Bemerkungen zum EU-Gipfel



Gestern früh (Fr. 9.12.11) endete die EU-Gipfelkonferenz über Maßnahmen zu Haushaltskonsolidierungen und Gewinnung neuer Kredite in der EU.

 

Die EU-Länder sollen sich den Berichten zufolge auf die Einführung einer Schuldenbremse in ihren Staatshaushalten, auf Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung derselben und ein Mitspracherecht der EU-Kommission bei der Erstellung der jährlichen Budgets geeinigt haben. Auch soll der Europäische Gerichtshof Rechte bei der Feststellung bekommen, ob Staaten die Schuldenbremse eingehalten bzw. verletzt haben. Eurobonds seien vorerst vom Tisch. Die Rettungsfonds EFSF und ESM sollen durch Vorziehen des ESM ab Mitte 2012 (er sollte ursprünglich erst ab Mitte 2013 arbeiten) sich gegenseitig verstärken. Man wolle auch den IWF in bestimmter Höhe aus den eigenen Haushaltsmitteln stärken, damit er sich an den sog. Haushaltskonsolidierungen besser beteiligen könne, und hoffe auch auf Mittel aus Schwellenländern, die diesem zufließen sollten. Die IWF-Kredite an von der Pleite bedrohte EU-Staaten würden den generellen IWF-Verfahren folgen; sog. Beteiligungen privater Gläubiger wie im Falle Griechenland (sog. Forderungsverzichte von Banken etc.) solle es künftig nicht mehr geben.

Die Europäische Zentralbank werde wohl in der Zwischenzeit, bis die beschlossenen Richtlinien in den Einzelstaaten in Gesetze umgesetzt und wirksam würden (wenn dies überhaupt geschehen sollte….) die Situation durch weitere Aufkäufe von Staatsanleihen bspw. der PIIGS-Staaten zu stabilisieren haben.

 

Großbritannien soll bei den Verhandlungen Sonderrechte (welche?) für seinen Finanzsektor verlangt, aber nicht  bekommen haben und nimmt als einziger der 27 EU-Staaten nicht am Vertrag, d.h.  an der Weiterarbeit zur Umsetzung der jetzt beschlossenen Richtlinien teil. Die Diskussion über die Rolle Großbritanniens und seine eventuelle Zukunft außer- bzw. innerhalb der EU oder der Eurozone nimmt an Schärfe zu.

 

In den Zeitungsberichten und -kommentaren und insbesondere den Leserzuschriften zu den Meldungen und Kommentaren finden sich die gegensätzlichsten Bewertungen der Gipfelergebnisse.

 

Ich empfehle den Besuchern meines Blogs, die zumeist wohl ähnlich wie ich keine ökonomischen oder politischen Fachleute sind, die ausführliche Lektüre solcher aktuellen Artikel und vor allem auch der Leserkommentare, bspw. im „Handelsblatt“, der damit zusammenhängenden „Wirtschaftswoche“ und der „FAZ“, auch der „Financial Times Deutschland“ (ein Gruner&Jahr-Produkt, das viel einspuriger als die Vorerwähnten fast ausschließlich mit den typisch finanzkapitalistisch-spekulativen Interessen und den Meinungen von SPD und Grünen konform geht).

Man sieht die Interessengegensätze und die daraus folgenden politischen Schemata deutlicher durch diese Lektüre, wenn auch sicherlich nicht tief genug. Notwendig ist jedenfalls meiner Meinung nach zum tieferen Verständnis der aktuellen Lage der Gesichtspunkt, daß es sich um die größte historische Zuspitzung der Krise des Kapitalismus seit dem Ende des 1. Weltkriegs und den daraus unmittelbar und in den folgenden Jahrzehnten hervorgehenden Umstürzen handelt. Neue ökonomische und soziale Konzepte der vergesellschafteten Arbeit und des vergesellschafteten Eigentums sind erforderlich.

 

Die große Masse der Zuschriften stammt von den wütend um sich beißenden Kohorten der Propheten des Untergangs des Euro und der EU überhaupt. Darunter z.B. Stimmen, die ständig weiter die Rückkehr zum Goldstandard fordern…. Relativ wenige Schreiber sehen demgegenüber einen Fortschritt zur Einheit Europas und loben sogar die Merkel-Equipe ausdrücklich. So werden die beschlossenen, allerdings erst noch in praktische Politik und Gesetze umzusetzenden Richtlinien als das derzeit in die richtige Richtung führende Mögliche bezeichnet. Man solle nicht zuviel auf einen Schlag verlangen. Der Kampf gehe weiter. Manche versuchen auch gg. die üblichen Untergangspropheten aus Ökonomenkreisen zurückzuschlagen, denen sie bewiesene Inkompetenz vorwerfen: sie hätten die Krise nicht kommen sehen, gäben ständig dieselben falschen Empfehlungen wieder, den den Interessen irgendwelcher finanzstarker Auftraggeber hinter den Kulissen entsprächen, usf.

 

Berechtigt sind mE die vielfach geäußerten prinzipiellen Einschätzungen, daß die sozialen Kosten der Politik der Rettung des Staatshaushalte und des entspr. Finanzsektors für die nächsten Jahre und die kommenden Generationen immens werden.

 

Meine Einschätzung: ich sehe in der aktuellen Debatte eine gewisse Bestätigung für die in dem Beitrag „Die Erpressungen durch den Kapitalismus wachsen ins Unermeßliche“ v. 01.12.2011 geäußerten Unterscheidungen. Die Anstrengungen zur Bewahrung der europäischen Einheit sind sichtbar und dem Projekt wohnt eine gewisse Unausweichlichkeit inne, was an der Isolation GBs und der anscheinend vorhandenen Bereitwilligkeit auch aller sonstigen Nicht-Euro-Länder zur Mitarbeit an den beschlossenen Richtlinien ablesbar ist. Auch die zeitgleich beschlossene EU-Aufnahme Kroatiens ist ein kleines Symbol der Tendenz.

 

Wie allerdings und von wem diese Einheit getragen wird, nämlich von den kapitalistisch – staatskapitalistischen und bürokratischen Strukturen in Europa und den an die europäische Einheit gebundenen weltweiten finanzkapitalistischen und spekulativen Interessen (i.Ggs. zu solchen Interessen, die sich größeren politischen Nutzen und auch größeren finanziellen Profit aus der Zerstörung der europäischen Einheit versprechen), getragen in der diesen Machtgruppen entsprechenden Form der Aufhäufung weiterer immenser Schulden, um Bankrotte der Schuldigen zu verhindern  – das verspricht katastrophale Ergebnisse für die ökonomische Weiterentwicklung und die sozialen Beziehungen.

 

Immerhin ist die provokative Fiskalunion nach Schäuble – die Staaten sollten faktisch ihre Haushaltssouveränität verlieren, begründet damit, daß nationale Souveränität für D. sowieso schon lange nicht mehr existiere und auch nicht gewünscht werde – anscheinend nicht in den beschlossenen Richtlinien enthalten. Wenn die Einzelstaaten, deren Mittel im Fall schwacher Staaten zunehmend sowieso aus der europäischen Umverteilungsmaschine stammen, nunmehr ihre Haushaltspolitik stärker abstimmen sollen (wenn auch über ein Brüsseler Gremium), dann ist das eigentlich unvermeidlich und nur ein weitere Ergebnis der tatsächlichen Macht- und Verflechtungsverhältnisse, oder, wohlwollend gesagt: Kooperation. Insbesondere jetzt in der Schuldenkrise, wenn im Grunde schon eine gemeinsame Haftung aller Staaten besteht und über die verschiedenen Stabilisierungsfonds, über die bedeutende Rolle der gemeinsamen Politik gegenüber den Finanzmärkten etc. organisiert wird und eine immer größere Rolle spielt, sind die beschlossenen Richtlinien kein Drangeben der nationalen Souveränität aus Verachtung derselben, sondern Notmaßnahmen, zu denen man sich als von außen bedrohte Gruppe bereitfindet, bereitfinden muß.

 

 

 

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