renten etc. die Grundlagen für die Wellen  der Altersarmut geschaffen, die uns in den kommenden Jahrzehnten mit immer größerer Wucht überrollen werden. Es sage niemand, daß die Konsequenzen, die sich aus der Kombination dieser finanzkapitalistisch-bürokratischen politischen Entscheidungen ergeben werden, nicht schon seit langem absehbar sind.

Eben diese Konsequenzen lauern hinter der aktuellen Sterbehilfe-Debatte. Man muß ihren Wortführern in Medien und Politik vorwerfen, daß sie sie verdecken, ja,  im Fall führender Politiker und Mediengrößen,  bewußt zu verdecken suchen, denn sie müssen ihrer bewußt sein, wenn sie beanspruchen wollen, die gesellschaftlichen Trends zu reflektieren und politische Konzepte zu entwickeln.

 

Wenn es hierzulande statt 20 Millionen Rentnern 40 Millionen sein werden, wenn ihr Anteil von einen Viertel der Bevölkerung auf die Hälfte gestiegen sein wird und der arbeitende Rest der  Bevölkerung es ablehnen wird, den größeren Teil seiner Einkommen für den Unterhalt dieser Menschen abzugeben, spätestens dann wird der finanzkapitalistisch-bürokratische Komplex mit seinen offenen Programmen der Beseitigung dieser „Last“ herausrücken. Es gilt aber jetzt schon, die Vorbereiter und Treiber solcher kommender „Lösungen“ zu identifizieren, die einstweilen noch verdeckt arbeiten und zumeist humanitäre Aspekte der derzeitigen Sterbehilfe-Debatte vorschützen, um in Wirklichkeit die Keime ihrer künftigen Vernichtungsprogramme zu hätscheln.

 

Die unmenschlichen Konsequenzen der Herrschaft des finanzkapitalistisch-bürokratischen Systems müssen benannt werden, aus denen seine Unhaltbarkeit folgt. Was wird und was soll an seine Stelle treten?

 

Wo sind die ökonomischen Konzepte, die die gesellschaftlichen Produktivkräfte derart zu entfalten versprechen, daß auch noch größere Anteil älterer und nichtarbeitender Menschen an der Bevölkerung menschenwürdig mitgetragen werden können?

Wo sind die Konzepte zur allmählichen Wiederverjüngung der Gesellschaften?

Sollte man nicht systematisch an Ideen und praktischen Versuchen arbeiten, wie ältere und vom herrschenden System zu bloßer Rentnerei abgeschobene Mitbürger in größere soziale Zusammenhänge, die allererst zu schaffen wären, eingegliedert werden können? Wie ihre oft vorhandenen produktiven Kräfte und Kompetenzen gemeinschaftlich mit Jüngeren wieder zum Tragen kommen könnten?

 

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