Gauck, Wulff und Merkel

Gauck, Wulff und Merkel

Walter Grobe 5.6.2010

Mit der Nominierung des sog. unabhängigen Kandidaten Gauck durch SPD und Grüne und der Eröffnung einer beispiellosen Kampagne pro Gauck und gegen Wulff auch in den Medien, die gemeinhin der „konservativen“ Seite zugerechnet werden, wie der „FAZ“ und teilweise auch der „Welt“, kommt in die ziemlich heiße Frage der zukünftigen Parteienkonstellationen und Regierungen dieses Landes zusätzliche Bewegung und Unsicherheit. Die formale Mehrheit der derzeitigen Regierungskoalition aus CDU, FDP und CSU in der Bundesversammlung – die den Bundespräsidenten zu wählen hat – ist keineswegs ein sicherer Block für Wulff. Es wird vieles von allen möglichen Seiten unternommen, um Gauck dort eine Mehrheit zu verschaffen.

Wer agiert hier mit welchen Absichten? Worum geht es?

Das Amt des Bundespräsidenten ist durchaus kein reines Repräsentationsamt. Nicht nur kann er Gesetze blockieren. In bestimmten Situationen der unklaren Mehrheitsverhältnisse im Bundestag kommen dem Bundespräsidenten zentrale politische Entscheidungskompetenzen zu: er entscheidet über die Auflösung des Bundestages im Falle einer vom Bundeskanzler verlorenen Vertrauensfrage (so Köhler bei Schröders absichtlich verlorener Vertrauensfrage 2005). Er kann auch in bestimmten Situationen einen Minderheitskanzler gegen den Willen des Bundestages ernennen und/oder den Bundestag auflösen.

Schließlich ist er zuständig für die Erklärung des Kriegszustandes

Da die Mehrheiten in der Bundesregierung und im Bundesrat trotz der von Schwarz-Gelb gewonnenen Bundestagswahl 2009 täglich unklarer werden und Merkel ganz offensichtlich keinen Wert auf den Erhalt der Koalition mit der FDP legt, kann es in der näheren Zukunft durchaus zu Situationen kommen, wo der Bundespräsident über die Auflösung des Bundestages, die Ernennung einer Minderheitsregierung etc. zu entscheiden hat und eine politische Schlüsselposition einnimmt. Dann würde sich wohl recht deutlich die „Unabhängigkeit“ des Kandidaten Gauck gegenüber seinen Sponsoren SPD und Grüne herausstellen.

Gauck ist, den rühmenden Medien zufolge, jemand, der über der Politik stehe, ein „Held der Demokratie“, ein unabhängiger  Charakterkopf, etc. pp. Seine Nominierung durch die beiden genannten Parteien ist allerdings bereits eine Widerlegung solcher Lobgesänge, denn wäre Gauck tatsächlich ein Mensch mit diesen Qualitäten, dann würde er von diesen Parteien bestimmt nicht für wichtige politische Funktionen vorgesehen. Und ganz allgemein sollte man besonders vorsichtig sein, wenn einer Persönlichkeit von den Meinungsmachern so pauschal derartige Eigenschaften nachgesagt werden. Die angebliche parteipolitische Unabhängigkeit Gaucks, seine wolkigen theologischen und allgemein „die Demokratie“ preisenden Einlassungen, ohne irgendwie sich im tatsächlichen Kampf gegen die Undemokratie in dieser Gesellschaft zu engagieren; die Unklarheiten, die sich mit  seiner langjährigen Tätigkeit als Archivar von Stasi-Hinterlassenschaften verbinden, sprechen überhaupt nicht für ihn. Man denke  bspw. an die Tatsache, daß mit die wichtigsten Akten der Stasi, nämlich die Akten über die geheimdienstlichen Tätigkeiten der Stasi unter bundesdeutschen Politikern, lange Zeit unter der Amtsführung Gaucks der deutschen Öffentlichkeit eben nicht zugänglich waren, wohl aber den USA-Geheimdiensten (die Affäre der sog. Rosenholz-Unterlagen).

Warum sollte ausgerechnet eine Persönlichkeit zum Bundespräsidenten gewählt werden, deren tatsächliche politische Affinitäten und Aktivitäten dem politisch interessierten Bürger viel weniger bekannt, überprüfbar und kritisierbar sind als bspw. die eines Wulff?

Natürlich ist Wulff ein typischer Politiker einer bundesrepublikanischen Partei, die sämtlich mit dem Kapitalismus engstens verbunden sind und für ihn stehen, ob sie CDU oder SPD oder Grüne oder was auch immer heißen, aber immerhin kann man ihn aufgrund seiner Politik einigermaßen  beurteilen und einordnen. U.a. dürfte dabei eine Rolle spielen, daß er seit längerem in Niedersachsen eine Koalitionsregierung mit der FDP führt – eine Koalition von der Art, wie sie Merkel loswerden möchte -, daß er in der Energiepolitik nicht eine derart krasse Ökoposition vertritt wie Merkel und Gabriel in den Zeiten der Großen Koalition, und daß er in der Frage der VW-Übernahme durch die Finanzgangster von Porsche, in der Frage der völligen Privatisierung von VW offenbar gegengehalten hat, sicher nicht zum Schaden der öffentlichen Finanzen und der meisten VW-Beschäftigten.

Wahrscheinlich spielt vor allem die Intrigantin Merkel bei der plötzlich vom Zaun gebrochenen Frage der Besetzung des Bundespräsidenten-Amtes weiterhin eine wichtige Rolle. Daß Köhler Knall auf Fall verschwunden ist, hängt wohl viel weniger mit angeblichen charakterlichen Eigenheiten  zusammen, als große Teile der Medien das suggerieren wollen – um von den politischen Hintergründen des Rücktritts abzulenken, die nach wie vor unklar sind.

Versuchsweise könnte man durchaus einmal etwa das folgende Szenario durchspielen: Merkel will aus der gegenwärtigen Koalition mit FDP und CSU heraus, aus welchen Gründen auch immer – Energiepolitik? Steuersenkungen? Außenpolitik? Langfristige Prägungen der Bundesrepublik? –  und strebt entweder eine neue Große Koalition oder etwas Ähnliches an, in dem SPD und vielleicht auch Grünen erneut unverdiente Machtpositionen eingeräumt würden. (s. auch meine Meinungsäußerung „Weg mit Merkel!“ v. 10.5.2010). Für solche Pläne wäre Köhler wohl der ungeeignete Bundespräsident gewesen, also mußte er irgendwie weggemobt werden. Auch Wulff wäre für derartige Pläne, darf man annehmen, ein weniger geeigneter Kandidat als Gauck. Bereits in der Zwischenzeit, in der bereits Entscheidungen fallen können, kommt das Amt einem SPD-Politiker zu, Böhrnsen aus Bremen. Das Szenario würde weiter so aussehen, daß Merkel zunächst Frau von der Leyen durchfallen läßt, quasi die natürliche Kandidatin der Mehrheit in der CDU (gegen die ein Gauck in der Bundesversammlung wohl kaum Chancen gehabt hätte), um dann einen Wulff zu nominieren, der umgehend von den meisten Medien als blasser CDU-Karrierist abgetan wird (unterstützt von dunklem Gemunkel, das angeblich aus CDU-internen Quellen stammt – vielleicht aus Merkel-nahen Kreisen??). Dann läuft über die nächsten drei Wochen die Medienkampagne pro Gauck. Die Entscheidungsprozesse bei den Mitgliedern der Bundesversammlung, für wen sie stimmen, finden unter dem Druck der Medien und dem internen Druck der Merkel-Kräfte innerhalb der CDU statt, und am 30.6. hat die Bundesrepublik dann den von verschiedenen Kreisen erstrebten Präsidenten, der nicht Wulff heißt. Wieso der das mit sich machen läßt, ist allerdings eine offene Frage. Wir werden sehen.

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