Zu dem geschichtlich ahnungs- und verantwortungslosen Gerede von den „christlich-jüdischen Wurzeln unserer Kultur“

Walter Grobe, 10.10.2010

„Christlich-jüdische Wurzeln unserer Kultur“ – wenn man solche Ansichten verkündet, gießt man ja geradezu Öl auf die Funzeln der Islamisten. Die heutige Kultur religiös zu definieren, das könnte ihnen so passen.

Geschichtswissenschaftlich ist das gleichfalls heftig zu kritisieren. Wir haben keineswegs bloß eine „christlich-jüdische Geschichte“. Die heutige Kultur dieses Landes ist im Wesen seit vielen Generationen nicht mehr christlich oder christlich-jüdisch geprägt und wird sich erst recht nicht auch noch islamisch prägen lassen. Solche Zeiten sind vorbei.

Die heutige Kultur ist wissenschaftlich und säkular

Die heutige Kultur dieses Landes (dasselbe gilt im wesentlichen für die gesamte westliche Kultur) hat sich in früheren Jahrhunderten unbestreitbar in Verbindung mit christlichen Ideen und Praktiken entwickelt. Sie ist lange Zeit weitgehend im Rahmen religiöser Vorstellungen geblieben, die übrigens immer wieder stark gewechselt haben, und kann insofern über eine lange Zeit seit der Christianisierung bis tief ins 18. Jahrhundert als so etwas wie eine christliche Kultur bezeichnet werden. Kulturprägend ist in Wirklichkeit aber heute und schon seit hundert bis zweihundert Jahren und mehr die Wissenschaft, nicht mehr irgendeine Religion. Sowohl die Naturwissenschaften, die permanent die Irrelevanz von Religion bis in den letzten Winkel des Universums demonstrieren, als auch die Kultur- und Geschichtswissenschaften, die längst über den Religionen stehen, weil sie erklären können, daß Religion überhaupt eine zeitbedingte geschichtliche Erscheinung ist und wie die religiösen Vorstellungen entstehen und auch wieder vergehen.

Die meisten Menschen gerade in den entwickeltesten Ländern Europas wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien usf. sind faktisch irreligiös, auch wenn die eine oder andere religiöse Konvention von Teilen der Bevölkerung noch beachtet werden mag und dem einen oder anderen es noch schwerfällt, von überkommenen Denkmustern sich völlig zu emanzipieren. Die Kultur der meisten heutigen Mitbürger ist längst nicht mehr religiös.

Eine ganz große Rolle in dieser Entwicklung haben die revolutionären Bewegungen Europas gespielt, vom Bauernkrieg des 16. Jahrhunderts in  Deutschland über die Französische Revolution bis zur  modernen kämpferischen Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts.

Da in den islamisch geprägten Ländern die gesellschaftliche Entwicklung seit vielen Jahrhunderten mehr oder weniger stagniert und sie im großen und ganzen weder so etwas wie eine Reformation noch eine Aufklärung noch den Übergang in die moderne Wissenschaftlichkeit bisher vollzogen haben, sind die religiösen Bindungen der meisten Menschen aus diesen Ländern, und so auch derer, die hierher migrieren, immer noch ungleich stärker. In diesen Ländern gab es nicht einmal erfolgreiche bürgerliche demokratische und nationale Revolutionen, mit dem Ergebnis, daß die altüberkommenen Gesellschaftsstrukturen, das Gegeneinander der Clans und Stämme, die Herrschaft des islamischen Klerus usf. dort noch heute große Macht haben. Die Möglichkeiten des islamischen Klerus, den Anhang zu manipulieren und gegebenenfalls zu fanatisieren, auch unter den migrantischen Bevölkerungsteilen unserer Länder, sind ungleich höher als sie irgendeine christliche Kirche hier noch hat.

Wenn man von den Wurzeln unserer Kultur sprechen will, muß man christliche Wurzeln als Teil unserer Vergangenheit oder besser Vorvergangenheit zwar durchaus anerkennen, aber kann die Geschichte ihrer Erosion durch wissenschaftliche Entwicklungen, demokratische Revolutionen und Massenbewegungen nicht unterschlagen. Sonst betreibt man krasse Geschichtsfälschung.

Über die klerikale Anmaßung in der Sprachprägung, unsere Kultur oder eine andere von einer Religion her zu definieren

(Ergänzende Absätze, eingefügt nach der Erstveröffentlichung von heute nacht)

Die Redeweise, wir kämen aus einer „christlichen Kultur“, muß aber mE noch tiefergehend kritisiert werden. Wenn wir unter Kultur nicht nur bestimmte Ideen, bspw. Vorstellungen auf dem Gebiet der Moral, oder bestimmte Gebräuche wie Festtage, Heiratssitten und dergl. verstehen, sondern auch die „materielle Kultur“ einbeziehen, dann ist es von vornherein ein falscher Ansatz, eine bestimmte Religion als das Entscheidende anzusehen. Das Entscheidende bspw. im Bau eines Schiffes, nehmen wir eine mittelalterliche Hansekogge, sind die Kenntnisse der Schiffbauer über Hölzer und ihre Verarbeitung, über weitere Materialien, über den Kampf mit Wind und Wasser und die entsprechenden Vorkehrungen usf.; diese Kentnisse beruhen zum großen Teil auf historisch angesammeltem fachlichem Wissen und Gewohnheiten der Menschen bestimmter Regionen und Gesellschaften. Hinzu kommen Fähigkeiten wie Arbeitsdisziplin und –organisation sowie individuelle und kollektive Kreativität. In diesem Sinne sprechen wir von einer Kultur des Schiffbaus zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft. Ob von den Schiffbauern, ihren Auftraggebern und den Seeleuten bestimmte Heilige verehrt werden, ob sie an die Auferstehung von Jesus glauben oder nicht, spielt dabei kaum eine Rolle. Die chinesischen Schiffbauer derselben Zeit folgten denselben Gesetzen der Holzverarbeitung etc., kamen zwar aufgrund der unterschiedlichen klimatischen und gesellschaftlichen Bedingungen zu anderen Schiffstypen, aber teilen die Grundkultur mit denen der Nord-und Ostsee.

Oder nehmen wir die politische Kultur. Welche sozialen Klassen es in einer bestimmten Gesellschaft gibt und wie ihre Auseinandersetzungen geregelt sind, welche staatlichen und rechtlichen Formen diese Auseinandersetzungen annehmen, das wird im wesentlichen nicht von der Religion bestimmt. Die christliche Religion hat die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen der europäisch-vorderorientalischen Antike nicht geschaffen, unter denen sie sich herausbildete, sondern sie akzeptiert und inkorporiert, bspw. Sklaverei und Militärkaisertum; sie hat die Völkerwanderungen und die Einwirkungen des germanischen Stammeswesens auf die antike Welt, in deren Folge die mittelalterliche westliche Feudalgesellschaft entstand, nicht geschaffen, sondern sich daran vor allem erst einmal angepaßt. Zweifellos muß man anerkennen, daß und wie die christliche Religion die soziale und politische Kulturentwicklung jener Epoche mitgestaltet hat; doch auch wenn man den christlichen Stempel in der damaligen Zeit überall erkennen kann, muß doch auch die Frage gestellt werden, ob die Beziehungen zwischen Feudalherren, darunter auch den kirchlichen Herren wie Bischöfen und Klöstern, und ihren bäuerlichen Untergebenen in der Hauptsache aus der Religion abgeleitet waren oder nicht vielmehr in erster Linie aus der Entwicklung der damaligen Wirtschaft und dem Kampf um ihre Erträge. Bezogen die Erbauer der mittelalterlichen Kathedralen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten etwa aus klerikalen Schriften oder der täglichen Messe statt aus ihrer praktischen Erfahrung und dem sachlichen Wissen der Gesellschaft? Waren diese Gebäude etwa nicht in hohem Maße Produkte und Schaustücke sozialer und politischer Kämpfe, zwischen Königen, Städtebürgern, dem Klerus – neben ihrer Funktion für die Religionsausübung?

Diese Anmerkungen sollen andeuten, daß es klerikale Anmaßung und Selbstüberschätzung ist, wenn man unsere Kultur als „christliche“ bezeichnet. Man kann sie zutreffender als „europäische“ bezeichnen; man sollte dabei auch nicht den vielfältigen Austausch und die Wechselwirkungen übersehen, die zwischen ihr und anderen Kulturen bestehen. Ebensowenig, daß es gemeinsame Grundlagen aller Kulturen gibt, die sich aus den Gesetzen der Auseinandersetzung mit der Materie entwickeln, die für alle Menschen gleich sind. Es gibt keine christliche Mathematik oder Physik, es gibt letztlich auch keine europäische oder chinesische Naturwissenschaft, wenngleich sie sich im Rahmen spezifischer kultureller Bedingungen entwickelt haben, sondern nur eine allgemeine.  (Ende der ergänzenden Abschnitte)

Was die angeführten jüdischen Wurzeln betrifft, so handelt es sich hier wohl eher um Opportunitätsgerede als um wirkliche Kenntnisse. Das Christentum ist zwar zu gewissen Teilen aus dem Judentum hervorgegangen, zu anderen Teilen aber aus antiker Philosophie und vielleicht auch aus Kulten anderer Regionen, stellt jedenfalls aber wesentlich eine Verneinung des Judentums dar. Wenngleich es in der Verneinung noch etwas davon bewahren mag – geschichtlich ist dergleichen eigentlich gesetzmäßig  -, ist es unsinnig, geradlinig von jüdischen Wurzeln unserer Kultur sprechen zu wollen. Judentum als Komplex religiöser und moralischer Vorstellungen tritt kulturprägend für Europa nur am Rande auf.

Es gehört zu den Erzverbrechen der Nazis, daß sie den Übergang vieler Menschen, die der jüdischen Religion angehörten oder angehört hatten, in die Zugehörigkeit zur deutschen Nation rückgängig zu machen sich anmaßten.  Im Laufe des 19. Jahrhunderts und später hatten die Juden nach und nach die Bürgerrechte erhalten mit der Konsequenz, daß sie sich zunehmend als Teil der Nation fühlten, wenngleich mit eigenen religiösen Traditionen  – die in vielen Fällen auch abgebrochen wurden. Auf der Grundlage dieses Emanzipationsprozesses leisteten eine ganze Reihe von Juden bzw. ehemaligen Juden in vielen gesellschaftlichen Bereichen wichtige Beiträge zur Entwicklung des Landes. Der Versuch, diesen Fortschritt auszutilgen, war eines der größten Verbrechen, die die Nazis nicht nur an zahllosen Menschen jüdischer Religionszugehörigkeit oder früherer Zugehörigkeit, sondern an der deutschen Nation begangen haben.

Diese Dinge im Auge zu behalten ist allerdings bei weitem nicht gleichbedeutend mit Behauptungen über jüdische Wurzeln unserer Kultur.

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Allgemein ist festzuhalten, daß unsere heutige Kultur eine wissenschaftliche und säkulare Kultur ist, die ohne die religiösen Vorstellungen und Ratschläge der Kirchen (oder eines aus rückständigen Verhältnissen  importierten Klerus) auskommen kann, auskommen muß und gegenüber den Anmaßungen aller solcher Kräfte verteidigt werden muß.

Der halbstaatliche Rang der Kirchen in Deutschland ist ein Erzübel

Daß es in Deutschland relativ enge Verkopplungen zwischen dem Staat und den Kirchen gibt, ist ein schwerer Mangel der Demokratie;  in Frankreich bspw. ist das anders. Interessanterweise wurde die Geschichte der staatlichen Verbindungen mit den christlichen Kirchen in Deutschland durch das Nazitum nicht unterbrochen, sondern gefestigt. Große Teile der Evangelischen Kirche wandelten sich in eine Nazi-Staatskirche; Rom schloß mit den Nazis Abkommen, die beide Seiten begünstigten. Die heutige Situation der immer noch bestehenden Verknüpfungen von Kirchen und Staat gibt in Deutschland dem islamischen Klerus massive Handhaben, gleichfalls Ansprüche an den Staat zu stellen, sich ihm anzudienen, sich mit ihm zu einigen und zu verschmelzen und in der Perspektive ihn im klerikalen Sinne zu gebrauchen. Mit dem Anspruch eines demokratischen Staates ist das alles nicht vereinbar.

Als ein erster Schritt zur Abwehr des islamistischen Unverschämtheiten ist in Deutschland die halbstaatliche Stellung der christlichen Kirchen zu beenden.

Religion jedweder Art muß aus dem öffentlichen Recht verschwinden und rechtlich das werden, was sie sachlich ist: Privatsache.  Der Staat hat bspw. weder die Kirchenbeiträge einzuziehen und weiterzuleiten noch eigene Mittel an die Religionsgemeinschaften zu überweisen. Menschen jedweder Religionszugehörigkeit müssen selbstverständlich das Recht zur Ausübung ihrer Riten etc. haben, sofern die nicht gesetzwidrig sind, aber die entsprechenden Einrichtungen haben nicht unter besonderer Begünstigung seitens des Staates zu stehen. Dieser hat im Gegenteil die Bürger vor ihren ständigen und im Fall des Islam leider besonders unvermeidlichen Anmaßungen zu schützen.

Es sind mittlerweile Millionen von Menschen islamischer Religionszugehörigkeit oder Tradition Mitbürger und insofern wie jeder andere gefordert, an der demokratischen Verbesserung dieser Gesellschaft mitzuwirken.  In diesem Sinne kann man zwar sagen, sie gehören zu Deutschland. Von der Zugehörigkeit des Islam jedoch, einer theokratischen mittelalterlichen Doktrin, zur deutschen Kultur oder zu Deutschland zu sprechen, ist regelrechter Nonsens, geht völlig in die falsche Richtung und spielt nur reaktionären Anmaßungen in die Hände. Die höchst einäugige, geschichtsblinde Redeweise von den christlich-jüdischen Wurzeln unserer Kultur hat ihre Funktion in der Abstützung solchen Nonsens‘.

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