Die Laufzeitverlängerung

Mit der Bestätigung des Ausstiegs aus der Kernenergie und mit „erneuerbaren Energien“ aus der Krise?

Walter Grobe, 05.09.2010

Der heute zu erwartende Regierungsbeschluß widerspiegelt die Politik, auf die sich die Mehrheit der deutschen Wirtschaftschefs und die Merkel-Regierung offenbar geeinigt haben. Es soll beim Ausstieg aus der Kernenergie  bleiben, der Umstieg auf die sog. erneuerbare Energien soll forciert werden, gerade indem man mit etwas verlängerten Laufzeiten das Geld dafür abzuschöpfen hofft, das anderwärts knapp wird.

Trotz Protesten von SPD, Grünen etc. und einigen plakativen Aktionen wird der Beschluß im großen und ganzen akzeptiert werden. Wahrscheinlich folgen allerdings noch einige langwierige Gerichtsverfahren z.B. vor dem Bundesverfassungsgericht, die aber wohl nur Einzelheiten modifizieren werden – wenn nicht die politische Gesamtszene sich deutlich ändern sollte.

Der grundsätzliche Feldzug gegen die Kernenergie in Medien und Politik wird auch nach dem Beschluß weitergeführt werden, um die Umstellung auf die sog. erneuerbaren Energien noch weiter zu forcieren.

Die deutsche Bourgeoisie strebt in ihrer Mehrheit tatsächlich eine viel weitergehende Umstellung der Energieversorgung auf die sog. erneuerbaren Energien, auf Windräder, Solarpanels, Gärgase und dergleichen an als sie heute erreicht ist. „Die ökologische Ausrichtung unserer Energieversorgung ist richtig. Erneuerbaren und CO2-freien Energien gehört die Zukunft“, heißt es eingangs des „Energiepolitischen Appells“ führender Manager, einiger Politiker, Journalisten und Verbandsfunktionäre, der vor einigen Wochen mit großem Paukenwirbel veröffentlicht wurde als ang. Opposition gegen Merkel und Röttgen. So sieht nach den Maßstäben dieser Herrschaften eine „moderne und sichere“ Energiewirtschaft aus, und der Rest der Welt wird sich, geben sie vor, nach diesem Vorbild richten und den deutschen Unternehmen den Kram massenhaft abkaufen, wenn es mit den Autos und anderen bisherigen Exportstützen nicht mehr so läuft.

Diese Politik ist seit einer ganzen Reihe von Jahren im Grunde schon maßgeblich. Mit dem jetzigen Beschluß der Bundesregierung wird in diesem Sinne der Ausstieg aus der Kernenergie bekräftigt sowie ein Zeitplan und ein Finanzierungsmodus der Umrüstung auf die erneuerbare Energien skizziert, wie er der Mehrheit der wirtschaftlich und politisch an hoher Stelle Verantwortlichen unter heutigen Bedingungen gangbar scheint. Politisch will man die Opponenten des Ausstiegs weiter an den Rand drängen, gleich ob es sich um bestimmte Kapitalisten, Wissenschaftler, Volkswirte oder auch um sozial Engagierte und Revolutionäre handelt, die den Ausstieg im Gegensatz zum linken mainstream immer vehement kritisiert haben.

„Mut und Realismus für Deutschlands Energiezukunft“ heißt die Überschrift. Welche Art von „Mut“  beseelt diese Menschen, wie stellen sie sich der Realität? Man muß schon von ganz besonderem Holz sein, wenn man sich der ganzen übrigen Welt gegenüber derart in Positur wirft wie die Herren, die diesen Appell unterzeichnet haben. Es gibt heute kein wichtiges Land mehr, das nicht im Gegensatz zu Deutschland die Kernenergie  installieren bzw. weiter ausbauen will. Weiterentwicklung, Ausbau und Neuinstallation von Kernkraftwerken wird heute betrieben nicht nur in allen wichtigen sich entwickelnden Ländern wie China, Indien, Brasilien, Türkei, Iran usf, sondern auch in allen älteren Wirtschaftsmächten wie USA, Frankreich, Großbritannien und zahlreichen kleineren europäischen Ländern wie Finnland, Tschechien und den baltischen Staaten; Russland und selbst arabische Golfstaaten nicht zu vergessen. Viele neue Techniken werden entwickelt, neue Reaktortypen, neue Brennstoffe usf.

Mit dem Realismus der deutschen Energie- und Exportpolitik kann es nicht sehr weit her sein, wenn man meint, sich von derjenigen Energietechnik abkoppeln zu können, die die Welt immer mehr als Rückgrat der Stromversorgung sieht. Mit Randphänomenen von vergleichsweise primitiver Technik wie Windrädern aber den großen Reibach zu machen wird der deutschen Bourgeoisie nicht gelingen. Bisher hat deutsche Technik noch immer auf manchen Gebieten einen guten Ruf. Mit Windrädern wird sie den nicht mehr lange bewahren können.

Eine höhere Logik

Der vermeintliche Realismus der Herrschaften hat einen anderen Hintergrund, der freilich nicht genannt wird. Der Ausstieg ist kein purer Wahn oder Unverstand, wie manche seiner Kritiker immer wieder versucht dargelegt haben. Er hat für eine bestimmte Kapitalistenrichtung durchaus eine eigene wirtschaftliche Logik, zumindest nach ihrer Meinung. Der kommen die Kritiker auch mit dem tausendsten Nachweis der technischen und ökonomischen Widersinnigkeit der Abschaffung der Kernenergie  und der Umstellung auf die erneuerbare Energien nicht bei. Diese Logik liegt auf einer höheren Ebene.

Um zu verstehen, was diese Kreise politisch treibt, muß man auf die kapitalistische Krise eingehen. Nicht nur auf die derzeitige manifeste Weltwirtschaftskrise, sondern auf die grundsätzlichen Faktoren von Wirtschaftskrisen und -katastrophen, die dem Kapitalismus innewohnen und weiter innewohnen werden, auch wenn er die kommende Phase – in der es freilich erst noch richtig zur Sache gehen wird –  als Gesellschaftssystem irgendwie überstehen sollte.

Den Kapitalismus mit organisierter Kapitalvernichtung retten ?

Kapitalismus bedeutet grundsätzlich die ständige Höherentwicklung der Produktivität der menschlichen Arbeit, die Entwicklung von produktiven Möglichkeiten, die den Milliarden der heutigen Weltbevölkerung ein wesentlich besseres Leben ermöglichen würden als sie heute führen müssen – wenn nicht der Kapitalismus selbst dem entgegenstünde. Unter den Bedingungen der Niedriglöhne und des Raubbaus am Menschen und an der Natur,  den Bedingungen der Armut der großen Mehrheit der Weltbevölkerung kann nicht genug der wachsenden Produktion abgesetzt werden, können große Teile des akkumulierten Kapitals nicht mehr verwertet werden. Da aber ebendieselbe Armut der großen Mehrheit der Menschen wesentliche Bedingung für ihre Unterwerfung als Arbeitskraft für das Kapital ist, wird sich an diesem grundsätzlichen Widerspruch auch nach der 15. oder 20. Krise nichts ändern, es sei denn, das kapitalistische Eigentum würde durch gesellschaftliches Eigentum ersetzt. Solange das sich nicht durchsetzt, bleibt nichts übrig als immer wieder den kapitalistischen „Reset“ zu versuchen. Kapital wird vernichtet, Anlagen stillgelegt, Arbeitskräfte entlassen und Armut vertieft, bis die Bedingungen wieder so profitabel erscheinen, daß eine Trendwende möglich wird.

Diese Zusammenhänge haben die hohen kapitalistischen Verfechter der „erneuerbaren Energien“ irgendwie vor Augen. Sie betreiben fundamental die Vernichtung technisch besonders fortgeschrittener, besonders produktiver Kapitalanlagen, hier insbesondere der Kernenergie – und der ganzen Wissenschaften und Betriebe, die damit zusammenhängen.  Diese Anlagen sind nicht nur hinsichtlich ihrer eigenen Produktivität eine der Spitzen der heutigen weltweiten Entwicklung, sondern mit dem billigen Strom, den sie abgeben, steigern sie tendenziell die Produktivität der gesamten Wirtschaft nicht unerheblich.

Wir haben hier den bemerkenswerten Fall einer Kaste von Wirtschaftsführern, die nach Mitteln und Wegen sucht, die unter ihrer eigenen Händen herangewachsene Produktivität des Kapitals künstlich zu reduzieren. Sie meinen wohl einen Krisenfaktor dadurch besser in den Griff zu bekommen. Hier wird in einem Ausmaß organisierte Kapitalvernichtung betrieben, das weltweit einzigartig sein dürfte – aus Furcht vor der unorganisierten, die ihnen von der Krise ins Haus getragen wird.

Da es aber hier das eigene Kapital ist, das vernichtet wird, muß Ersatz geschaffen werden. Der Rubel muß weiter rollen. Ersatz soll der Staat schaffen, und schafft er in der Tat seit einer Reihe von Jahren bereits im Umfang von hunderten von Milliarden Euro durch die gesetzliche Erzwingung von Subventionen für die erneuerbare Energien. Ein ständig wachsender Teil der Löhne und Einkommen, auch des kleineren Immobilienbesitzes, des Kapitals vieler Unternehmen und sonstiger Vermögen wird über die immer weiter steigenden Strompreise, über alle möglichen Ökogesetze und Steuern abgeschöpft und in erzwungene Kapitalinvestitionen von rückwärtsweisender Technologie geleitet. Diese nehmen selbst für eine Ökonomie von der Größenordnung der deutschen bestimmendes Ausmaß an und führen zu einer weiteren umfassenden staatsbürokratischen Umstrukturierung der Gesellschaft.

Der RWE-Chef Großmann sagte in einem Interview der FAZ v.5.9.2010 u.a.:

“Damit die erneuerbaren Energien die Hälfte der Stromerzeugung übernehmen, ist ein völlig neues intelligentes Hochspannungsnetz erforderlich. Das ist, als wollte man alle Autobahnen in Deutschland 16-spurig machen.“

Man sollte meinen, hier will jemand die Blödsinnigkeit  des Konzepts veranschaulichen, aber nicht so Großmann, die übrigen Herren des „Energiepolitischen Appells“ und ihre „Mutti“. Sie gedenken damit diejenigen Milliarden, ja Billionen in die Hand zu bekommen, die sie auf dem Weg der kapitalistischen Konkurrenz, des Marktes etc., der Höherentwicklung von Technik und Produktivität nicht mehr realisieren können, die sie auf diesem Weg vor allem auch gar nicht mehr realisieren wollen. Dem Kapitalismus elementar eigen ist die Austragung der Konkurrenz gerade auch durch die bessere Technik und die höhere Produktivität. Dieses Gesetz wollen die Merkel, Röttgen, Ackermann, Großmann etc. außer Kraft setzen. Wenn das nicht gelingt, dann würden sie selbst die kapitalistischen Widersprüche noch weiter verschärfen, fürchten sie. Also lieber die staatlich unterfütterte Selbstkastration.

Die Opposition gg. die Kernenergie  ist politischer Natur, sie soll den Kapitalismus konservieren. Der jetzige Beschluß der Bundesregierung im Einklang mit dem „Energiepolitischen Appell“ ist eine Art Sonderweg der deutschen Bourgeoisie im Kampf um die Erhaltung des Kapitalismus trotz Krise und um die Sicherung des Reibachs für bestimmte führende deutsche Firmen.

Im übrigen ist sie auch ein Werkzeug der internationalen kapitalistischen Konkurrenz, des zumeist untergründig ausgetragenen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Krieges anderer Mächte wie der USA und Russlands gegenüber Deutschland. Der Ausstieg in Deutschland wurde auch durch internationalen Druck erzwungen. Wahrscheinlich wurden anläßlich der deutschen Einheit von der deutschen Bourgeoisie entsprechende Zugeständnisse gemacht. Jedenfalls stammen die entscheidenden Beschlüsse in Deutschland gegen die Kernenergie  aus den Jahren, in denen diese Einheit international vorbereitet und abgesegnet wurde. Hier und nicht nur hier beteiligt sich die deutsche Bourgeoisie am Krieg gegen das eigene Volk.

Bleibt hier festzuhalten, daß dieses Konzept schon aufgrund der internationalen Konkurrenz scheitern wird. Gleichzeitig ist es auch ein Konzept verschärften Raubbaus nach innen, kombiniert mit staatlicher umverteilender Begünstigung bestimmter Kapitalgruppen und Bevölkerungskreise – nicht wenige Bauhandwerker und Klempner profitieren von den Ökoprogrammen, um nur ein Beispiel ‚von unten’ zu nennen. Es unterminiert auch von innen her die Position des deutschen Kapitalismus. Man darf daher auch von dieser Frage her weitere und fundamentaler werdende Auseinandersetzungen erwarten.

Der heutige Beschluß hat den kleinen Vorteil, daß etwas länger Zeit bleibt, in der es wahrscheinlich immerhin noch etwas Kernenergie in diesem Land geben wird und eine Umkehr leichter möglich bleibt. Mancher der Unterzeichner des „Energiepolitischen Appells“ mag derartige Motive hegen. Dem steht wiederum entgegen, daß möglicherweise der Druck, sog. alte Anlagen mit dem blödsinnigen Argument der Terrorismusabwehr sogar früher zu schließen als bisher geplant, zunimmt. Die konkreten Details werden erst in der nächsten Zeit bekannt werden. Jedoch scheint es mir besser, noch einmal im Vorfeld den schädlichen Charakter der ganzen Richtung, die hier nochmals bekräftigt wird, zu betonen.

Derzeit wird eine andere Frage, wie üblich mit allen Tricks der Unehrlichkeit, der Demagogie und Provokation aufgerührt, die Bevölkerungsfrage, und soll wohl auch die Kernenergiefrage und den fragwürdigen Charakter der jetzigen Entscheidung in den Hintergrund befördern. Man sollte sich mit beiden Fragen befassen und den fundamentalen Zusammenhang beider Fragen mit der kapitalistischen Ordnung zum Thema machen.

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