Ansichten von Günter Reimann zu Finanzkapital und Staat

Die im Jahre 2007 ausgebrochene Krise akzentuiert noch stärker als bisher Fragen zum Wesen des heutigen Kapitalismus und wird zu Weiterentwicklungen der Anschauungen führen. Nicht nur solche platten Schemata der Politiker und Medien wie z.B.  „Marktwirtschaft“, ganz gleich ob die sog. soziale oder die „neoliberale“ oder die „sozialistische“ Marktwirtschaft (China), oder auch politische Versprechungen wie „Regulierung des Finanzsektors“ halten den Erfahrung von vielen Menschen längst nicht mehr Stand,  sondern auch bestimmte Ansichten marxistischer Herkunft, so z.B. zum Verhältnis der besitzenden Klasse(n)  zum Staat.

Wenn man die gegenwärtige Finanzkrise, einen besonders hervortretenden Aspekt der Grundwidersprüche des Kapitalismus, und die Handlungen der Politiker unserer Staaten zu verstehen sucht, kann es nicht schaden, dieses Verhältnis näher zu beleuchten. Zwar sind die Beziehungen zwischen der Finanzspekulation und den Staaten nur ein Teilthema neben  anderen gesellschaftlichen Fragen, aber es hat natürlich größte aktuelle Bedeutung.

Einige Zitate und Wiedergaben aus einem interessanten Buch des 2004 verstorbenen Günter Reimann („Die Ohnmacht der Mächtigen“, erschienen 1993 in Leipzig) können mE hierzu einige Denkanstöße vermitteln.

Warum ich bestimmte Darstellungen dieses Buchs für aktuell halte, möchte ich zunächst mit ein paar Bemerkungen meinerseits verdeutlichen:

Es liegt auf der Hand, daß die Finanzschwindeleien astronomischen Ausmaßes, die im Jahre 2007 den unmittelbaren Auslöser und seitdem einen der Dauerbrennstoffe der Krise bilden, nicht ohne das Mitwissen und die aktive Mitwirkung der Staaten  wie den USA oder auch den wichtigsten europäischen Staaten hätten zustande kommen können.

Um nur ein paar Punkte zu nennen: die Politik der subprime-Hypotheken, die Versorgung ganzer Schichten der USA, die auch finanziell längst ins Prekariat abdrifteteten,  mit „Eigenheimen“, die Ausweitung der Konsumkonten mithilfe der Spekulation auf weiter steigende Immobilienpreise, die betrügerische Weitergabe der hierdurch weiter gesteigerten Risiken des Finanzsektors an die internationale Banken- und „Anleger“-szene, die bereitwillige Aufnahme der entsprechenden Papiere, die heute zum allergrößten Teil als „toxisch“ bezeichnet werden, all dieses und sicher noch viel mehr geschah mit Wissen und Willen der entsprechenden Regierungen und staatlichen Finanzkontrolleure in den verschiedenen Ländern. Dies sind Punkte, die auch einem ökonomischen Nichtfachmann wie mir aufstoßen mußten. Sicher können Fachleute hier viel mehr Beweismaterial zusammenbringen, wenn sie wollen.

In den USA war die Bush-Administration entscheidend beteiligt an der Politik der exzessiven, ökonomisch unsoliden Vereigenheimung der Bevölkerung und der damit verbundenen spekulativ-kriminellen Machenschaften des Finanzsektors, oder sogar der Urheber dieser Politik; in Deutschland glänzten Institutionen wie das Finanzministerium unter Steinbrück und Asmussen (der heute für Schäuble/Merkel arbeitet) oder die sog. Bankenaufsicht unter Sanio mit direkten Befürwortungen des Finanzschwindels, der Verflechtung des deutschen Bankenwesens mit demselben oder zumindest beflissenstem Wegsehen von den Risiken der Papiere.

Vor allem aber im weiteren die sog. Bewältigung der Finanzkrise, auch durch den deutschen Staat, spricht Bände. Von Anfang an bis heute verweigert die Staaten strikt jedes tiefergehende Vorgehen gegen die verantwortlichen Akteure und Institutionen des Finanzsektors. Die Staaten versuchen weiterhin, die Spekulationsverluste des Finanzsektors zu decken, aus Staatseinkünften, die zukünftig erwartet werden, und verpfänden Arbeit, Einkommen und Besitz ganzer künftiger Generationen an die Staatshaushalte, die die Spekulanten (und das Kapital als ganzes) vor den Folgen ihrer selbstverschuldeten Bankrotte schützen sollen. Die Staaten fürchten für ihren Teil den politischen Zusammenbruch und die Abrechnung mit den regierenden Kräften, wenn das Bankensystem versagt, das korrekterweise als Banken-Schneeball-System bezeichnet werden muß.

Ich habe Anfang 2009 Sätze formuliert wie die folgenden:

„Das Finanzsystem ist zahlungsunfähig, weil mehr oder weniger alle führenden Banken und Unternehmen sich an Spekulationen beteiligt haben, von denen jeder Banklehrling sich ausrechnen konnte, daß dabei Riesenpleiten, Ketten-Zusammenbrüche und Systemzusammenbrüche die Folge sein müssen. Nun ist der Systemzusammenbruch am Rollen, und was tun die Staaten? Sie verwandeln die betrügerisch erzeugten Zahlungsansprüche in cash! Sie zahlen sie aus! ….Der Staat macht aus den fiktven Gewinnaussichten des Spekulationssystems hartes Geld – einstweilen jedenfalls mag es noch als ‚hart’ gelten – und setzt an, es aus den Volksmassen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wieder herauszuholen.“ (IS 2009-5 auf www.neue-einheit.com)

Vor kurzem hieß es selbst in der „FAZ“: „Europa hat sich entschieden, in der Krise die Bürger zur Kasse zu bitten und die Banken ungeschoren davonkommen zu lassen. Aus privaten Schulden werden so öffentliche Schulden.“ (6.3.2011, „Schon wieder wanken Banken“)

Es liegt anscheinend eine enge Symbiose der Staaten, der offiziösen politischen Parteien, der Regierungen und der staatlichen Bürokratien mit dem spekulativen nationalen und internationalen Finanzkapital vor. Sie leben auf Kosten der großen Mehrheit der Weltbevölkerung, von erheblichen Teilen oder sogar Mehrheiten der Bevölkerung selbst in den reichen Staaten. Diese Verbandelung ist keineswegs widerspruchsfrei, bildet aber jedenfalls ein essentielles, für beide Seiten existenznotwendiges Zusammenspiel. Wenn man „Bourgeoisie“ heute definieren will, hat man hier sicher entscheidende Komponenten beisammen.

Zu diesem Thema lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Buch von Günter Reimann, „Die Ohmacht der Mächtigen“. Reimann kommt aus der KPD der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, war Wirtschaftsredakteur ihrer Zeitung „Rote Fahne“ und  hat später die Beziehungen zwischen dem Kapitalismus, der Arbeiterbewegung, dem internationalen Finanzkapital und den kapitalistischen Staatswesen jahrzehntelang von Manhattan aus beruflich, durchaus aus dem Innern des Finanzkapitals heraus, beobachtet. In dem Buch, das 1993, in der Zeit der Beendigung der sog. sozialistischen Sowjetunion und des um sie gruppierten Staatenblocks, fertiggestellt wurde als Versuch einer Bilanz desselben (China klammert er aus) wie auch der gleichzeitigen krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus, hat er einige Thesen aufgestellt, die mE als analytische Werkzeuge zur Erfassung der heutigen Entwicklungen ernst genommen werden sollten.

Auch wenn einige seiner Ansichten, z.B. die Forderung der Rückkehr zum Goldstandard, mir nicht plausibel scheinen, und Reimann einige wesentliche Akteure der Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu wenig beachtet oder in mittlerweile überholter Weise einschätzt – so ist für ihn Japan noch der gewichtigste ostasiatische Akteur, nicht das damals schon im Aufstieg begriffene China in seiner neuen kapitalistischen Phase –, sollte man sich durchaus mit seiner Sicht des Themas ‚Kapitalismus und Staatsbürokratie’ befassen.

Einige Zitate, zunächst einprägsam formulierte Bruchstücke:

„Der letzte Wandel der kapitalistischen Gesellschaft kann nur von denen erkannt werden, die in der Lage sind, die Realitäten des Finanzkapitalismus von heute und die Abhängigkeit dieser Gesellschaft von einer sie dominierenden staatsbürokratischen Macht, die ständig mehr ausgeben muß, als sie einnehmen kann, zu verstehen.“ (S.5; Hv. von mir)

„Der Westen ist selber krank und leidet an den Krankheiten, an denen der Osten gestorben ist.Verzweifelt wollen sich die Kapitalisten retten, indem sie die Rente des Staatskapitalismus zu sichern suchen. Diese Konsolidierung wird ihnen nicht gelingen.“ (8)

„Die Gesellschaft krankt an der unproduktiven Staatsbürokratie und den grenzenlos wachsenden politischen Parteihierarchien. Deren Vertreter geben sich als Demokraten, sind aber hierarchisch organisiert und besitzen – im Unterschied zur Mehrheit des Volkes – das Privileg einer gesicherten Rente.“ (9)

„Die Planwirtschaft des Ostens war anarchisch. Das Finanzkapital im Westen will planen und kann es nicht.“ (8)

Im Kapitel „Stagflation – Grundtendenzen gesellschaftlicher Entwicklung“ macht Reimann dann den Ansatz einer Analyse, die verschiedene gesellschaftliche Widersprüche in ihrem Zusammenhang erklären soll. Es heißt hier u.a.:

„Als Grundtendenzen im Finanzkapitalismus unserer Zeit werden Rentenansprüche als Schulden des Systems erscheinen. Sie stellen versteckte Profitansprüche dar, für die die Ungewißheiten des Marktes und allgemein des Konkurrenzkampfes ausgeschaltet worden sind.“ (S. 30)

Diese recht abstrakte Formulierung zeigt in meinen Augen Realitätsnähe, wenn man versuchsweise einmal Erscheinungen der jetzigen Krise in die Stellen der hier sehr allgemeinen Reimannschen Begriffe einsetzt. Dann könnte der Satz bspw. folgendermaßen lauten:

‚Die Ansprüche der sog. Anleger aus den sog. Verbriefungen und zahllosen weiteren ähnlichen <Produkten> der führenden Banken wie Goldman-Sachs etc. versprechen auf Jahre und Jahrzehnte hinaus regelmäßige rentenähnliche Einkünfte. Diese sollen, aus den Profiten des gesamten Kapitalismus abgezweigt, dessen Schwankungen gleichwohl weitgehend entzogen werden und werden, da dies nicht funktionieren kann, dem gesamtgesellschaftlichen System gegenüber als dessen Schulden gegenüber den Anlegern geltend gemacht. Der Staat soll aus dem Eigentum der Bürger die Zahlungen an das Finanzkapital herausquetschen, die die kapitalistische Produktion bei weitem nicht in der geforderten fantastischen Höhe hergibt.’

Weiter in Reimanns Originaltext.

„Der Arbeiter unterliegt ebenfalls nicht mehr den Ungewißheiten eines Proletariers, wenn er durch Sozialversicherungen oder Pensionsrechte, d.h. durch die Rente, gesichert erscheint. Mit dem Versprechen der Rente hat das System allen sozialen Klassen eine ökonomische Sicherheit gewährt, obwohl dies im Widerspruch zum Wesen des Kapitalismus steht, d.h. einer Martkwirtschaft mit Marktkonkurrenz und Waren, deren Preise durch den Konkurrenzkampf festgestellt werden müssen.“ (S. 30)

Der hier gemeinte Arbeitertyp ist der bessergestellte Arbeiter der „sozialsichernden“ kapitalistischen Staaten der vergangenen Jahrzehnte, ein Typus, der weltweit immer in der Minderheit war und heute selbst in seinen einstigen Hochburgen weiter am Abnehmen ist. Ihnen stehen Milliarden von Menschen gegenüber, die weltweit in den sweatshops, als Handlanger, Halbproletarier und Paupers sich durchschlagen.

Zur Veranschaulichung solcher Reimannschen Sätze kann die grundlegende Sozialpolitik der BRD herangezogen werden, die – in Leugnung der kapitalistischen ökonomischen Gesetze – den Arbeitern eine soziale Sicherheit versprochen, lange Zeit auch gezahlt hat, wenn auch knauserig, und z.T. heute noch zahlt, wenngleich mittlerweile vielen Millionen auf Hartz-IV-Niveau –  eine angebliche Sicherheit wohlgemerkt, die nur mittels einer über die Jahrzehnte ständig zunehmenden Staatsverschuldung noch zu bezahlen war, beschleunigt nicht mehr zu bezahlen war in dem Maß der Deindustrialisierung seit Mitte der 70er Jahre.  Der Staat BRD hat über die Jahrzehnte hin eine „soziale Sicherheit“ vorgespielt, die in immer größerem Umfang nicht aus der laufenden Ökonomie und ihren staatlichen Abgaben, sondern zunehmend aus der Staatsverschuldung, m.a.W. aus der Aufblähung des kapitalistischen Finanzsektors und der zunehmenden Abhängigkeit des Staates von dem nationalen und internationalen Bankensystem bezahlt wurde. Über dieses internationale Bankensystem ist zudem auch eine der direktesten Verkopplungen von reichen Ländern mit der internationalen Ausbeutung gegeben, mit der extremen Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft in vielen ärmeren Teilen der Welt und mit der oft skrupellosen Ausbeutung der Natur, der Rohstoffe, der Umwelt.

Eine weitere Veranschaulichung bieten die sozialen Sicherungssysteme der USA und anderer verwandter Länder. Sie liegen bekanntlich in weit höherem Maße als – bis jetzt – noch hierzulande in Händen von privaten Pensionsfonds und dergl. Diese gehören zu den größten Akteuren des Finanzkapitalismus überhaupt und machen ihren mehr oder weniger spekulativen Profit aus Finanzanlagen zur Quelle ihrer Zahlungen an die Versicherten. Ein erheblicher Teil des Volumens des internationalen Finanzkapitals kommt aus den Sozialbeiträgen der Lohnabhängigen der USA etc. und verknüpft deren Sicherungsinteressen mit der Steigerung der internationalen Ausbeutung und dem Gelingen der Spekulationen. Dementsprechend sind die Renten und andere Sozialversicherungen dieser Länder im Laufe der jetzigen Krise bereits erheblich geschrumpft und werden dies noch weiter tun. Die Sicherheit der Renten ist hier wie dort eine Schimäre.

Es liegt, wie gesagt, eine enge Verflechtung der reichen Staaten, die ihren Lohnabhängigen soziale Sicherheit vorspielen, um sie politisch für das kapitalistische System zu vereinnahmen, sich aber andererseits die Mittel dazu nur über die wachsende Staatsverschuldung beschaffen können, mit dem internationalen Finanzsektor vor. In einer solchen Symbiose  ist es bloß logisch, wenn der Staat sich seinerseits auf Gedeih und Verderb der Rettung des Finanzsektors verschreiben muß, wenn der in die offene Krise rutscht, und es ist ebenso logisch, daß diese Rettung nur um den Preis des Raubbaus an den kommenden Generationen darzustellen ist.

Weitere mE treffende Beobachtungen bei Reimann:

„Der kapitalistische Unternehmer selber versucht, die Ungewißheit der Unternehmergewinne durch die Gewißheit von Rentenansprüchen zu ersetzen….. Am erfolgreichsten ist der Staat mit seinen Steuerforderungen. Sie sind Prioritätsansprüche gegenüber allen Mitgliedern der Gesellschaft, deren Ansprüche zweitrangig sind…

Die finanziellen Ansprüche der Gläubigerländer sowie auch der <Gläubiger> in den Schuldnerländern haben sich ständig vergrößert – absolut und relativ – d.h. die Schuldenansprüche nehmen schneller zu als die Produktion. Deswegen verschlechtern sich die Verwertungsbedingungen für neues produktives Kapital.“ (65f.)

„Das Wachsen des Staatskapitalismus geht im Westen inmitten des alten Finanzkapitalismus vor sich. Es ist eine Tendenz, die sich gegen die immer wieder neu bildenden Kräfte des alten unternehmerischen Kapitalismus durchsetzt. Der Staat wird eine autonome Institution, der sich alle sozialen und wirtschaftlichen Gruppierungen unterwerfen.“ (72) [Reimann versteht unter Staatskapitalismus vor allem, daß der Staat, der alle Klassen und sich selbst vor den Unsicherheiten des Kapitalismus zu schützen vorgibt, im Lauf der Zeit einen dominierenden Teil des ökonomischen Volumens der Gesellschaft an sich zieht; er ist der größte Konsument, Auftraggeber und in vielen Fällen auch selbst Unternehmer.]

„Das Entstehen einer neuen herrschenden Klasse von Parteibürokraten, die über die staatliche Bürokratie bestimmen, ist auch eine Erscheinung in den Ländern des demokratischen Westens. Die politischen und administrativen Bürokratien werden von den Strukturen der Parteibürokratien beherrscht. Diese sind zur dominierenden sozialen Klasse geworden. Eine derartige Entwicklung hatte unter Roosevelt zur Zeit des <New Deal> und ähnlich in Deutschland unter Hitler begonnen. Der Staat ist damit als Konsument eine wichtige Stütze des inneren Marktes in allen westlichen Ländern.“ (73)

Interessant auch „Die Spaltung des Finanzkapitals“ (111 ff.), wo Reimann die Massen an Finanzkapital in der Welt behandelt, die sich jeder staatlichen Kontrolle entziehen, aber durchaus, in mächtigen Banken, Hedgefonds oder dergl. zusammengefaßt, das Volumen und die Organisation entwickeln können, ganze Staaten zu finanzieren, auszusaugen oder pleitegehen zu lassen. Diese Institutionen können ganze Staaten zu kontrollieren versuchen.

„Die offiziellen Leiter der weltmonetären Institutionen und der nationalen Zentralbanken wissen, daß das internationale Währungssystem zunehmend durch die unkontrollierbaren Ströme des Geldkapitals gefährdet wird. … Die Versuche, das System kontrollierbar zu machen, sind gescheitert. Als Ergebnis ist ein System entstanden, in dem national die Staatsmacht überlegen und übermächtig ist, wo es aber dem Finanzkapital möglich ist, der staatlichen Kontrollmacht zu entgehen.“ (111)

Als Anschauungsbeispiel mögen manche Berichte über die Deutsche Bank dienen. Diese Bank ist zwar einerseits mit der deutschen Staatsmacht und ihren Schulden in unauflöslicher Symbiose verknüpft, so eng, daß die eigenen Schulden dieser wahrhaft Deutschen Bank umgekehrt von der Staatsmacht durch Staatschulden gedeckt werden. Andererseits aber stellt sie eine riesige Kaverne nicht nur für hunderte von Milliarden Steuergelder dar, die eben diesem deutschen Staat mithilfe dieser Bank hinterzogen werden, sowie für die Kapitalmassen, die auf die Caymans, die Bahamas und in sonstige irreguläre Gebilde streben, wo aus sie in das international flottierende Finanzkapital einfließen, u.a. auch in die Anleihen, die Staaten wie der deutsche international aufnehmen. Der deutsche Steuerhinterzieher „leiht“ dem deutschen Staat das hinterzogene Geld und erwartet, in der Pleite selbst noch an erster Stelle aus der Konkursmasse bedient zu werden.

„Alle großen Industriegesellschaften mit Zweigunternehmen im Ausland oder internationaler Verflechtung können die im Produktionsprozeß entstehenden Geldkapitale (Anfang und Ende der Zirkulation von Industriekapital) im Markt für staatenlose Gelder anlegen. Auch Inlandsgesellschaften können sich durch die Vermittlung der Auslandskontrakte der Banken, die selber mit dem Markt für heimatlose Gelder verbunden sind, daran beteiligen.

Die kapitalistischen Unternehmen in allen Industrieländern unterliegen Steuerlasten, die entscheidend die Verwertungsbedingungen des Kapitals beeinflussen (vom Standpunkt des privaten Kapitalisten). Auch Zinseinnah/men aus internationalen Geldmarkt-Anlagen unterliegen den nationalstaatlichen Steuern. Es gibt aber <Steueroasen>, wo das Finanzkapital nationalstaatlichen Kontrollen entgehen kann. Die klassischen Verwertungsbedingungen von Finanzkapital haben sich dadurch geändert. <Fluchtkapital> wird zunehmend institutionalisiert und entgeht den  Verschlechterungen der Verwertungsbedingungen des Kapitals durch nationalstaatliche Steuern. …Fluchtkapital ist zu einer normalen Einrichtung von internationalem Geldkapital geworden, die allen Besitzern von Geldkapital zur Verfügung steht. Deswegen wird die Zirkulation des Anlagekapitals [vermittels seiner Verwendung in mehrtwertproduzierenden Unternehmen, so verstehe ich das] durch die Flucht von Geldkapital in die Sphäre des staatenlosen, heimatlosen Fluchtkapitals gehemmt.“ (128f.) [Dies wurde nB 1993 geschrieben und hat seitdem offensichtlich noch an Bedeutung gewonnen.]

„Der Finanzkapitalismus hat eine Doppelnatur entwickelt, weil die Finanzkapitalisten eine gespaltene Klasse geworden sind. Sie besteht aus zwei Kategorien, die beide Finanzkapitalisten sind. Sie sind national und international. National sind sie eng verbunden mit den nationalen Staatsinteressen und der herrschenden Klasse, der Oberschicht der Staatsbürokratie /und der Staatspartei. Als Internationalisten jedoch sind sie staatenlos, dafür aber frei und unabhängig. Beide, die Nationalisten und Internationalisten, sind Antagonisten, doch miteinander verflochten.“ (111/112)

„Das wirkliche Ziel der Besitzer staatenloser Kapitale ist das Niemandsland, wo sie ihr Kapital anlegen können, wo die Profite oder die Rente gesichert sind und die persönliche Freiheit und Unabhängigkeit unbeschränkt bleibt.“ (118)

„Die gespaltenen Geld- und Kapitalmärkte geben die Möglichkeit der Ausnutzung von Zinsdifferenzen, national und international, von Differenzen von Währungswerten, von Abschlägen und Prämienzahlungen, die wie im Mittelalter Handelsgewinne sind. Dadurch kann mehr finanzieller Reichtum erzielt werden als durch Industriekapitalisten in produktiver Warenproduktion. Wer auf diesem Gebiet tätig ist, braucht nicht strategisch über Marktaussichten, die Folgen neuer politischer Entwicklungen oder die Zukunft allgemein nachzudenken. Es genügt für ihn, den Computer zu besitzen. Er muß die Möglichkeiten und die Sprache des Computers kennen. Als Folge gibt es einen /Wandel in der Qualität der Elite in der internationalen Bank- und Finanzwelt. Wer Karriere machen will, braucht nicht strategischen Weitblick zu besitzen …Er muß wissen, wie der Computer benutzt werden kann und soll mit dessen Hilfe und ohne Zeitverlust Zinsdifferenzen berechnen sowie die Kosten der Abdeckung von Risiken auf den Termin-Geldmärkten schellstens in Anwendung bringen. Der Computer gibt ihm die Antwort.“ (132f.)

Man ziehe zu dieser Einschätzung von 1993 die heutigen Darstellungen heran, wie die ganz großen Banken inzwischen viele Geschäftsvorgänge der individuellen Tätigkeit irgendwelcher Banker entziehen und Computerprogrammen anvertrauen. Die größten Banken haben die schnellsten Rechnersysteme, die weltweite Informationen über minimale Marktdifferenzen in Sekundenschnelle automatisch in Kauf-Verkauf-Entscheidungen mit den entsprechenden Gewinnen für die Bank umsetzen. Wer die stärksten Rechner und die modernsten Programme hat, macht den Gewinn.

Es liegt aber auf der Hand, daß nicht die gesamte Tätigkeit der Banken so funktionieren kann. Weiterhin sind auch Strategie und Politik erforderlich, aber gleichzeitig scheint der Idiotismus gerade in der Finanzwelt weiter zu wachsen.

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Ich breche hier mit der Wiedergabe und ihrer Kommentierung ab, es muß für den Moment genügen, wenn vielleicht der eine oder andere Leser ein paar Denkanstöße fühlt und sich intensiver mit diesen Themen befaßt. Allerdings sind keineswegs alle in dem Buch geäußerten Ansichten Reimanns, so z.B. über die Entwicklung der Sowjetunion, obwohl auch sie ein gewisses Interesse erregen, in meinen Augen so nützlich und praktikabel.

Sein Schwerpunkt liegt vor allem in der allgemeinen Kritik der staatlichen Bürokratien, der westlichen wie der östlichen, ihrer Bedeutung für die sozialen Fragen, m.a.W. der Beherrschung und Erstickung des Klassenkampfes,  sowie der dazu erforderlichen Liaison mit dem Finanzkapitalismus. Politische und historische Fragen wie nach der Weltrolle der USA oder auch der früheren Sowjetunion und des früheren revolutionären China werden hier viel zu wenig berücksichtigt. Aber trotzdem liefert sein Ansatz meiner Ansicht nach doch auch wichtige analytische Werkzeuge für bestimmte Apskete der heutigen Situation.

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